Blockchain:Derivate auf Knopfdruck

Lesezeit: 3 min

Banken setzen auf die Technik hinter der Kryptowährung Bitcoin. Experten sind überzeugt, diese werde den Handel revolutionieren.

Von Thorsten Riedl

Man stelle sich vor, es gebe eine Technologie, die für Banken so umwälzend sein wird, wie es Napster für die Musikindustrie war. Die keinen Stein auf dem anderen lässt und die Branche in ihren Grundfesten erschüttert. So wie das Herunterladen von Musik via Napster die Musikbosse oder das von Filmen über die Torrent-Technik die Filmmanager um den Schlaf gebracht hat. Eine solche Revolution bahnt sich bei Banken an. Ausgerechnet die Technik hinter der virtuellen Währung Bitcoin wird zu einer Neuerfindung des Bankenwesens führen, glaubt man den Vordenkern. Doch in einem soll sich diese digitale Umwälzung von anderen unterscheiden: Bankhäuser wollen anders als Musik- oder Filmverlage bei der Digitalisierung ihres Geschäfts vorne mitspielen.

Hinter der Kryptowährung Bitcoin steht ein virtuelles Kassenbuch, in dem alle Transaktionen aufgezeichnet werden. Diese Datenbank ist das Herzstück von Bitcoin und wird Blockchain genannt. Gleich einem Kontoauszug ist jeder Handel einsehbar, Namen von Sender und Empfänger indes sind verschlüsselt. Jeder Computer im Bitcoin-System speichert eine Kopie dieses digitalen Verzeichnisses. Erst, wenn es mit den Aufzeichnungen anderer Bitcoin-Teilnehmer übereinstimmt, können virtuelle Transaktionen gestartet werden. So steht jederzeit fest, wem ein Bitcoin gehört - und keiner kann doppelt ausgegeben werden.

Das Besondere: Der anerkannte Dritte, der bislang bei einem Handel von zwei Unbekannten erst das Vertrauen schafft, fällt weg. Es braucht keine Zentralbank, kein Kreditinstitut, keine Bankfiliale - und auf diese Weise lässt sich eine Menge echtes Geld sparen. Die aus der Betriebswirtschaft bekannten Transaktionskosten fallen weg. Blockchain eignet sich nicht nur für Kryptogeld. "Das schafft die Möglichkeit, die Sicherheit von Eigentum zu revolutionieren - auch für wertvolle Transaktionen", sagt Andrew Wood, Technologieberater bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Neben Geld lässt sich so das digitale Eigentum etwa von Aktien, allen Arten von Derivaten oder Anleihen feststellen. "Es könnte zu einem echten Paradigmenwechsel im vorherrschenden Finanzsystem kommen", heißt es in einer Analyse der Deutschen Bank.

Kein Wunder, dass alle namhaften Spieler der Finanzindustrie mit der Blockchain experimentieren. Bei der Nasdaq, zweit-größte Börsenbetreiberin der USA, läuft versuchsweise ein Handel mit Aktien und Derivaten, organisiert über die Block-chain. Händler fallen weg, eine Clearing-gesellschaft, um Aufträge zu bündeln und das Risiko von Ausfällen zu verringern, braucht es nicht. Eine zentrale Wertpa-pierverwahrung? Überflüssig. Das senkt nicht nur die Kosten, es erhöht auch das Tempo enorm. Statt das O. K. von verschiedenen Computersystemen abzuwarten, braucht es nur noch die Rückmeldung der Blockchain-Datenbank. Diese ist lokal gespeichert, zur Sicherheit in Kopien zugleich bei anderen Marktteilnehmern. Die wichtigsten Informationen sind verschlüsselt.

Die Zeit drängt. Einige Start-ups haben sich bereits auf das Thema gestürzt

Die Schweizer Großbank UBS hat in London ein Innovationslabor eröffnet. Ziel unter anderem: die Möglichkeiten der Blockchain zu erforschen. Mit der neuen Methode könnten Banken effizienter arbeiten, sagt Alex Batlin, oberster Technikverantwortlicher der UBS. Was früher Tage gebraucht habe, spiele sich künftig auf Knopfdruck ab. Die Credit Suisse arbeitet ebenso am Thema, dazu die Deutsche Bank, Goldman Sachs und weitere. Schon versuchen die Großbanken, sich auf einen gemeinsamen Standard zu einigen, um Blockchain-Transaktionen übergreifend über Institutionen auszuführen. Die Zeit drängt. "Die einfache Lektion für uns: Wenn wir es nicht nutzen, dann nutzt es ein anderer", erklärt Batlin. Denn eine Reihe von Start-ups hat sich auf das Thema gestürzt.

Junge Finanz- und Technologieunternehmen - sie werden auch als Fintech-Startups bezeichnet - wollen den etablierten Banken das Geschäft streitig machen. Apple, Google & Co. zeigen schließlich, wie einfach es ist, satte Traditionskonzerne links wie rechts zu überholen. Hedgy heißt einer der Jungrevolutionäre. Das Unternehmen bietet Derivative an auf die Währung Bitcoin. Das Unternehmen macht sich eine weitere Eigenschaft der Blockchain zunutze: Das virtuelle Kassenbuch erlaubt die Ablage von smarten Verträgen. In der realen Welt könnte ein Händler beispielsweise so den Kauf einer Ware erst dann abrechnen, wenn der Kunde den Empfang vom Paketdienst quittiert. Auf die Derivate-Welt übertragen: Ein Kontrakt zur Absicherung könnte erst beim Erreichen eines Einstandspreises automatisch geschlossen werden. Was heute für Bitcoins möglich ist, dürfte morgen auch für andere Derivate machbar sein, wenn sich das Konzept der Blockchain in der Welt der Banken durchgesetzt hat.

Bis dahin allerdings wird es dauern. "Derzeit steckt die Blockchain-Technologie noch in den Kinderschuhen", erklärt Thomas F. Drapp, Analyst bei DB Research. Es fehlt der gemeinsame Standard. Es gibt technische Hürden, politische natürlich in einem sensiblen Feld wie dem Bankenwesen und regulatorische sowieso. Doch die Revolution zeichnet sich ab. Das Bankenwesen wird die nächste Branche, in der die Digitalisierung mit voller Wucht einschlägt.

© SZ vom 24.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: