Buchhandel:Geschäft ohne Geschäfte

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Buchkauf in Zeiten von Corona: Die Kunden stöbern nach den wochenlangen Zwangsschließungen wieder in den Läden. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Wochenlang waren im ganzen Land die Buchläden geschlossen, die Händler verloren zwei Drittel ihrer Umsätze. Doch die Krise hat viele auch erfinderisch gemacht - und die Verluste sind sogar gesunken.

Von Dieter Sürig, München

Gerade hat Christian Riethmüller wieder einen Fahrradkurierservice gestartet - diesmal in Villingen-Schwenningen. Der Inhaber der Buchkette Osiander will mittelfristig die Hälfte der Bestellungen per Fahrrad ausliefern lassen. Es ist ein wichtiges Standbein des Familienunternehmens aus Tübingen, das über gut 70 Filialen verfügt. In sieben Städten sind Osiander-Bücher bereits umweltfreundlich unterwegs, weitere sollen folgen.

Dies ist Riethmüller auch in der Corona-Krise zu Gute gekommen. Die Läden waren wochenlang dicht, doch Osiander profitierte von seiner Bestellplattform im Internet, die etwa sieben Prozent des Gesamtumsatzes ausmacht. "Wir haben neue Kunden im Webshop, mit Steigerungsraten von 30 bis 50 Prozent", erzählt er. Sicher, das hat den Umsatzverlust in den Läden nicht ausgeglichen. Aber wenigstens ein bisschen. "Im ersten Halbjahr haben wir etwa 20 Prozent Umsatz verloren", schätzt Riethmüller - er steht damit im Branchenvergleich schlechter da.

Der Börsenverein des Buchhandels, der regelmäßig die Umsätze der Branche vermisst, hat für Januar bis Juni ermittelt, dass die Erlöse der stationären Buchhandlungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 13,9 Prozent, die aller Vertriebswege um 8,3 Prozent, zurückgegangen sind. Doch dies sind nur Durchschnittswerte, viele dürfte die Pandemie schwerer getroffen haben. Während der vier- bis fünfwöchigen Schließung in den meisten Bundesländern sanken die Erlöse der Buchläden dem Börsenverein zufolge um 65,7 Prozent. Die Umsätze der Verlage gingen um knapp 31 Prozent zurück.

Mit der Wiederöffnung hat der stationäre Buchhandel aber aufgeholt, der Umsatz im Monat Juni habe gar 6,8 Prozent höher gelegen als ein Jahr zuvor. "Nach der Öffnung Ende April haben wir in den ersten beiden Wochen richtig zu tun gehabt", erzählt auch Anita Krugg, die im Süden Münchens eine Buchhandlung betreibt. Sie spricht trotzdem von einem Umsatzverlust von etwa 30 Prozent im ersten Halbjahr - "das holt man nicht mehr auf".

Es hätte deutlich mehr sein können, wenn sie im Lockdown nicht Tag für Tag Buchbestellungen selbst ausgeliefert hätte. "Ich habe da ein Drittel des Umsatzes mit dem dreifachen Aufwand gemacht", sagt Krugg und freut sich über ihre treuen Kunden. "Wir sind mit einem blauen Auge davon gekommen", einen weiteren Lockdown würde sie nach eigenem Bekunden aber wohl nicht überstehen.

Der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, Alexander Skipis, lobt denn auch die "Findigkeit und Energie" der Buchhandlungen, darunter auch Online-Veranstaltungen, was jedoch bei sowieso geringen Margen Geld koste. "Die Umsätze sind relativ teuer erkauft", sagte er bei einer Pressekonferenz zur Lage der Branche. Und es ist auch nicht so, dass nun wieder alles in Ordnung wäre, wie Buchhändler Riethmüller sagt: "Angesichts Maskenpflicht, Abstandsregeln und der Angst vor Ansteckung ist es gerade nicht sexy, einzukaufen." Gerade in den Einkaufszentren sei dies zu sehen, "weil die Menschen noch nicht so gerne da reingehen". Er profitiert aber von den Läden in den Innenstädten, besonders in Orten wie Oberstdorf oder Konstanz, seit Tourismus wieder erlaubt ist. Und auch vom wachsenden Bedürfnis, regional einzukaufen. "Je kleiner die Stadt desto stärker sind die Umsätze, weil Menschen den Handel vor Ort unterstützen."

Der Börsenverein erwartet, dass die Branche das Jahr mit einem Minus abschließen wird

Bange schaut er aber auf das Weihnachtsgeschäft, da entscheidet sich traditionell die Güte des jeweiligen Geschäftsjahres. Für eine Erholung müssten aber die Läden voller sein, als es die aktuellen Hygieneregeln erlauben. Skipis vom Börsenverein erwartet, "dass wir Ende des Jahres mit einem Minus abschließen werden".

Angesichts der Corona-Bilanz ist eine Zahl fast untergegangen: Nachdem der Umsatz der Buchbranche seit 2016 zurückgegangen war oder stagnierte, stieg er 2019 wieder um 1,7 Prozent auf knapp 9,3 Milliarden Euro. Vor zehn Jahren lag er allerdings bei 9,7 Milliarden Euro. "Da haben wir ein Problem, das wir noch nicht im Griff haben", sagte Skipis, "wir verlieren Buchkäufer". Die Zahl der Kunden bei Publikumsbüchern sei binnen eines Jahres erneut um 3,5 Prozent auf 28,8 Millionen gesunken. 2012 waren es noch fast 37 Millionen, weshalb der Verband vor zwei Jahren eine Kampagne zur Förderung des Buches initiiert hatte. Skipis betont umso mehr, dass die Branche gefordert sei, Antworten zu liefern. "Verlage und Buchhandlungen leisten einen wesentlichen Beitrag für die Zukunft unserer Gesellschaft, das hat die Krise bewiesen, weil die Menschen gerade hier das Buch zu schätzen wissen."

Was die Verkaufswege betrifft, so haben Internetbestellungen 2019 erneut zugelegt - um 4,2 Prozent - auf 20 Prozent Umsatzanteil, während Buchläden leicht um 0,4 auf 46,2 Prozent Anteil wachsen konnten. Stagnation gibt es beim E-Buch, dessen Umsatzanteil (ohne Fachbücher) lag auch 2019 bei fünf Prozent. Die Krise hat Skipis zufolge aber vorübergehend einen Schub gebracht: "Das E-Book hat sich während des Shutdowns mit einem Plus von etwa 50 Prozent sehr stark entwickelt."

Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins, warnte zudem, die Corona-Krise führe dazu, dass 53 Prozent der deutschen Verlage geplante Bücher erst 2021 veröffentlichen wollen oder gar nicht (35,6 Prozent). "Einen großen Teil davon machen Titel von unbekannten Autoren und Nischentitel aus." Dies "gefährdet die literarische und kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft", mahnte sie.

© SZ vom 09.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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