Chemie:Mitten im Umbruch

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BASF investiert bereits überwiegend außerhalb Europas. (Foto: pa/obs/BASF SE)

Die Chemieindustrie wächst rasant - aber vor allem in Asien. Für die deutschen Unternehmen bedeutet das: Verlagerungen, Übernahmen, Mega-Deals.

Von Helga Einecke, Frankfurt

Noch ist die deutsche Chemieindustrie mit dem Flaggschiff BASF weltweit führend. Sie muss sich nun aber auf einen tief greifenden Wandel einstellen. Dabei geht es nicht nur um Muskelspiele der Konkurrenz wie etwa aktuell die feindliche Übernahmeofferte des US-Saatgutherstellers Monsanto an den Schweizer Wettbewerber Syngenta im Wert von 45 Milliarden Dollar. Vielmehr werden sich die Gewichte weltweit stark verschieben. In der Chemie bleibe bald kein Stein auf dem anderen, heißt es in einer Studie des Beraterunternehmens Roland Berger, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Asien werde binnen zwei Jahrzehnten zwei Drittel des weltweiten Chemiemarktes erobern und das rohstoffarme Europa unter Kostendruck setzen. Zwar verlören die deutschen Konzerne damit nicht automatisch ihre Vormachtstellung, sie seien ja bereits international ausgerichtet, sagt Berger-Partner Alexander Keller. "Der Heimatmarkt Europa verliert aber als Impulsgeber und Motor an Bedeutung", gibt er zu bedenken. Eine Entwicklung, die sich schon seit einiger Zeit abzeichnet: Deutsche Unternehmen haben bereits Forschungszentren nach China oder in die USA verlagert. Die BASF etwa entwickelt ihre Gentechnik in Amerika, forscht zunehmend in Asien und investiert mehr außerhalb Europas als auf dem Kontinent.

Mega-Übernahmen wie der Fall Monsanto werden nach Einschätzung von Keller eher die Ausnahme als die Regel sein. "Die Unternehmen werden sich noch stärker auf bestimmte Felder konzentrieren und verkaufen, was sie nicht mehr wollen", sagt er. In der Agrarchemie sind auch BASF und Bayer im Geschäft, eine größere Monsanto hätte für sie Auswirkungen. Monsanto ist führender Saatguthersteller und verkauft gentechnisch veränderte Maissorten. Syngenta gilt als Nummer eins bei klassischen Pestiziden. Der Angriff der Amerikaner auf Syngenta ist nicht das einzige diskutierte Geschäft. Als weiteres Übernahmeziele gelten das Schweizer Spezialchemieunternehmen Clariant und die niederländische DSM, nach denen Evonik seine Fühler ausstrecken soll. "Wir werden einen kühlen Kopf bewahren und keine Abenteuer eingehen", versprach Konzernchef Klaus Engel am Dienstag auf der Hauptversammlung in Essen.

Der Konzentrationsprozess ist auch schon sichtbar. Bayer spezialisiert sich mit dem bevorstehenden Börsengang seiner Plastik-Tochter BMS auf die Gebiete Pharma, darunter vor allem auf rezeptfreie Medikamente, und die Agrarchemie. Die Berater von PwC zählten 2014 weltweit 177 Übernahmen und Fusionen in der Chemieindustrie mit einem Gesamtvolumen von 85,3 Milliarden Dollar. Dabei wurden die Fusionspartys vor allem in Ausland gefeiert. Asiatische Unternehmen stemmten nämlich fast die Hälfte dieser Summe.

Im sinnbildlichen Gebäude der chemischen Industrie in Europa wackeln der Berger-Studie zu Folge gleich mehrere Steine. Eine Petrochemie, die stark vom Rohstoffpreis abhängt, sei alleine in Europa kaum mehr überlebensfähig, wie die Schließung mehrerer Cracker zeige. Das hat die deutsche Chemie schon erkannt und symbiotische Produktionen gebildet. Diese effiziente Verkettung chemischer Prozesse ist unter dem Namen "Verbund" bereits in die englische Sprache eingegangen.

Öl und Gas würden auch weiterhin die Basis bleiben, glauben die Berater. Aber: "Langfristig werden bio-basierte Rohstoffe neben Öl und Gas an Bedeutung gewinnen. Man sollte frühzeitig dabei sein", empfiehlt Keller. Die deutsche Chemie müsse prüfen, in welchen Bereichen sich die nachwachsenden Rohstoffe rechnen.

Und schließlich wandern immer mehr Kunden ab. Der Textil- und Elektronikindustrie ist die Chemie bereits nach Asien gefolgt, oder hat sich in der Nähe von Autofabriken im Osten angesiedelt. Eine Überlebensgarantie scheint das nicht zu sein. Reifenproduzent Lanxess etwa kämpft mit Überkapazitäten in Singapur und China, auch die BASF spürt den Wettbewerb in Fernost. "Weitere Investitionen in Asien bedeuten nicht automatisch Erfolg", erläutert Keller. In China werde der lokale Wettbewerb schärfer, die heimische Konkurrenz professioneller.

Für die Überlebensstrategie chemischer Unternehmen in Deutschland sind nach Einschätzung der Berger-Berater drei Punkte wichtig. Sie müssen verstärkt nach Asien und in die USA schauen und global denken. Zweitens mache die Digitalisierung vor der Chemie nicht Halt. Einige Unternehmen arbeiteten bereits an einem Konzept 4.0, andere glaubten ohne eine entsprechende Strategie auskommen zu können. Als dritten Punkt streicht Keller die richtige Produktpalette heraus, die bei jedem Unternehmen anders aussehe. Allen gemeinsam aber sei der Rahmen: Die chemische Industrie müsse in Deutschland mit teuren Importen von Öl und Gas leben, mit einem kaum wachsenden Absatzmarkt in Europa und mit der Nachfrage nach immer komplexeren Produkten.

Der Planungshorizont der Industrie bewege sich in einem Zeitraum von 20 Jahren, schon deshalb sollte die Chemie rasch handeln. An Investitionsmöglichkeiten fehlt es nicht. Denn nach Berger-Schätzung wird sich der Chemiemarkt bis 2035 weltweit auf 5,6 Billionen Euro mehr als verdoppeln. Der Anteil Asiens soll dann 62 Prozent betragen.

© SZ vom 20.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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