BMW:Ein Werk zu viel

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Wachstum vor Rendite: Bei BMW rächt sich die langjährige Strategie - der Autohersteller leidet unter enormen Überkapazitäten.

Michael Kuntz, Leipzig

Der Hit von Amy Macdonald "This is the life" schallt durch die 600 Meter lange Halle bei BMW in Leipzig. Im Takt von 74 Sekunden montieren Arbeiter in blauer Kluft die Stoßstangen an den Autos der 1er-Baureihe. Werksführer Manfred Ludwig steht unter Zeitdruck. Er muss sich beeilen, damit seine Besuchergruppe noch ein lebendiges Werk sieht. Denn schon um 14.30 Uhr fällt der Hammer, dann ist Schluss an diesem Tag, und das schöne Werk dämmert vor sich hin bis zum nächsten Morgen um sechs. So ist das Leben in der neuesten Autofabrik von BMW, die zweimal so groß ist wie die Leipziger Innenstadt und 1,2 Milliarden Euro gekostet hat.

BMW mit großen Sorgen: Deutlich weniger Autos wurden verkauft, der Gewinn brach massiv ein. (Foto: Foto: AP)

Gewinnrückgang von 90 Prozent

Sie wurde 2005 eröffnet, als BMW noch wuchs und wuchs und ein Arbeitsplatz beim bayerischen Autohersteller vielen wie ein Haupttreffer im Lotto erschien. Doch aus der amerikanischen Immobilien- wurde die weltweite Finanzkrise. Die Verkäufe luxuriöser Autos brachen um mehr als ein Viertel ein. Der Gewinn von BMW schrumpfte auf ein Zehntel. Nun ist Krise auch in Leipzig, nun wird auch hier früh schlussgemacht.

"Das Werk in Leipzig bereut BMW schon lange"', bringt es ein Automanager drastisch auf den Punkt, der sich nicht nur in der Branche auskennt, sondern auch bei BMW, weil er da mal weit oben tätig war. An der Spitze des Konzerns steht seit September 2007 Norbert Reithofer. Er wird am Mittwoch bei der Bilanzpressekonferenz nicht nur erklären müssen, wie der Gewinn innerhalb eines Jahres von 3,1 Milliarden auf 0,3 Milliarden Euro zusammenfallen konnte.

Die Journalisten aus aller Welt werden Reithofer vor allem fragen, wie er BMW aus der Krise bringen und die Werke wieder auslasten will. Die Veranstaltung findet in der edlen BMW-Welt am Münchner Olympiagelände statt, "die wir gebaut haben, als wir noch Geld hatten", wie es eine BMW-Führungskraft sarkastisch formuliert.

Reithofer war eigentlich angetreten, um die seit Jahren stagnierenden Gewinne anzuheben. Denn bereits lange vor der Wirtschaftskrise hatte sein Vorgänger ein Problem: BMW musste immer mehr Autos produzieren, um einen hohen, aber über Jahre hinweg fast gleichbleibenden Gewinn zu erwirtschaften. Ohne Mengenwachstum wäre der Profit deutlich gefallen. BMW hatte 2005 seine Modellpalette mit dem 1er nach unten erweitert. Aber auch der weltweite Marktführer bei Premiumautomobilen konnte das Gesetz seiner Branche nicht aushebeln, wonach an kleinen Fahrzeugen wenig und an großen viel verdient wird. Sprich: Die Rendite sinkt. Der Konzern musste also immer mehr umsetzen, um bei weniger Rendite den Gewinn zu halten.

Bei BMW selbst heißt es, man verdiene sowohl an der 1er-Baureihe als auch am Mini. Genau das aber wird bei anderen Autoherstellern stark bezweifelt, "wenn man alle Kosten einrechnet". Zum Beispiel die für das erweiterte, praktisch neue Werk im englischen Oxford, in dem die zweite Generation des Mini gebaut wird. Bei dem Auto wurde der Erfolg zeitweilig zum Problem: Die alte Fabrik in England platzte aus allen Nähten, als sich die bayerische Neuauflage des britischen Klassikers überraschend toll verkaufte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie bei BMW die Weichen für mehr Wachstum gestellt wurden.

