Buchmarkt:Die Kunst, Amazon draußen zu halten

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Fünf Jahre nach der Buchhandelskrise eröffnen meist mittelständische Ketten wieder einen Laden nach dem anderen. Sie konzentrieren sich auf Geschäfte, die keine Nachfolger finden, und trotzen einem mächtigen Gegner.

Von Dieter Sürig

Der Laden hat eine dunkelbraune Holzfront, die an den Eiche-Rustikal-Schrank in Omas Wohnzimmer erinnert. Hier, wenige Meter vom Chlodwigplatz in der Kölner Südstadt entfernt, hetzen Passanten vorbei, vor dem Geschäft hält gerade eine voll besetzte Straßenbahn. Einzelhändler schätzen solche Lagen, sozusagen mitten im Leben. Dies ist aber längst kein Garant mehr für volle Kassen. Viele kämpfen am Rande der Selbstausbeutung ums Überleben - und finden keinen Nachfolger. Immer mehr solcher Läden werden von den Buchketten gerettet. So wie hier. Neu ist draußen nur das Schild: "Mayersche am Chlodwigplatz". Die mittelständische Buchkette Mayersche hat bereits mehrere solcher kleinen Läden von Buchhändlern übernommen. Die Konkurrenz tut es auch - nach der Branchenkrise ist es die Gelegenheit, wieder maßvoll zu wachsen. Die Kunst ist es, die Kunden mitzunehmen. Im Laden am Chlodwigplatz sind die Regale noch die alten, die früheren Mitarbeiter sind auch noch da. Das Rezept von Mayersche-Chef Hartmut Falter: "Wir wollen nicht als Kette wahrgenommen werden." Der 53-Jährige hat über Wettbewerbsvorteile von Filialbetrieben promoviert, hat viel über die Identität kleinerer Buchhandlungen nachgedacht und hier am Chlodwigplatz womöglich die ideale Symbiose beider Welten gefunden. Für ihn ist die Buchhandelskrise, in der auch die Mayersche schrumpfen musste, beendet: Seit drei Jahren eröffnet Falter wieder Läden, 14 neue Standorte sind es seitdem - heute gehören 55 Geschäfte zur Mayerschen, die 120 Millionen Euro Umsatz machen. Im nächsten Jahr sollen weitere dazu kommen. Zwischendurch muss Falter noch hin und wieder Läden schließen - so wie zum Jahreswechsel in Siegen, wo der Umsatz nicht gestimmt hat, die Mitarbeiter kommen aber anderswo unter.

Mitarbeiter am Stand des Diogenes-Verlags aus Zürich stellen in Frankfurt Bücher in ein Regal. Die Messe läuft noch bis zum 14. Oktober. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Alternativen gibt es genug, im Moment eröffnet Falter nämlich vor allem. Dabei lebt er den Trend hin zu überschaubareren Flächen. Er hat nicht nur gerade das 4500 Quadratmeter große Haus in Essen gegen einen neuen Standort mit einem Drittel der Fläche getauscht und die Duisburger Buchhandlung um 500 auf 2000 Quadratmeter verkleinert, sondern er eröffnet auch in Köln eine Stadtteil-Buchhandlung nach der anderen. So wie hier am Chlodwigplatz: 200 Quadratmeter, 650 000 Euro Umsatz im Jahr, nach hinten raus ein kleiner Garten, der für Lesungen geeignet wäre. Klein, aber fein ist das für Falter.

Und während der Besucher hinter der Fassade noch den alteingesessenen Buchhändler wähnt, der tapfer den Unwägbarkeiten der Branche trotzt, ist Gründer Johann Schumandl nach fast 42 Jahren längst in den Ruhestand gegangen.

Die Kunden reagieren skeptisch - auch, weil es eine Kette ist

Und wie finden die Kunden den Wechsel zu einer Kette? "Die Südstadt ist quirlig-literarisch. Sie lebt hier von den Geschäften vor Ort", sagt Mayersche-Buchhändlerin Astrid Blankenstein. Entsprechend sensibel reagieren die Menschen. "Es gibt Kunden, die neugierig sind, andere sind eher vorsichtig und skeptisch", sagt Blankenstein. Umso wichtiger findet es ihr Chef Hartmut Falter, das Geschäft nicht zu sehr zu verändern: "Die Kunden müssen sich auch erst einmal ein bisschen an uns gewöhnen." Trotzdem ist auch er skeptisch, als er die Plüsch-Glubschi-Figuren im Regal stehen sieht. "Muss das denn sein oder bin ich da zu sensibel?", fragt er in die Runde, aber Blankenstein kontert sofort: "Da fliegen doch die Kinder drauf."

