BP: Katastrophe am Golf von Mexiko:Von Krisenstab zu Krisenstab

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Die Katastrophe am Golf von Mexiko erschüttert BP. Vorstandschef Tony Hayward nimmt persönlich den Kampf gegen die Ölpest auf. Doch es steht ihm eine Sicherheitsdebatte bevor.

Andreas Oldag

Als Tony Hayward die bohrenden Fragen des amerikanischen Radioreporters beantwortet, wirkt der BP-Chef für einen Moment müde und abgespannt. Doch er reißt sich zusammen. "Wir werden für die Aufräumarbeiten aufkommen", sagt Hayward.

Der verzweifelte Versuch, das Auslaufen des Öls im Golf von Mexiko zu stoppen: Das Bild zeigt eine Ersatzbohrinsel. Mit ihrer Hilfe soll in der Nähe des Unglücksortes der gesunkenen Plattform ein Entlastungsbohrloch gesetzt werden. (Foto: Foto: dpa)

Immer wieder hat er dies in den vergangenen Tagen so gesagt. Unzählige Male. Nun steht er mit hochgekrempelten Hemdsärmeln im BP-Krisenzentrum in der Stadt Houma an der amerikanischen Golfküste. Der 52-Jährige will hier klarmachen, dass der britische Konzern die Verantwortung für eine der größten Ölkatastrophen in der US-Geschichte übernimmt.

Deshalb sucht der Topmanager das Gespräch mit aufgebrachten Fischern. In Gummistiefeln stapft er durch das seichte Wasser. Er eilt von Krisenstab zu Krisenstab, häufig begleitet von seinem engen Mitarbeiter, dem amerikanischen BP-Chef Lamar McKay. Der äußerte sich optimistisch über die Fortschritte bei der Abdichtung der drei Lecks. Eines konnten die Ingenieure jetzt schließen, obwohl sich die Menge des austretenden Öl noch nicht verringerte.

Mehr Erfolg erhoffen sich die Fachleute von einer 70 Tonnen schweren Stahl-Kuppel, die an diesem Donnerstag über die Ölquelle gestülpt werden soll.

Als Hayward früh morgens um 7.30 Uhr am 21. April in London die telefonische Nachricht von dem katastrophalen Brand auf der im Auftrag von BP betriebenen Plattform "Deepwater Horizon" erreichte, war dem 52-Jährigen klar, dass dies ein Wendepunkt in seiner Karriere sein wird.

Er zögert nicht lange. Wenige Tage später ist Hayward vor Ort, um den Kampf gegen die Ölpest aufzunehmen. Doch mit jedem Barrel Öl, das in 1500 Meter Tiefe aus den Lecks strömt, wird die Zeit knapper. Längst steht nicht mehr nur das Image des britischen Konzerns auf dem Spiel. Die Börsen reagieren nervös.

Milliardenverluste beim Börsenwert

Seit Ausbruch der Katastrophe im Macondo-Ölfeld hat BP etwa 35 Milliarden Dollar - umgerechnet 27 Milliarden Euro - seines Börsenwerts eingebüßt. Das mag die Folge übertriebener Spekulanten-Panik sein. Doch es zeigt auch das Misstrauen der Anleger, zumal die Kosten für die Beseitigung der Ölpest weiter steigen könnten.

Rebellische Aktionäre und Pensionsfonds wollen außerdem eine Kampagne gegen BP wegen der Umweltschäden starten. Der Konzern steht am Pranger. Und es wird teuer werden: Schon jetzt rechnen Analysten mit etwa zwölf Milliarden Dollar für die Aufräumarbeiten einschließlich Schadenersatz- und Strafzahlungen.

Auf BP entfielen davon mindestens acht Milliarden Dollar, während der andere Teil wahrscheinlich von der japanische Firma Mitsui of Japan und der US-Ölgesellschaft Anadarko übernommen werden müsste, die ebenfalls an der Lizenz für das Macondo-Feld beteiligt sind.