Wachstum ist bei BMW das zentrale Glaubensbekenntnis, auch weil nur so die Spirale aus ständiger Steigerung der Produktivität in den Werken und der Herstellung von immer mehr Autos funktioniert. Die Weichen für den Wachstumskurs hatte bereits Reithofers Vorvorgänger Joachim Milberg gestellt. Als Produktionsvorstand errichtete er das US-Werk in Spartanburg. Später setzte er als Vorstandschef den Bau des Werks Leipzig durch. Milberg wollte Platz schaffen im Werk Regensburg. Dort ließ er den 1er-BMW bauen. Der ist Milbergs Baby und verkaufte sich so gut, dass er bald auch in Leipzig zusätzlich zum 3er produziert wurde.

Beim Spatenstich in Leipzig 2002 erklärte Milberg: "Wir schaffen Kapazitäten für unsere Produkt-Offensive." Er sagte damals allerdings auch: "Wir werden das Werk auch noch in zehn Jahren vor den Aktionären rechtfertigen müssen." Eine Woche nach der Feier in Leipzig gab der Maschinenbau-Professor den Vorstandsvorsitz wegen eines Rückenleidens auf und wechselte in den Aufsichtsrat. Seit Mai 2004 ist er dessen Vorsitzender. Milberg, 65, ist damit die graue Eminenz bei BMW - dem Konzern, der von der Industriellenfamilie Quandt als Großaktionär beherrscht wird.

Inzwischen ist das Werk Leipzig ein Werk zu viel, meinen nicht nur Konkurrenten, sondern auch BMW-Insider. Die von 14.30 Uhr an ruhende Großinvestition vor den Aktionären rechtfertigen muss nun Norbert Reithofer, der ähnlich Karriere machte wie sein Chef. Erst Assistent beim Uni-Professor Milberg, später Produktionsvorstand, nun Vorstandsvorsitzender. Wenn er BMW gestärkt aus der Krise führt, rückt Reithofer, 52, vielleicht einmal selbst an die Spitze des Aufsichtsrates.

Jobs für 600 Arbeitslose

Nicht unbedingt für BMW, aber für den Wirtschaftsraum Leipzig ist das Werk ein Segen. Heute arbeiten hier 2600 BMW-Beschäftigte und fast noch einmal so viele Mitarbeiter der Zulieferer. Es wurde Wert gelegt auf eine ausgewogene Altersstruktur: Bei der Eröffnung war der älteste Mitarbeiter 58 Jahre. 600 Leute kamen aus der Arbeitslosigkeit. Und in der einzigartigen Kantine mit Blick aufs Fließband gibt es den Hamburger für 2,99 Euro plus Pommes für 63 Cent. Leipzig ist außerdem das erste BMW-Werk mit Zulieferern direkt auf dem Gelände. Doch erst Ende des Jahres ist die Fabrik komplett. Dann wird das Presswerk fertig.

In der Autoindustrie sind Investitionen langfristig, und die früheren Krisen waren immer nach drei Jahren vorbei. Nach der Krise verdient nur gut, wer neue Automodelle, genug Werke und fähige Leute hat. Vorerst aber muss Reithofer die Folgen der hohen Kapazitäten bilanzieren. Getrieben vom Wachstums-wahn presste BMW jahrelang Leasing-Autos auf den Markt, deren zu niedrig angesetzte Restwerte nun den Jahresabschluss verderben. Da tritt sogar das Währungsrisiko in den Hintergrund bei dem Hersteller, der jedes vierte Auto in den USA absetzt. Konzernchef Reithofer will BMW nun mit umweltfreundlichen Kleinwagen aus der Krise führen.

Werksführer Ludwig in Leipzig führt seine Besucher zum Schluss noch durch die Lackiererei. Die Fenster dort sind zugehängt. Keiner soll die ersten Lackierübungen am neuen kleinen Geländewagen sehen können. Der kommt im Herbst und steht für die Hoffnung auf bessere Zeiten. Zu sehen gibt es also eigentlich nichts. Zu sehen gibt es aber einen Film über die Lackiererei. Großes Kino im Geheimbereich bei BMW - hier wird Leipzig für ein paar Minuten zu Hollywood. "This is the life" bei BMW. Alles ist ziemlich spannend, und keiner weiß, wie der Film ausgeht.

© SZ vom 14./15.3.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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