Brettspielmesse:Neue Spielregeln

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Das Brettspiel "Risiko" aus dem Jahr 1957 ist ein Klassiker, bekommt aber immer wieder neue Konkurrenz: Auf der Spielemesse werden 1400 Neuerscheinungen präsentiert. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Die Brettspielmesse lebt von den Treffen, dem Ausprobieren, dem Miteinander. 2020 gibt es sie aber nur digital - das bedeutet auch einen Generationenwechsel.

Von Daniel Wüllner, München

Wie finden Menschen unter 1400 neuen Brett- und Gesellschaftsspielen das richtige für sich? Wird es einen geschützten Raum geben, in dem sich Verlage Prototypen ansehen können? In einer alten Stadtvilla in Bonn-Poppelsdorf treffen Dominique und Max Metzler die letzten technischen Entscheidungen. Denn aus der weltweit größten Brettspielmesse, der Spiel, wird am 22. Oktober die "Spiel.digital".

Normalerweise drängen sich auf der Spiel jedes Jahr mehr als 200 000 Besucherinnen und Besucher durch die Messehallen Essen. Verlage aus aller Welt präsentieren ihre Neuheiten. Brettspielerinnen und Brettspieler probieren aus und kaufen gleich. Entwicklerinnen und ihre männlichen Kollegen knüpfen Kontakte. Für die Szene ist die Messe eine Art von Klassentreffen. Die gemeinschaftliche Stimmung an den Tischen macht aus der Veranstaltung den Pilgerort für Brettspiele. In den vergangenen Jahren ist sie stetig gewachsen, ebenso das Interesse an diesem Hobby. Kontinuierlich steigende Besucherzahlen und Gewinne der Verlage belegen dies.

Im Corona-Jahr die Messe wie üblich durchzuführen, war für die Metzlers schnell undenkbar. Als die Veranstaltung am 18. Mai offiziell auf 2021 verschoben wurde, diskutierten Mutter und Sohn über Alternativen. Am nächsten Tag ging die Ausschreibung für eine "Spiel.digital" an 20 Entwicklerbüros. Die Zusage bekommt Cosee, eine Agentur für Softwareentwicklung aus Darmstadt. Die Spielemesse kann doch stattfinden, virtuell.

Schon seit 2018 in Teilen digital: Die Spiel sendet per Twitch

Für die Planung eines solchen Events gelten andere Spielregeln, als Dominique Metzler gewohnt ist. Seit dem Tod von Friedhelm Merz 1996 führt sie den gleichnamigen Verlag, der die Messe veranstaltet. Sie organisiert, redet und telefoniert mit jedem. Was nicht heißen soll, dass Digitales für sie Neuland bedeutet. Seit 2018 wird live per Twitch von der Messe gesendet. Die üblichen Social-Media-Accounts gibt es selbstverständlich auch. Über den offiziellen Twitter-Account @Spiel_Messe kommuniziert die 57-Jährige mit Spielern auf der ganzen Welt. In ihren Tweets klingt sie wie im echten Leben: ein Charakter so kratzig wie Bonnie Tylers Stimme. Dort streitet sie öffentlich und zeigt sich zugleich auch sehr emotional, weil die Messe ihr Baby ist. Jeder, der mit Brettspielen zu tun hat, kennt Dominique Metzler. Diese Frau ist die Spielemesse. Im vergangenen Jahr gab sie bekannt, dass ihr Sohn im Unternehmen arbeitet und es weiterführen wird.

Max Metzler, in der digitalen Welt aufgewachsen, sitzt neben seiner Mutter im Büro. In seiner Schublade lag die Idee für eine digitale Messe schon seit ein paar Jahren. Diese parallel zur analogen Veranstaltung umzusetzen? Unmöglich, meinte Dominique Metzler vor Corona. Nun zwingt die Pandemie beide Metzlers zum Handeln. Während die Mutter Rückzahlungen für Aussteller abwickelte, führte ihr Sohn bereits Gespräche mit den Entwicklern. Doch die Planung der digitalen Spielemesse teilt sich nicht in Jung und Alt. Sohn und Mutter entscheiden gemeinsam über die "user experience" - also darüber, wie die digitale Messe für ihre Besucherinnen und Besucher benutzbar sein und sich anfühlen soll.

Gibt es bei diesen Entscheidungen Konflikte zwischen beiden Generationen? Dafür sei in der anstrengenden Planungsphase einfach keine Zeit gewesen, sagt Max Metzler. Obwohl, einen größeren Streit habe es gegeben. Die beiden Metzlers schauen sich jetzt an, an ihrem Schreibtisch. Worum es ging, haben beide vergessen.

Die Vorbereitung der Messe ist deutlich anstrengender als in allen vergangenen Jahren, erklärt Dominique Metzler, da sie nicht auf die Routine des physischen Events zurückgreifen kann. Alles ist neu. Entscheidungen müssen schnell getroffen werden. Die Agentur setzt einzelne Anforderungen in Arbeitseinheiten, sogenannten sprints, innerhalb von zwei Wochen um. Die finale Form der Messe ist bei dieser Art zu arbeiten schwer abzuschätzen.

Wie müssen sich die Gäste eine digitale Spielemesse vorstellen? Es soll interaktiv sein, sagt Max Metzler, wie auf der normalen Messe: mit anderen gemeinsam Spiele ausprobieren und am besten gleich kaufen. Externe Partner bieten digitale Umsetzungen von Neuerscheinungen, die im Chat erklärt und auch ausprobiert werden können. Für das Gemeinschaftsgefühl sorgt die Brettspielszene. Blogger, Podcaster und Youtuber ergänzen das Programm: Vom 22. bis 25. Oktober wird es Spielevorstellungen und Interviews in einem eigenen Livestream geben. Dazu kommt ein Podcast-Radio und Video-Berichterstattungen in mehreren Sprachen.

Mutter und Sohn: Dominique (l.) und Max Metzler planen die Veranstaltung gemeinsam. (Foto: Max Metzler/Friedhelm Merz Verlag)

Lohnt sich eine digitale Messe für den Friedhelm-Merz-Verlag? Einen wirtschaftlichen Gewinn erwarten die Metzlers nicht. Entscheidend für den Erfolg des Projekts ist die Zufriedenheit der mehr als 400 Aussteller aus 41 Nationen. Die Messe lebt von ihnen. Die "Spiel digital" kann für den Verlag aber auch ein neues Geschäftsmodell in Corona-Zeiten bedeuten, etwa als digitale Heimat für das Hobby. Oder als Vorarbeit, falls im nächsten Jahr immer noch keine Messen erlaubt sind.

In den letzten Tagen vor dem Start musste noch die digitale Pressekonferenz auf Youtube vorbereitet werden. Die Metzlers sind aufgeregt, weder Mutter noch Sohn können gut schlafen, erzählen sie. Ob die digitale Spiel das Messegefühl ins Netz übersetzen kann, wird sich zeigen. Doch klar ist: Seit 2020 ist die Spielemesse nicht mehr nur Dominique. Die Spiel, das ist Familie Metzler.

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