Corona:Ungedecktes Risiko

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Gegen Pandemien können sich Konzerne nicht versichern. Das könnte sich bald ändern. Treffen würde die Versicherer ein Einbruch der Konjunktur und der Kapitalmärkte.

Von Herbert Fromme und Friederike Krieger, Köln

Die Angst fährt mit: Radlerin mit Atemschutzmaske in Shanghai. (Foto: Qilai Shen/Bloomberg)

Noch geben sich die großen Versicherer und Rückversicherer gelassen, wenn sie nach den Folgen der Corona-Infektion gefragt werden. "Ich erwarte keine bedeutenden Auswirkungen auf die Hannover Rück", erklärt deren Chef Jean-Jacques Henchoz. "Wir beobachten noch keine signifikanten Auswirkungen", sagt auch Gunther Kraut, Epidemie-Experte des weltgrößten Rückversicherers Munich Re mit Sitz in Singapur.

Aber die Rückversicherer beobachten ebenso wie die Allianz und alle anderen weltweit agierenden Versicherungskonzerne den Verlauf der Corona-Infektion ganz genau. Denn Pandemien sind wie Cyberangriffe tatsächlich globale Risiken - das macht sie gefährlich. Ein schwerer Sturm trifft die USA, eher unwahrscheinlich, dass es gleichzeitig in Japan stürmt. Dagegen können Pandemien und Computerviren zeitgleich auf allen Kontinenten auftreten.

Eigentlich müsste eine Pandemie dann zu hohen Schäden bei den Versicherern führen. Denn sie decken Krankheitskosten, versichern Familien gegen den Tod eines Angehörigen, zahlen Unternehmen Gewinnausfall, wenn die Bänder wegen Teilemangel stillstehen, und erstatten bei Insolvenzen Forderungsausfälle.

Die möglichen Folgen für Konjunktur und Kapitalmärkte bereiten Sorgen

Dennoch bleiben die Top-Manager mit Blick auf mögliche Schäden aus Versicherungsrisiken vergleichsweise ruhig. Mehr Sorge macht ihnen ein schwerer Einbruch der Finanzmärkte.

Die Allianz befasst sich seit Langem mit Epidemien wie der ab 2003 aufgetretenen Atemwegsinfektion Sars. Das steht für Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom. "Wir haben schon 2009 und 2010 Stress-Szenarien für die Allianz gerechnet und damals die Sars-Epidemie ab 2003 und die spanische Grippe von 1918 zur Grundlage gemacht", berichtet Tom Wilson, globaler Risikochef der Allianz. "Das Kernergebnis war, dass die Auswirkungen auf der Investmentseite um den Faktor zwei höher waren als auf der Risikoseite."

Natürlich wird es Schäden geben, sagt Wilson. "In der Industrieversicherung ist die Betriebsunterbrechung ein großes Risiko". Allerdings haben die meisten Unternehmen Policen, die nur dann greifen, wenn ein Feuer oder ein anderer Sachschaden bei einem Lieferanten zum Ausbleiben von Teilen und damit zum Stillstand der Bänder führt. Sogenannte Betriebsschließungspolicen, die auch bei Stillstand ohne Sachschaden zahlen, sind bislang teuer und werden selten gekauft - oft sind Pandemien auch ausdrücklich ausgeschlossen. "Die Schäden, die bei einer schweren globalen Pandemie entstehen würden, sind zu groß, um von einem einzelnen Versicherer getragen werden zu können", erläutert Munich Re-Manager Kraut. "Da stoßen Versicherer an ihre Grenzen."

Doch jetzt bewegt sich die Branche. Kraut hat mit seinem Team eine Police entwickelt, die auch bei Pandemien greift. Ein Teil des Risikos wird an Anleger weitergegeben. Seit Ausbruch des Coronavirus häufen sich die Anfragen von Kunden.

Aber die jetzt gültigen Betriebsunterbrechungs-Policen werden kaum zu Zahlungen wegen Stillstand durch Corona führen, argumentiert Allianz-Mann Wilson. Höhere Schäden kann er sich dagegen beim konzerneigenen Kreditversicherer Euler-Hermes vorstellen. Er sichert Unternehmen gegen Forderungsausfälle ab.

Die Krankenversicherer des Konzerns werden zwar für Schäden aufkommen müssen, zum Beispiel aus Krankenzusatzpolicen. Doch die Regierung in Peking hat angekündigt, für alle Kosten im Zusammenhang mit Diagnosen und Behandlungen in China aufzukommen. Auch wenn es zu einer Pandemie in Europa käme, würden die Staaten den größten Teil zahlen.

Selbst in der Lebensversicherung bleibt die Schadenbelastung durch Zahlungen an die Familien von Verstorbenen überschaubar. "Wenn wir die Corona-Pandemie betrachten, sind rund 80 Prozent der Todesopfer in China über 60 Jahre alt, und 75 Prozent hatten bereits Krankheiten wie Diabetes", sagt Wilson. Ältere Menschen haben aber seltener einen Todesfallschutz als jüngere, sie haben eher Privatrenten. Wenn ein Versicherter mit einer solchen Privatrente stirbt, belastet das Versicherer nicht.

Wilsons Sorge gilt vor allem den mehr als 550 Milliarden Euro, die der Allianz-Konzern für seine Versicherungskunden verwaltet. Eine globale Pandemie könnte die Kapitalmärkte erschüttern. "Verschiedene Branchen werden direkt betroffen", sagt Wilson. Dazu gehören die Tourismusbranche, Hotels und Fluggesellschaften. Außerdem würde der Welthandel leiden, es gäbe viele Betriebsunterbrechungen. "Das wirkt sich auf die Aktienkurse aus, aber auch auf Unternehmensanleihen." Dann droht eine globale Rezession. Die Allianz sei vorbereitet, betont Wilson. "Wir haben Absicherungen, und meistens erholen sich die Märkte von solchen Ereignissen vergleichsweise schnell." Dennoch: "Natürlich tut das weh."

© SZ vom 17.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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