Jede Übernahme ist auch für Falter ein Lernprozess - dabei ist er sowieso schon viel flexibler geworden. "Vor 15 Jahren hatte die Mayersche noch sehr konkrete Anforderungen, was Zuschnitt, Größe, Design und Mitarbeiter betrifft. Da konnten wir uns aus vielen Gründen nicht vorstellen, eine Buchhandlung zu übernehmen", sagt er. Damals hätte er noch lieber zehn neue Läden aufgemacht, als einen zu übernehmen, bekennt er. Nun scheint es umgekehrt - wohl auch deswegen, weil es kaum noch weiße Flecken auf der Buchläden-Landkarte gibt. Und das neue Konzept hat in den Augen Falters viele Vorteile: Es ist sehr viel planbarer. "Sie übernehmen einen Kundenstamm und einen Umsatz. Bei einem neuen Laden weiß man nie, ob die Planung so eintritt."

"Für den einzelnen Händler ist das eine zufriedenstellende Lösung, auch weil die Mitarbeiter weiter beschäftigt werden", sagt Axel Bartholomäus, Experte für Übernahmen in der Verlagsbranche. Eine Expansionswelle vor rund zehn Jahren sei mit einer enormen Flächenausweitung verbunden gewesen. "Das war betriebswirtschaftlich nicht optimal." Die Buchflächen wurden zu groß, in der Krise haben die Buchketten dazugelernt. Und Falter profitiert nun davon, dass es landauf, landab viele Buchhändler gibt, die keinen Nachfolger finden - wegen der schwindenden Leserzahlen und der sinkenden Umsätze. Auf einem speziellen Portal des Börsenvereins des Buchhandels sind etwa 50 Übernahmeangebote zu finden. "Meistens ist es der 60- bis 70-jährige Buchhändler, der aufhören möchte", sagt Falter. "Wir haben viele Angebote aus Nordrhein-Westfalen, aber der Hauptteil der Läden ist zu klein."

Es bleibt genug übrig: Die ehemals selbständigen Buchhandlungen helfen ihm dabei, womöglich in absehbarer Zeit dreistellig zu werden. "Die Einheiten werden kleiner, deshalb können wir uns gut vorstellen, bis 2023 die 100. Filiale zu eröffnen", kündigt er voller Optimismus an. Das Credo, in Nordrhein-Westfalen zu bleiben, hat die Mayersche bereits vor zehn Jahren mit einer Filiale in Trier (Rheinland-Pfalz) gebrochen. "Für die 100 müssen wir aber wohl schon über die Grenze springen", sagt Falter. "Oder wir gehen mit einem Schwung in eine andere Region." Wohin, das will er nicht verraten. Nur soviel: "Ich gucke manchmal neidisch in den Süden."

Dort ist allerdings die Kette Osiander beheimatet, mit der Falter ziemlich eng ist. Er sitzt im Aufsichtsrat des Tübinger Unternehmens (55 Filialen, 100 Millionen Euro Umsatz), Osiander-Chef Christian Riethmüller im Beirat der Mayerschen. Beide Familienunternehmen kooperieren miteinander - im IT-Bereich und beim Marketing. Verständlich, dass sich die Kette aus dem Westen und die Kette aus dem Süden nicht irgendwo Konkurrenz machen wollen. Sie stehen allerdings kurz davor: Riethmüller, 43, möchte in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern wachsen - am liebsten in den Mittelstädten. "Wir wollen Osiander so ausbauen, dass uns jeder südlich von Frankfurt kennt", lautet sein Motto. Dort liegt allerdings auch Trier - am Randes des Mayersche-Gebietes.

Kundenstamm, Infrastruktur, Marke: Der Umsatz ist wesentlich höher als früher

Von außen betrachtet liefern sich beide Buchhändler sowieso schon ein Wettrennen, was die Zahl der Filialen betrifft. Osiander hat in den vergangenen drei Jahren von 34 auf 56 Geschäfte aufgestockt - die Mayersche hat 55 - und für 2019 bereits zehn Verträge unterschrieben. Für Riethmüller gilt allerdings ein ehernes Gesetz: "Wenn irgendwo bereits ein anderer Regionalfilialist vorhanden ist, gehen wir in der Regel nicht in diese Stadt. Das Marktpotenzial muss da sein - aber ohne Verdrängungswettbewerb."

