Volkswagen ist ein spezieller Konzern: Ein Bundesgesetz regelt, wer beim größten Autobauer des Landes, etwas zu sagen hat. Seit 1960 ist festgeschrieben, dass das Land Niedersachsen ein Vetorecht hat und 20,2 Prozent der Stimmrechte hält. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) sitzen beide im Aufsichtsrat. Wie also sieht das Bundesland die Menschenrechtsverletzungen in der westchinesischen Region Xinjiang?
Spätestens seit der Veröffentlichung der China-Cables-Dokumente von internationalen Medien, darunter SZ, NDR und WDR, Ende vergangenen Jahres ist das Ausmaß klar. Die chinesische Führung interniert in Xinjiang systematisch Angehörige der uigurischen Minderheit in Umerziehungslagern. Hunderttausende werden gegen ihren Willen weggesperrt, haben keinen Kontakt zu ihren Familien und müssen sich einer staatlichen Gehirnwäsche unterziehen.
Ausgerechnet in dieser Region betreibt VW gemeinsam mit dem chinesischen Staatskonzern SAIC seit 2013 ein Werk. In Urumqi, der Hauptstadt Xinjiangs, werden jedes Jahr etwa 50 000 Fahrzeuge aus vorproduzierten Teilen hergestellt. Die einzige echte Wertschöpfung vor Ort: Die Autos werden lackiert. Sonderlich wirtschaftlich erscheint das nicht. Zudem vereinbarte das VW-SAIC-Joint-Venture nach Informationen von SZ, NDR und WDR eine Kooperation mit der Bewaffneten Volkspolizei, jener Organisation, die in Xinjiang unter anderem für die Bewachung der Lager verantwortlich sein soll. Auch zwei Fahrzeuge wurden der Bewaffneten Volkspolizei überlassen. Dass diese Wagen bei Deportationen eingesetzt wurden, kann VW offenbar nicht ausschließen. Derzeit sehe man jedoch "keinen Mehrwert" in der Beantwortung von Fragen zu den beiden Autos, ist aus Wolfsburg zu hören. Ähnlich wortkarg fielen auch die Antworten der niedersächsischen Landesregierung auf eine Anfrage der Grünen aus, die nun vorliegen. Politische Verantwortung? Fehlanzeige.
"Inwieweit waren und sind die beiden Vertreter der Landesregierung im VW-Aufsichtsrat in Gespräche zu den Menschenrechtsfragen in Xinjiang eingebunden?", lautet die erste Frage. Die Antwort: "Die von der Landesregierung in den Aufsichtsrat der Volkswagen AG entsandten Mitglieder unterliegen hinsichtlich der in diesem Gremium behandelten Inhalte der aktienrechtlichen Verschwiegenheitspflicht."
Auch konkrete Auskünfte, etwa wie viele Uiguren tatsächlich im VW-Werk in Urumqi beschäftigt sind, gibt die Landesregierung nicht. Stattdessen heißt es schwammig: "Auf Nachfrage hat Volkswagen mitgeteilt, dass insgesamt rund 25 Prozent der 650 Mitarbeiter vor Ort Minderheiten angehören." Wie viele davon Uiguren sind? Großes Schweigen.
Dabei hat der Aufsichtsrat ein deutliches Wort mitzureden, wo VW überall in der Welt produziert. "Die Errichtung und die Verlegung von Produktionsstätten bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrats", heißt es im VW-Gesetz. In der Antwort der Landesregierung klingt das deutlich defensiver: "Bei der Auswahl von Produktionsstandorten handelt es sich um eine unternehmerische Entscheidung der Volkswagen AG." Sie falle in den Zuständigkeitsbereich des Vorstands.
"Der Landesregierung und Volkswagen fehlt es offensichtlich am Willen, transparent das Handeln des Unternehmens in Xinjiang zu untersuchen", kritisiert daher Ulrich Delius, Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker. "Öffentliche Kritik zu ignorieren und auszusitzen ist bei schwersten Menschenrechtsverletzungen unverantwortlich."