Die meisten Trader leben von einer Serie vergleichsweise kleiner Wetten auf die Zukunft: Sie erwarten zum Beispiel, dass eine Aktie morgen ein bisschen mehr wert ist als heute. Setzen sie auf diese Erwartung und behalten recht, machen sie einen Profit, sonst nicht. Das Tolle an dieser Methode ist, dass man bei jedem Börsenschluss weiß, wo man steht: 100.000 im Plus oder 10.000 im Minus. Wobei einmal Minus als Pech gilt, zehnmal als Pechsträhne, und hundertmal als: Suchen Sie sich einen neuen Job.
Wer bleibt, wird ständig ein kleines bisschen reicher. Zumindest normalerweise; sobald nämlich etwas Unvorhergesehenes geschieht, kann man plötzlich eine Menge Geld verlieren. Talebs Anlagestrategie funktionierte genau andersherum: Er wettete jeden Tag darauf, heute einem schwarzen Schwan zu begegnen - also einem unerwarteten Ereignis, das das Börsenbarometer drastisch zum Ausschlagen bringt.
Es fühlte sich an, als würde er ganz langsam ausbluten
Weil das so selten vorkommt, konnte man sich mithilfe sogenannter "Options" für wenig Geld gegen solche Schwankungen "versichern". Passierte nichts, verlor man seine "Prämie"; geschah aber doch mal etwas, war die Belohnung potenziell riesig.
Anstatt also jeden Tag ein bisschen zu gewinnen und dabei das geringe Risiko hinzunehmen, eines Tages vielleicht eine Menge zu verlieren, war Taleb bereit, jeden Tag ein bisschen zu verlieren - für die geringe Aussicht, eines Tages vielleicht eine Menge zu gewinnen.
Das Magazin The New Yorker hat vor über zehn Jahren in einem Porträt beschrieben, wie grausam diese Strategie war. Taleb verlor jeden Tag einige Hunderttausend Dollar. Mal hatte er bis zum Abend 85 Prozent seines Einsatzes zurückgewonnen, mal 84 Prozent, mal sogar nur 65. Es fühlte sich an, als würde er ganz langsam ausbluten. Wer gegen ihn wettete, wurde jeden Tag ein bisschen reicher, er selbst jeden Tag ein bisschen ärmer.
Es muss die Hölle gewesen sein
Taleb entwickelte nervöse Tics, hörte nur noch bestimmte Komponisten, parkte immer auf dem selben Parkplatz, brauchte dringend einen bestimmten Kollegen an seiner Seite, aß nur noch diese und jene Nahrung . . . Es muss die Hölle gewesen sein.
Und das war vor den Büchern und Vorträgen. Richtig unerträglich wurde es, als Taleb 2001 per Buch fast die gesamte Wall Street als "Narren des Zufalls" bezeichnete. 2007 legte er nach und veröffentlichte "Der schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse". Er sagte später über diese Zeit: "Die Finanzwelt hasste mich leidenschaftlich, alle dachten, ich sei ein Idiot." Dabei gab ihnen jeder Blick auf seinen Computer recht: Wieder 300.000 weniger. Und wieder. Und wieder.
Um das auszuhalten, braucht man einen nahezu unerschütterlichen Glauben an sich selbst. Wer in so einer Lage nicht davon überzeugt ist, alles richtig zu machen, wird weich und knickt irgendwann ein. Man blutet, wird beschimpft: Wer hält so etwas schon lange aus? Doch Taleb blieb bei seiner Strategie.