Noch gilt die Tankschiff-Havarie der Exxon Valdez im Jahre 1989 als bislang schlimmste Ölkatastrophe. Etwa 40 Millionen Liter Öl gelangten ins Meer und verseuchten die Strände im Prince William Sound in Alaska. Der US-Multi Exxon Mobil zahlte 3,5 Milliarden Dollar für den Schaden. Bis heute ist die Küste mit Öl belastet.

Noch strömen aus dem Bohrloch im Tiber-Feld täglich rund 800.000 Liter Öl. Für die Dimensionen der Bohrung bitte auf die Grafik klicken. (Foto: Foto: SZ-Graphik)

Für BP ist "Deepwater Horizon" allerdings schon jetzt ein Desaster, das auch deutlich macht, dass die Beherrschung komplexer Großunternehmen an ihre Grenzen stößt. Zwar sind der Betrugsskandal bei der US-Investmentbank Goldman Sachs und die Bremsen-Schlampereien beim japanischen Autohersteller Toyota nicht unmittelbar vergleichbar mit dem Fall BP.

Umweltfreundliches Image

Doch Konzerne erreichen irgendwann eine kritische Größe, die es offenbar immer schwieriger macht, Risiken richtig einzuschätzen und abzuwägen. BP und andere Ölkonzerne müssen sich fragen, ob der Vorstoß in die Tiefsee die Grenzen des Machbaren überschreitet - nicht nur hinsichtlich der Ingenieurskunst, sondern auch der umfassenden Kontrolle durch das Management.

Gefordert ist aber auch die Politik, die dem ehrgeizigen Streben der Ölindustrie mit strengen Sicherheitsauflagen und der restriktiven Vergabe von Lizenzen Grenzen setzen muss. Dabei wollte Hayward bei seinem Amtsantritt vor drei Jahren eine Revolution beim britischen Konzern sorgen.

Er löste Lord John Browne ab. Der in den Adelsstand erhobene Manager hatte dem Unternehmen zwar ein umweltfreundliches Image verpasst und unter anderem in das Geschäft mit Solartechnik investiert. Zugleich schob Browne die milliardenschwere Übernahme des amerikanischen Konkurrenten Amoco 1998 an.

Integration der Firmenkulturen misslang

Doch die schwierige Integration der unterschiedlichen Firmenkulturen misslang. Zudem pflegte Browne, der intern auch der Sonnenkönig genannt wurde, einen autokratischen Führungsstil: Kritik wurde unterdrückt. Der Chef ließ sich von Ja-Sagern abschirmen. Die Kommunikation zwischen den Managementebenen funktionierte nicht.

Die Folgen waren fatal: Mit seinen 80.000 Mitarbeitern mutierte BP zu einem schwerfälligen, bürokratischen Koloss. Die Quittung für die Versäumnisse bekam er dann 2005. Bei einem schweren Unfall in einer texanischen BP-Raffinerie starben 15 Arbeiter. Ein im Anschluss erstellter US-Untersuchungsbericht warf dem Konzern eklatante Managementfehler und Missachtung von Sicherheitsstandards vor.

Ein Jahr später liefen aus einer defekten BP-Pipeline in Alaska etwa eine Million Liter Öl aus und führten zu großen Umweltschäden. "Die Spitze des Unternehmens hört nicht aufmerksam genug auf das, was die Basis sagt", schrieb Hayward Ende 2006 in einem internen Rundbrief.

Das kam einer Art Kriegserklärung gegen den Autokraten Browne gleich. Als Hayward dann endlich im Frühjahr 2007 die Gunst der Stunde ergriff und Browne ablöste, machte er sich an die Arbeit, seine Vision von einem modernen Unternehmen umzusetzen. Ein frischer Wind fegte durch die Büros des gut 100 Jahre alten Konzerns am Londoner St. James' Square.

