Konsum:Knabberzeug als Krisennahrung

Lesezeit: 2 min

Die Süßwarenindustrie hat 2020 mehr verkauft als im Vorjahr, obwohl Volksfeste und Weihnachtsmärkte ausfallen mussten. (Foto: Günther Reger)

2020 wurden in Deutschland deutlich mehr Kekse und Snacks verkauft. Doch davon profitieren vor allem Supermärkte. Süßwarenläden und Hersteller haben gleich mehrere Probleme.

Von Benedikt Müller-Arnold, Köln

Das hehre Ziel, gesund zu speisen, gerät in der Corona-Krise manchmal aus dem Blick. Wer jeden Abend auf dem Sofa zubringt, gar im Urlaub brav daheimbleibt, mag sich mit manch Knabberei vertrösten. Auch Kinder zu betreuen, kann mit ein bisschen Süßkram leichter sein. Und wenn das Freibad und der Italiener schließen müssen, taugt eine Packung Eis im Froster mitunter als Ersatz.

Knapp 2,8 Millionen Tonnen Süßwaren und Knabberzeug wurden in Deutschland 2020 verkauft. Das sind 2,6 Prozent mehr als im Vorjahr, meldet der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI). Demnach wurde vor allem mehr Feingebäck wie etwa Kekse hergestellt und importiert. Auch die Produktion von Knabbereien stieg, ihr Import gar um acht Prozent. Einen Rückgang meldet der Verband hingegen bei Zuckerwaren wie Bonbons.

Die Corona-Krise spaltet die Branche, manche Fachgeschäfte sind pleite

Insgesamt blicke die Branche auf ein schwieriges Jahr zurück, sagt der BDSI-Vorsitzende Bastian Fassin, im Hauptberuf Chef der Fruchtgummi-Firma Katjes. "Es findet ein ganz neues Einkaufsverhalten statt." Die Menschen gingen zielsicherer und kürzer einkaufen, griffen eher zu Klassikern. Supermärkte und Discounter profitieren: Ihr Absatz mit Süßwaren sei "deutlich im einstelligen Bereich" gewachsen, sagt Ludwig Veltmann, Hauptgeschäftsführer des Mittelstandsverbunds.

Veltmann sorgt sich hingegen um Fachgeschäfte, die "existenziell gefährdet sind und teilweise nicht mehr öffnen werden". Denn der Süßwarenhandel lebt von Impuls-Käufen: Wer durch die Stadt oder über den Weihnachtsmarkt schlendert, erhascht spontan die ein oder andere Nascherei. Auch in Bahnhöfen oder Flughäfen kaufen Reisende Kaubonbons oder Souvenirs. All das bricht weg, wenn Läden wochenlang schließen müssen und kaum noch jemand reist. Und es trifft vor allem teurere Süßwaren.

"Corona spaltet die Branche", sagt Uwe Lebens, Aufsichtsratschef des internationalen Süßwaren-Handelsverbands Sweets Global Network. Beispielsweise haben die Ketten Arko, Eilles und Hussel vorige Woche Insolvenzantrag gestellt.

Süßwaren sind in Deutschland so günstig wie nirgendwo sonst in Europa

Händler und Hersteller vereint, dass Süßwaren beliebte Geschenke sind, gerade für Kinder. Doch während der Pandemie fallen viele Kindergeburtstage, Ostereiersuchen oder Nikolausfeiern aus. Viele Hersteller haben ihre Saisonware nur mit Rabatten vom Hof bekommen. So hat die hiesige Industrie 2020 insgesamt zwar in etwa genauso viele Snacks und Naschereien hergestellt wie im Vorjahr; dennoch ist ihr Umsatz leicht zurückgegangen, vor allem im Ausland. Auch haben die BDSI-Mitglieder 2020 - nach vielen Jahren Wachstum - erstmals wieder etwa 800 Arbeitsplätze in Deutschland abgebaut, sagt Fassin.

Und fernab der Pandemie steht die Industrie noch unter ganz anderem Druck: Die meisten Süßwaren und Knabbereien enthalten entweder viel Zucker oder viel Fett - oder beides. Die Branche steht in der Kritik, da deutlich mehr Kinder und Jugendliche übergewichtig sind als in den Achtziger- oder Neunzigerjahren; auch die Zahl der Diabetes-Erkrankungen ist gestiegen. Die Politik diskutiert daher über strengere Kennzeichnungen oder gar eine Zuckersteuer.

In der jetzigen Krise könne die Industrie keine zusätzliche Belastung mehr stemmen, versucht Fassin dagegenzuhalten. "Es ist daher nicht die Zeit für neue, kostspielige Regulierungen." Seine Branche bringe schon immer mehr zuckerfreie oder fettreduzierte Produkte auf den Markt. Auch in Zukunft wünsche er sich, dass Konsumenten selbst auswählen könnten, sagt der Fruchtgummi-Unternehmer, "und dass es nicht die Politik ist, die uns auf Einheitsprodukte hin entwickelt".

Dabei entkräftet die Industrie ein Argument gegen staatliche Eingriffe gleich selbst: dass Süßwaren etwa mit einer Zuckersteuer viel zu teuer werden könnten. So hat das Marktforschungsinstitut Nielsen im Auftrag von Sweets Global ermittelt, wie viel ein Warenkorb mit 16 identischen Markenprodukten von Chips bis Gummibären in 20 europäischen Ländern kostet. Demnach ist die Auswahl in Deutschland 27 Prozent billiger als im europaweiten Durchschnitt - und so günstig wie nirgendwo sonst in Europa.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: