Computerspiele:Wie ein Schachspiel mit dem Sturmgewehr

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Spiele-Entwickler mühen sich um Glaubwürdigkeit. Echte Filme gelingen ihnen nie. (Foto: AP)

Videospiel-Studios entwickeln unter professioneller Anleitung immer komplexere Computerspiele. Dennoch interessiert sich kaum jemand für die Story. In den Mehrspieler-Arenen ist kein Platz für Meditationen über die Übel des Krieges. Ego-Shooter wie "Call of Duty" werden Kinofilme nie ersetzen.

Von Michael Moorstedt

Nun gut, die üblichen Rekordfakten zuerst: Innerhalb der ersten 24 Stunden nach Veröffentlichung hat das Videospiel "Call of Duty: Black Ops 2", ein in den Augen mancher Anhänger monokausaler Ursache-Wirkung-Theorien unbedingt verdammenswerter Ego-Shooter, 500 Millionen Dollar eingespielt. Vier Jahre in Folge, so freut sich dessen Publisher Activision, erhalte die aktuelle Version von Call of Duty damit nun schon den Titel "erfolgreichstes Entertainment-Produkt des Jahres". Und das vor allen "Fifty Shades of Grey" und James Bonds, die in den letzten zwölf Monaten an den Start gingen. Zusammengerechnet haben die Fans in Online-Arenen allein in der ersten Woche mehrere Millionen Stunden damit verbracht.

Um als erste an ein Exemplar des Spiels zu gelangen, warteten Spielfreunde - ähnlich wie beim Verkaufsstart der iPhones - teilweise tagelang vor den Läden. Und während der Veranstaltungen rund um die dann folgenden Publikation wurden dessen Entwickler - eher biedere Software-Entwickler und frei von jeglichem Glamour - wie Popstars gefeiert. Und doch wirkt die jährlich Neuauflage von Call of Duty wie der Wanderzirkus, der einmal im Jahr im Heimatort gastiert. Die gleichen traurig blickenden Tiere, die gleichen Nummern der Clowns, die gleichen missmutigen Popcorn-Verkäufer.

Zusammenarbeit mit dem militärisch-industriellen Komplex

Jedes Jahr bemühen sich die Studios der Videospiel-Entwickler zugleich um Realismus wie um narrative Glaubwürdigkeit. Dass sie längst eine intensive Zusammenarbeit mit diversen Abteilungen des militärisch-industriellen Komplexes unterhalten, weiß man nicht erst, seitdem vor einigen Wochen mehrere ehemalige Mitglieder der Elite-Einheit Navy Seals vom US-Marine Corps zu Strafen verurteilt wurden, weil sie bei der Entwicklung des Call-of-Duty-Konkurrenten "Medal of Honor" beratend mitgewirkt hatten.

Dem Willen zur Seriosität ist damit aber nicht Genüge getan: Von einigen klugen Köpfen des sicherheitspolitischen Thinktanks "Brookings Institution" ließen sich die Macher der jetzt aktuellen Version von Call of Duty das Fundament für ein fiktives Zukunftsszenario liefern - in dem der (in der Realität nun) unglückliche David Petraeus als US-Verteidigungsminister einen Cameo-Auftritt hat. Das Skript zum interaktiven Weltkrieg stammt von David Goyer, der einige Hollywood-Kredibilität mitbringt, immerhin hat er die Drehbücher für Christopher Nolans Batman-Trilogie mitverfasst.

So erzählt "Black Ops 2" in schnellem Fast-Forward und noch schnelleren Rückblenden eine Geschichte, deren Spannungsbogen und Vorhersehbarkeit einen ordentlichen Tom-Clancy-Standard erfüllt. Der Plot verbandelt eventuell bevorstehende Ressourcenkonflikte, die Ethik des Drohnenkrieges, soziale Ungerechtigkeit. "Also so lebt dieses eine Prozent", kommentiert einer der Charaktere, während das Special-Forces-Kommando eine Luxusvilla von Bösewichten säubert.

Das ist zwar eine für einen Ego-Shooter erstaunlich sozialkritische Bemerkung, deshalb erfüllt "Black Ops 2" aber lange noch nicht den selbstgesetzten Anspruch. Spiele funktionieren anders als Filme. Denn von aktiven Spielern kann man nicht verlangen, dass sie die dargestellte Gewalt infrage stellen. Ihr Spiel-Handeln löst deren Ästhetisierung ja erst aus. Deshalb entziehen sich die Spiele nicht nur der Call-of-Duty-Reihe auch einer Deutung. Um es mit Jean Baudrillard zu sagen: Wegen ihrer Hyperrealität werden sie zu ihren eigenen Simulacren.

Ein Videospiel zu entwickeln, erfordert viel Zeit, Know-how und Koordination. Was aber steckt dann hinter der atemlosen Geschichte, worin besteht ihr Zweck? Diese Anstrengungen bleiben ohne Aussage. Sie verpuffen, und - offen gestanden - sie interessieren die Zielgruppe nur peripher. Das Publikum ignoriert die Story.

Computerspiele sind eher ein Schachspiel

Ein überwältigender Anteil der Käufer spielt Call of Duty und Konsorten online im Multiplayer-Modus. Nicht gegen ein von den Programmierern vorgegebenes Übel, sondern mittelbar gegen menschliche Gegner. Was ist dagegen die aufwendig erdachte Geschichte? In der Mehrspieler-Arena ist kein Platz für Meditationen über die Übel des Krieges, über Moral und Pflicht. Stattdessen geht es darum, so betonen es die Fürsprecher der Ego-Shooter, die Taktik des Gegners zu durchschauen, zu durchbrechen, seine Züge zu antizipieren. Es geht darum, sich bewegende dreidimensionale Puzzles zu lösen - wenn auch mit Granaten, Hinterhalten und Frontlinien.

So sehr sie sich auch mühen, die aktuellen, vermeintlich realistischen Ego-Shooter können keine Videospiel-Versionen von Filmen wie "Full Metal Jacket" oder "Apocalypse Now " sein. Sie sind eher: ein Schachspiel. Auf dessen Feldern Bauern mit Sturmgewehren hantieren.

© SZ vom 30.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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