Beispiel Winnenden, nordöstlich von Stuttgart: Riethmüller wollte dort nicht hingehen, weil es in der Stadt mit 30 000 Einwohnern bereits vier Buchhandlungen gibt. Bis ihm Manuela Halder ihren Buchladen angeboten hat. Osiander investiert 200 000 Euro und eröffnet das Geschäft im März 2019 an einem besseren Standort. Für Osiander ist es nicht die erste Kooperation mit Händlern, die aufhören wollen. "Der Buchhändler versucht, einen Käufer zu finden, um Mitarbeitern den Arbeitsplatz zu sichern und die Tradition der Buchhandlung zu bewahren", sagt Riethmüller. Dann gehe es darum, die Wünsche des bisherigen Inhabers zu erfüllen. "Der Buchhändler gibt schließlich sein Lebenswerk ab, das ist eh eine emotionale Sache."

Manuela Halder freut sich, diese Lösung gefunden zu haben. "Die Überlegung stand im Raum, irgendwann an einen Nachfolger zu übergeben, weil ich 60 bin", sagt sie. "Meine Mitarbeiter sind zufrieden, weil sie übernommen werden, und ich werde auch weiterarbeiten." Sie erzählt, dass ihre Kunden etwas zwiegespalten sind, auch was das Sortiment angeht. "Wie groß unser Einfluss sein wird, weiß ich noch nicht, wir werden schon unser Gewicht einbringen." Aber: "Es könnte mir nichts Besseres passieren, auf Dauer wäre es ein finanzielles Risiko gewesen." Deshalb freut sie sich nun darüber "dass ich dann wieder Zeit habe, meine Kunden zu bedienen".

Für Riethmüller ist das Risiko nicht so groß, weil er den Kundenstamm und eine bessere Infrastruktur hat und die Bekanntheit der Marke Osiander ausspielen kann. Ergebnis sei dann ein wesentlich höherer Umsatz als zu Zeiten des Vorgängers. Die 151 Jahre alte Traditionsbuchhandlung Wittwer in Stuttgart ist für ihn ein gutes Beispiel, dass es selbst inhabergeführte Läden in guter Lage immer schwerer haben. "Wenn man nicht eine bestimmte Größe hat, kann man kaum noch bestehen." Wittwer ist gerade von der Kette Thalia übernommen worden, Kritiker sehen einen fortschreitenden Konzentrationsprozess in Stuttgart. Thalia-Chef Michael Busch bestätigt das ungewollt: "Wir haben jetzt vermutlich eine größere Marktbedeutung, als sie Osiander hat", sagte er am Dienstag im Hinblick auf den Markt im Südwesten.

Auch Thalia, 232 Geschäfte in Deutschland, baut sein Filialnetz mit der Übernahme von Buchhandlungen aus - im Geschäftsjahr 2017/18 kamen neun Läden in Deutschland und Österreich hinzu. "Wenn wir stationäre Präsenz haben, bekommt das Internet noch mal einen Schub", sagt Busch. Und er kann sein Netz "sukzessive verdichten", wie er es ausdrückt: "Der Anteil der Firmen, die direkt auf uns zukommen, nimmt zu." Die Münchner Buchhändlerfamilie Hugendubel ist bei Übernahmen zuletzt vor zehn Jahren in Ingolstadt in Erscheinung getreten. "Wir schauen uns nach geeigneten Flächen in 1A-Lagen um. Das können auch Buchhandlungen mit Nachfolgeproblemen sein", sagt Gesellschafterin Nina Hugendubel. Neben ihren 82 Filialen betreibt sie dafür in 69 Karstadt-Häusern einen Buchshop ohne Personal.

Letztlich geht es auch darum, sich gegen den Internetkonzern Amazon zu positionieren. Riethmüller sieht die Buchketten da naturgemäß als kleineres Übel, wenn es um die Rettung der angeschlagenen Branche geht: "Der größte Buchhändler vor Ort ist überall Amazon - das schafft keine Arbeitsplätze." Aber was können Händler tun, um von Ketten unabhängig zu bleiben? "Ich kann Buchhändlern nur raten, digital Kundenwissen anzusammeln und aus ihrem Geschäft mehr einen lokalen Treffpunkt zu machen", so Experte Bartholomäus. "Nur vom Hinstellen der Bücher kommt keiner mehr in den Laden." Er fürchtet, dass sich das Sterben des Buchhandels fortsetzen wird: "Zu viele betreiben ihr Geschäft selbstausbeuterisch." Ein Teufelskreis.

© SZ vom 11.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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