Chaos an den Flughäfen:Ab Dienstag drohen Lotsen-Streiks

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Die Ruhe im Tarifstreit ist trügerisch: Ein Streik der Fluglotsen ist noch nicht abgewendet - am Dienstag oder Mittwoch müssen Passagiere mit Ausfällen und Verspätungen an den deutschen Flughäfen rechnen.

Jens Flottau

Im amerikanischen Tarifrecht gibt es eine sinnvolle Einrichtung, die "Cooling-Off-Period", eine Abkühlphase. Wenn sich Arbeitgeber und Gewerkschaft nach einer langen Auseinandersetzung nicht geeinigt haben und ein Streik unvermeidlich zu sein scheint, wird erst einmal eine Pause eingelegt. Da haben dann beide Seiten Zeit, die Gemüter zu beruhigen, einen erneuten Versuch zu starten, sich zu einigen und einen Ausstand doch zu vermeiden.

Reisende am Donnerstag am Frankfurter Flughafen: Passagiere müssen sich am Dienstag oder Mittwoch wegen eines Fluglotsen-Streiks auf Verspätungen und Wartezeiten einstellen. (Foto: dapd)

Nachdem ein Gericht den für vergangenen Donnerstag angekündigten Streik am Mittwochabend kurzfristig untersagt hatte, war am Wochenende Ruhe in die Auseinandersetzung zwischen der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) und der Deutschen Flugsicherung (DFS) eingekehrt. Man hätte glauben können, nach einer turbulenten Woche könnte eine Abkühlung eingetreten sein. Lediglich Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) kritisierte die Lotsen erneut.

Doch der Eindruck täuscht. In dieser Woche werden sich die Passagiere auf mindestens einen chaotischen Tag an den deutschen Flughäfen einstellen müssen. Nach allem, was hinter den Kulissen zu hören ist, wird es schon am Dienstag, spätestens am Mittwoch, so weit sein. Laut GdF steht schon fest, an welchem Tag die Lotsen die Arbeit niederlegen werden. Doch den genauen Termin will sie erst 24 Stunden vor Streikbeginn veröffentlichen.

Die Lotsen wollen es nicht bei regionalen, kurzen Aktionen belassen. Mit einem mindestens halbtägigen Ausstand muss gerechnet werden. Was viele, unter anderem Ramsauer, ärgert, ist, dass die Lotsen mitten in der Urlaubszeit streiken wollen. Den Fluggesellschaften kommt diese Wahl des Zeitpunkts zwar halbwegs gelegen: Die Zahl der teure Tickets bezahlenden Geschäftsreisenden ist in der Ferienzeit deutlich geringer als im September oder Oktober. Aber der öffentliche Druck auf den Verhandlungsgegner Flugsicherung ist in der Urlaubszeit größer. Rund 2500 Flüge und an die 300.000 Passagiere wären betroffen, wenn die Lotsen an einem normalen Vormittag im August in Deutschland die Arbeit einstellen.

Bis Redaktionsschluss am Sonntag hatte es nach Informationen der Süddeutschen Zeitung keine offiziellen - und wohl auch keine inoffiziellen - Kontakte zwischen Gewerkschaft und Flugsicherung gegeben. Die DFS hatte die Lotsen am Freitag zu neuen Gesprächen eingeladen, allerdings ohne ein neues Angebot. Die GdF hatte dies als sinnlos zurückgewiesen. Immer hakt es an den gleichen Punkten: Die Lotsen wollen nur besonders erfahrene Kollegen in bestimmten Führungspositionen haben, etwa in der Verkehrsplanung. Das Unternehmen spricht von Diskriminierung. Außerdem sollen die Wachleiter laut Gewerkschaft eine Lotsenlizenz haben, die DFS hält das nicht für notwendig. Und dann ist da noch die Frage, wie und mit wie vielen Überstunden die Mitarbeiter den Personalengpass, den es noch bis 2015 geben wird, überbrücken können. Forderungen nach mehr Lohn spielen fast keine Rolle.

Was in dieser Woche passiert, darüber wird in der Branche heftig spekuliert. Viele Beobachter halten es für wahrscheinlich, dass die Gewerkschaft voraussichtlich an diesem Montag einen Streik ankündigt und die DFS daraufhin erneut eine einstweilige Verfügung beantragt. Die GdF hat zwei der drei vom Frankfurter Arbeitsgericht in der vergangenen Woche beanstandeten Forderungen fallen gelassen, um auf Nummer sicher zu gehen.

Wird der Streik dann zugelassen, könnte die DFS noch die Schlichtung anrufen. Sie hat das auch in der vergangenen Woche nicht ausgeschlossen. Damit könnte sie den Ausstand doch noch abwenden und drei bis vier Wochen Zeit gewinnen. Die Frage ist, wann sie in die Schlichtung geht: vor dem Streik oder kurz nach dessen Beginn? Im zweiten Fall gebe es, so heißt es in der Branche, eine Basis für eine Schadenersatzklage der Fluggesellschaften gegen die Gewerkschaft. Und dass eine solche erfolgreich ist, daran müsste die Flugsicherung ein großes Interesse haben. Schon jetzt klagen dem Vernehmen nach Lufthansa, Air Berlin, Tuifly und Germania gemeinsam wegen eines regional begrenzten Ausstandes, der vor zwei Jahren in Stuttgart stattgefunden hat.

Viele glauben, dass es spätestens nach einem ersten Streiktag zur Schlichtung kommen wird. Auffällig war immerhin, dass am vergangenen Donnerstag der Luftverkehr in Deutschland völlig reibungslos verlaufen ist, obwohl die GdF den geplanten Ausstand erst am Mittwochabend um 22 Uhr abgesagt hatte. In Arbeitnehmerkreisen heißt es deswegen, die Flugsicherung habe den Fluggesellschaften unter der Hand zugesichert, dass sie die einstweilige Verfügung durchdrückt und, falls das nicht klappt, die Schlichtung anruft. Wären die Airlines nicht vorab informiert gewesen, hätten diese niemals so schnell von Notplan auf Normalbetrieb umschalten können, heißt es. Offiziell bestätigt so etwas natürlich niemand, aber so oder so ähnlich könnte es auch in der neuen Woche ablaufen.

© SZ vom 08.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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