Betriebsklima:Tipps für den Neuen 

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Die Gewerkschaft der EZB klagt in einem Brandbrief öffentlich an: Viele Mitarbeiter sind unzufrieden, haben längst innerlich gekündigt. Jetzt soll der Nachfolger von Präsident Draghi das Miteinander in Frankfurt verbessern.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Der Nachfolger von Mario Draghi steht noch nicht fest, doch die Gewerkschaft der Notenbank (Ipso) hat dem fiktiven neuen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) schon einmal einen offenen Brief geschrieben. Dessen Inhalt sagt viel über das Erbe des Italieners aus. Er wird im Oktober eine Institution hinterlassen, die sich die Rettung der Eurozone ans Revers heften darf. Doch die EZB hat in Draghis achtjähriger Amtszeit nach Ansicht der Gewerkschaft gleichzeitig ein unangenehmes Arbeitsklima erzeugt.

In dem Brief, der auf der Homepage von Ipso veröffentlicht wurde, wird der Neue (es werden bislang nur Männer als Nachfolger gehandelt) gewarnt: Er werde "in einer Institution mit dysfunktionalen Merkmalen ankommen". Als Beleg zitieren die Arbeitnehmervertreter das Ergebnis einer internen Mitarbeiterumfrage, nach der ein Drittel der rund 5000 Personen starken EZB-Belegschaft über drohenden Burnout klage, zum einen wegen Überlastung, zum anderen aber auch "aufgrund von Demotivation, innerer Resignation und kognitiver Dissonanz". Letzteres beschreibe einen Konflikt "zwischen ihrer inneren Einstellung mit den Handlungen der EZB".

Damit nicht genug: Die "völlige Unausgewogenheit der Machtverteilung" im Haus führe auch dazu, "dass Manager oft ihre eigenen Interessen mit allen Mitteln verteidigen, statt die Ziele der Institution insgesamt vor Augen zu haben."

Das sind massive Vorwürfe gegen eine Institution, die formal als guter Arbeitgeber gilt. Immerhin sind die Gehälter sehr auskömmlich, und es gibt viele Zuschüsse und Vergünstigungen. Was ist dort los?

Draghi führte ein eigenwilliges Regiment. Wichtige Entscheidungen bereitete er in vertraulichen Runden vor, nicht alle, die da gerne involviert worden wären, waren es. Das sorgte für Frust bei den einen und für gesteigertes Selbstwertgefühl bei den anderen. Die Gewerkschaft beklagt seit Jahren, dass viel zu viele EZB-Mitarbeiter innerlich gekündigt hätten.

Wer Kritik äußert, könne schnell Ärger bekommen, lautet der Vorwurf

Schon lange grassiert der Vorwurf der Vetternwirtschaft, und die Führungsriege um Draghi trägt da eine Mitschuld. Der jüngst ausgeschiedene EZB-Chefvolkswirt Peter Praet wollte seinen persönlichen Berater abseits des formellen Bewerbungsverfahrens auf einen gut dotierten Notenbankposten in Brüssel hieven. Nachdem der Betriebsrat das aufgedeckt hatte, musste die Stelle neu ausgeschrieben werden. Es gab einige solcher Fälle, die den Unmut bei der Belegschaft verstärkten.

In dem Brief komprimiert die Gewerkschaft all diese schlechten Erfahrungen in einer Weise, die es rechtfertigt, den Passus in voller Länge zu zitieren: "Wenn Beförderungen und damit eine Karriere in der Institution im Wesentlichen davon abhängen, unkritisch die Meinung des direkten Managements zu teilen, dann zahlt sich Ja-Sagertum aus", heißt es. "So gab in der Mitarbeiterumfrage 2018 mehr als die Hälfte der Belegschaft an, dass es ihrer Meinung nach für eine Karriere nicht auf eine gute Leistung ankomme; vielmehr waren 67 Prozent der Mitarbeiter der Ansicht, es sei wichtiger, die richtigen Leute zu kennen", liest man in dem Brief. Und weiter: Unbequeme Ansichten zu äußern oder sich auch nur als kritischer oder kreativer Geist zu zeigen, werde als Aufmüpfigkeit interpretiert und häufig entweder offen oder versteckt abgestraft. "Über kurz oder lang untergräbt eine solche Kultur die Entscheidungsfähigkeit der EZB." Die Notenbank möchte den Willkommensgruß der Gewerkschaft nicht kommentieren.

Zum Schluss wird es dann ein wenig versöhnlicher. Die Gewerkschaft bittet den Nachfolger inständig: Verstehen Sie den Inhalt des Briefes "keineswegs als persönliche Kampfansage", sondern vielmehr als Ausdruck "ernster Sorgen". Doch wer auch immer zum 1. November in die Fußstapfen von Draghi tritt, die Mitarbeitervertreter fordern knallhart: " Wir erwarten, dass Sie tun werden "whatever it takes", um die Situation innerhalb der EZB zu verbessern und eine vernünftige Mitarbeiterbeteiligung zu etablieren."

© SZ vom 27.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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