Hierarchien gekappt

Hayward kappte Hierarchien. Er setzte auf jüngere Manager-Talente. "Mit der Genauigkeit eines Lasers", werde man sich der Sicherheitsprobleme im Unternehmen annehmen, verkündete der neue Chef, der 1982 als junger Geologe bei BP angefangen hatte.

Zugleich startete Hayward ein ambitioniertes Sparprogramm, um die schwache Rentabilität des Konzern zu stärken. 6500 Jobs fielen dem Rotstift zum Opfer.

Haywards harter Sanierungskurs ist erfolgreich. Im ersten Quartal 2010 gelingt es dem Konzern, seinen Überschuss um 138 Prozent auf 6,2 Milliarden US-Dollar zu steigern. "Ausgerechnet jetzt trifft uns das Deepwater-Desaster im Golf. Es ist wie verhext", meint ein britischer BP-Manager.

Die Schatten der Vergangenheit scheinen den Konzern jedenfalls wieder einzuholen. Sicher ist, dass dem Unternehmen erneut eine Debatte über die Sicherheitskultur bevorsteht. Dabei wird es allerdings nicht nur um besser funktionierende Absperrventile an den Bohrlöchern gehen, sondern auch um Strategie und Risikoabschätzung bei der Erschließung neuer Energiereserven.

Wie die gesamte Branche ist BP mit dem Problem konfrontiert, dass die westlichen Ölkonzerne ihre einst dominierende Rolle in wichtigen Förderstaaten, insbesondere im Nahen Osten eingebüßt haben. Nationalistisch eingestellte Regierungen vertreiben die Unternehmen von den Öl- und Gasfeldern.

Schwindende Reserven

Für die Multis hat dies einschneidende Folgen. In den sechziger Jahren beherrschten sie noch 85 Prozent der Welterdölreserven. Doch derzeit hat "Big Oil" nur noch direkten Zugriff auf 16 Prozent der Reserven. Mindestens 65 Prozent werden von staatlichen Unternehmen der Förderländer kontrolliert.

Angesichts der ohnehin schwindenden Reserven konzentrieren sich Exxon Mobil, Chevron, BP und Shell deshalb darauf, ihre Geologen und Bohrtrupps in die letzten noch unberührten Regionen zu schicken. Ein ebenso teurer wie risikoreicher Wettkampf um die Claims in der Arktis und der Tiefsee.

BP gilt dabei als Pionier in der Branche: Erstens öffnet das im Jahr 2003 geschlossene britisch-russische Joint Venture TNK-BP dem Konzern den Zugang zu den großen Energiereserven Sibiriens. Einen nervenaufreibenden Streit um die Führungsstrukturen mit den russischen Anteilseignern konnte Hayward durch einen Kompromiss lösen.

Führende Rolle im Golf von Mexiko

TNK-BP ist für BP von erheblicher Bedeutung: 22 Prozent seiner Ölproduktion und 19 Prozent der Erdöl- und Gasreserven entfallen auf das Gemeinschaftsunternehmen.

Zweitens hat der Konzern erst vor kurzem mit einem sieben Milliarden Dollar schweren Erwerb von Ölfeldern der US-Firma Devon Energy seine führende Rolle im Golf von Mexiko festigen können. Noch vor wenigen Jahren galt der Golf unter Ölexperten als "totes Meer".

Bereits in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts rammten Pioniere in den Sümpfen Louisianas Bohrgestänge in die Erde. Zuletzt war allerdings aus den Lagern in den Marschen und flachen Küstengewässern kaum noch schwarzes Gold herauszuquetschen. Doch seit den 90er Jahren, als die ersten schwimmenden Plattformen aufs offene Meer geschleppt wurden, erlebt die Region ein Comeback.

Tiefseebohrungen heißt das neue Zauberwort der Branche. Die Offshore-Förderung im Golf von Mexiko trägt immerhin zu einem Viertel zur heimischen Ölproduktion der USA bei. Das lockt die Konzerne immer weiter ins Meer hinaus. Vielleicht zu weit.

© SZ vom 06.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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