Berufsunfähigkeit:Schutz vor dem Ruin

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Ein kaputter Helm. Das Start-up Getsurance wollte zeigen, dass man Policen für die Berufsunfähigkeit komplett online verkaufen kann - und scheiterte. (Foto: Thomas Koehler/Imago/Photothek)

Wer nicht mehr arbeiten kann, gerät leicht in eine existenzbedrohende Lage. Versicherer decken dieses Risiko ab, sind aber umstritten.

Von Anne-Christin Gröger und Christian Bellmann, Köln

Es geht ganz wörtlich um die Existenz. Wer so krank wird, dass er nicht mehr arbeiten kann, wird schnell sehr arm. Es sei denn, er hat eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU), die dann auch zahlt.

Junge Menschen unterschätzen die Gefahr oft und glauben, ihr größtes Risiko sei ein Unfall - dagegen kann man eine Unfallpolice abschließen. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie wegen einer psychischen Erkrankung oder Krebs schon mit 40 oder 45 nicht mehr arbeiten können. Dafür brauchen sie eine BU.

Auch für die Versicherer ist diese Sparte von großer Bedeutung. Vor 2001 gehörte die BU-Absicherung zur gesetzlichen Rentenversicherung. Die Regierungen Kohl und Schröder haben sie privatisiert.

Gewerkschaften fordern eine Rückkehr zum gesetzlichen System

Seitdem stehen die Versicherer in der Kritik: Die Policen sind gerade für Geringverdiener zu teuer, der Antragsprozess ist zu komplex, und oft zahlt der Versicherer nicht, so die Argumente. Gewerkschaften fordern eine Rückkehr zum gesetzlichen System, weil es die privaten Versicherer nicht schaffen, für alle Berufe bezahlbaren Schutz bereitzustellen.

Seit 2001 gilt: Erwerbstätige, die nach dem 1. Januar 1961 geboren wurden, erhalten im Fall des Falles keine gesetzliche BU-Rente. Sie müssen sich privat absichern, aber das klappt nicht immer: Wer einen Vertrag will, muss lange Kataloge von Gesundheitsfragen beantworten. Wer Vorerkrankungen wie Asthma, Allergien oder Rückenbeschwerden hat, zahlt Aufschläge. Aber auch ohne sie sind die Policen nicht günstig. "Eine BU ist für manche unbezahlbar, sie können sich die Monatsprämien nicht leisten", sagt Bianca Boss vom Bund der Versicherten. Selbst ein Büroangestellter ohne körperliche Risiken zahlt für eine auskömmliche Rente im BU-Fall schnell mehr als hundert Euro im Monat. Und dann die Frage: Zahlt der Versicherer überhaupt? Der Versicherungsanwalt Stefan Zeitler aus Berlin hat täglich mit Menschen zu tun, deren Anträge abgelehnt wurden. "Wir als Anwälte sehen natürlich immer nur die Fälle, in denen es Probleme gibt", gesteht Zeitler den Versicherern zu. Aber er hat eine grundlegende Kritik: Die Anbieter prüfen die Angaben der Kunden vor der Unterschrift sehr lasch. Aber bei Schäden recherchieren sie hart.

"Es sollte das normale Prozedere sein, dass der Versicherer vorher klärt, welche Risiken er sich ins Haus holt", sagt Zeitler. Der Bundesgerichtshof sieht das anders. Er hat entschieden, dass der Versicherer auch erst im Nachhinein prüfen darf, ob ein Kunde falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat (Az. IV ZR 289/14).

Dass die Versicherer so genau hinschauen, liegt auch daran, dass die Zahlung einer BU-Rente für die Anbieter teuer ist. Ein Gebäudeversicherer zahlt nach dem Sturm das Dach, und fertig. Die BU-Versicherer müssen viele Jahre lang hohe Renten zahlen. Das kann in die Millionen gehen.

Nach Anwalt Zeitlers Erfahrung gibt es zwei Hauptgründe, warum Versicherer die Zahlung verweigern. Bei der Mehrzahl seiner Mandaten aus diesem Bereich argumentieren Versicherer, dass die Berufsunfähigkeit medizinisch nicht nachgewiesen sei. "Der Versicherte reicht in diesen Fällen meist eine Bescheinigung der eigenen Ärzte ein, die eine Berufsunfähigkeit belegen", sagt er. Die Versicherer holen eigene Gutachten ein. "Die fallen meist negativ für die Versicherten aus und haben vor Gericht oft keinen Bestand." Für die Versicherten ist das trotzdem eine belastende Situation, vor allem, wenn Gutachter sie als Simulanten darstellen.

Der zweite Grund: Der Versicherer behauptet, der Kunde habe versehentlich oder absichtlich beim Abschluss falsche oder ungenaue Angaben gemacht. Wenn ans Licht kommt, dass der Versicherer nicht über Vorerkrankungen informiert war, kann er unter bestimmten Umständen die Leistung verweigern. Schließlich gibt es oft Streit über die Jobbeschreibung. "Viele Kunden definieren ihre berufliche Tätigkeit nicht präzise genug", berichtet die Versicherungsberaterin Angela Baumeister aus Willich bei Düsseldorf. Dem Versicherer fällt es dann oft schwer, zu verstehen, warum eine Erkrankung die Ausübung des Berufs unmöglich macht.

Betroffene brauchen die Rente schnell, Makler raten zur Geduld

Allerdings entspannt sich die Situation gerade. Möglicherweise hat die öffentliche Diskussion etwas bei den Versicherern bewirkt, vielleicht auch aus Furcht vor politischen Maßnahmen. Nach Erfahrung des Versicherungsmaklers Torsten Breitag haben viele Anbieter ihre Tarife in den vergangenen drei Jahren deutlich verändert.

Ein Beispiel: Wer berufsunfähig wird und vorher länger arbeitslos war oder Kinder versorgt hat, konnte früher kaum Ansprüche stellen, wenn er den ursprünglich angegebenen Beruf nicht mehr ausüben konnte. Das ist jetzt oft anders. Ebenfalls positiv sieht er die Möglichkeit, dass sich Auszubildende und Studenten bei vielen Anbietern so versichern können, als wären sie bereits in ihrem künftigen Job tätig. "Früher gab es zahlreiche intransparente Klauseln", sagt Breitag. Heute könnten junge Leute diverse Tarife auswählen, die ihnen auch dann keine Probleme bereiten, sollten sie bereits vor Berufseintritt berufsunfähig werden.

Viele Versicherer verlangen auch nicht mehr, dass die Betroffenen sie über jeden Fortschritt bei der Genesung informieren. Das gilt auch für Nebentätigkeiten. "Geht es einem Berufsunfähigen mit der Zeit besser oder nimmt er eine Tätigkeit in geringerem Umfang auf, musste er dem Versicherer früher das eine oder das andere meist mitteilen", sagt Breitag. Heute braucht er das nicht mehr oder nur noch bei Wiederaufnahme oder Änderung einer erneut begonnenen Tätigkeit.

Auch wenn viele Betroffene die BU-Rente aufgrund des Verdienstausfalls zügig brauchen - Makler Breitag rät zur Geduld. "Der Sachbearbeiter genehmigt eine Rente eher, wenn ihm vollständige Unterlagen vorliegen und der Stand der Diagnose und Behandlung geklärt ist", sagt er. Fehlen Informationen, lehnt er mit höherer Wahrscheinlichkeit ab.

© SZ vom 02.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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