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Die Reisebranche übergeht offizielle  Reisewarnungen bewusst. Das sendet fatale Signale aus.

Von Lea Hampel

Hier ein Clip für ein kuschliges Abendessen in Island, dort eine palmenreiche Anzeige für Strandklubs. Virus, Ansteckungsgefahr, Infektionen, war da was? Hauptsache, Urlaub. Dieses Bild vermitteln derzeit einige Reiseanbieter. Sie kündigen öffentlichkeitswirksam an, Gäste in als Risikogebiete definierte Regionen zu schicken. Nach dem Motto: Wenn ihr die Beschränkungen nicht ändert, sind wir nicht daran gebunden. Dass mancher in der Branche Empfehlungen des Staates als vernachlässigbar darstellt, sendet fatale Signale aus.

Wirtschaftlich ist der Schritt nachvollziehbar: Geringe Umsätze, Normalbetrieb frühestens im Jahr 2022, die Aussichten sind grässlich. Und tatsächlich war auch manche Vorgabe der vergangenen Monate schwer nachvollziehbar: Wenn Menschen aus privaten Ferienhäusern zurückgeholt wurden, wenn ganze Länder tabu waren, obwohl nur wenige Städte hohe Corona-Zahlen hatten, wenn Urlaub im Inland empfohlen wurde, während in Bayern die Infektionszahlen stiegen. Auch die Begründung der Touristik für ihre Angebote klingt gut: Man setze auf Eigenverantwortung und Mündigkeit des Bürgers. Doch den Firmen geht es nicht um bürgerliche Freiheiten, und die werden auch nicht durch Cocktails an einem spanischen Strand verteidigt. Sie wollen schlicht davon profitieren, dass es Menschen trotz und wegen allem in die Ferne zieht.

Die Sicherheit, die die Branche von der Politik fordert, gibt es nicht

Von Branchenvertretern kommt stets das Argument, Reisen sei nicht das Problem, sondern das Verhalten der Menschen. Garniert mit Anekdoten, dass man sich bei einer U-Bahn-Fahrt in Berlin eher anstecken könnte als in einer Finca im Nichts. Das ignoriert zum einen die Regel, die weiter gilt: Je mehr Menschen je länger unterwegs sind, desto größer die Ausbreitungswahrscheinlichkeit des Virus. Um im Bild zu bleiben: Wer nicht nur mit der U-Bahn in die Arbeit fährt, sondern in die Flughafen-S-Bahn umsteigt, fliegt und mit dem Bus ins Hotel fährt, hat aufgrund der größeren Anzahl Begegnungen ein höheres Erkrankungsrisiko. Zweitens geht es eben nicht nur um dieses Risiko. Sondern auch darum, ob man etwa das Virus in ein Land trägt, wo beispielsweise das Gesundheitssystem größeren Belastungen nicht standhält.

Ein weiteres Argument lautet, dass neue Tests und Sicherheitsmaßnahmen Übertragungsrisiken minimieren. Doch für eine Garantie sind zu viele Fragen offen. So mag ein Corona-Test zu Beginn und am Ende der Reise sinnvoll erscheinen. Doch viele schlagen erst drei Tage nach Infektion an. Es ist nur ein Beispiel von vielen dafür, dass es die Sicherheit, die die Branche verständlicherweise gern hätte, noch nicht gibt. Man mag Gesundheitsminister Jens Spahn für seine Politik kritisieren. Doch er hat recht, wenn er betont, dass nicht die Politik der Spielverderber sei, sondern das Virus. Das scheint mancher Touristiker zu vergessen, der von Berufsverbot spricht und Planungssicherheit fordert.

Das eigentliche Problem aber ist: Reisewarnungen sind aus guten Gründen keine Verbote, sondern Appelle. Der Einzelne hat natürlich das Recht, trotzdem zu fliegen. Aber wenn Unternehmen solche Angebote symbolträchtig vermarkten, stellen sie sich indirekt auf die Seite derjenigen, die nicht nur die Laieneinschätzung als gleichwertig mit der von Experten und Expertinnen einstufen. Sondern sie diskreditieren politische Entscheidungen, wenn diese nicht den eigenen Interessen entsprechen.

Besser wäre es, den Dialog zu forcieren. Dass die Branche effektvoll laut sein kann, hat sich gezeigt: An Milliardenpaketen für Tui, an erkämpften Überbrückungshilfen für Reisebüros, an der Ausdifferenzierung der Warnungen, an Beschlüssen der EU-Kommission, einheitlichere Vorgaben zu machen. In diese Richtung weiterzukämpfen, die eigene Position mit Argumenten statt Aktionismus zu untermauern, wäre Unternehmertum mit der Verantwortung, die die Firmen von Kunden und Politik fordern.

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