Bayer:Der Denkzettel

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Erstmals verweigern Aktionäre eines Dax-Konzerns dem amtierenden Vorstand die Entlastung. Dennoch will der Aufsichtsrat an Werner Baumann festhalten.

Von Elisabeth Dostert und Benedikt Müller

Vor der Bayer-Hauptversammlung in Bonn protestiert die Bewegung Fridays for Future gegen den Wachstumskurs des Traditionskonzerns. (Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Es ist ein denkwürdiges Votum, das die Aktionäre des Pharma- und Agrochemiekonzerns Bayer dem Vorstand um Werner Baumann bescherten: In der Hauptversammlung stimmten 55 Prozent der anwesenden Aktionäre gegen die Entlastung des Vorstands. Doch die Führung will einfach weitermachen.

Wie hat die Bayer-Spitze reagiert?

Die Aktionäre hätten ein "deutliches Signal" gesendet, sagte Aufsichtsratschef Werner Wenning, als er am späten Freitagabend die Abstimmungsergebnisse vorlas: "Der Aufsichtsrat nimmt dieses Votum sehr ernst." Auch die Kontrolleure wurden nur mit 66,4 Prozent des Kapitals entlastet. Noch in der Nacht tagte der Aufsichtsrat und teilte dann mit, dass er "geschlossen hinter dem Vorstand" stehe. In einem Brief an die Mitarbeiter schrieben Baumann und seine Kollegen, dass sie die Stimmung der Aktionäre verstehen und ihre Enttäuschung teilen würden. Der Vorstand werde nun sehr hart arbeiten, "um das Vertrauen der Aktionäre zurückzugewinnen".

Was ist der Grund für die Ablehnung?

Bayer hat in den vergangenen Monaten fast 40 Prozent an Börsenwert verloren. Der Kurs leidet unter der Übernahme des Konzerns Monsanto für 63 Milliarden Dollar. Das US-Unternehmen steht wegen des Unkrautbekämpfungsmittels Glyphosat in der Kritik. Vor allem Bauern machen den Wirkstoff für ihre Krebserkrankung verantwortlich. In den USA wurden etwa 13 400 Klagen eingereicht. Zwei erstinstanzliche Verfahren hat Bayer verloren. Die Kläger bekamen jeweils etwa 80 Millionen Dollar zugesprochen. Investoren fürchten, dass Bayer mehrere Milliarden wird zahlen müssen, um den Rechtsstreit beizulegen. Die Reputation von Bayer leidet.

Welche Folgen hat die fehlende Entlastung für den Vorstand?

Anders als in Vereinen hat es in Aktiengesellschaften keine unmittelbaren Konsequenzen für den Vorstand. "Eine Nicht-Entlastung ist kein Kündigungsgrund", sagt Daniel Bauer, Vorstand der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK). Den Aktionären gehört zwar die Firma. Doch kennt das hiesige Aktienrecht ein System der "Checks and Balances", es verteilt also die Verantwortung: Demnach wählen die Anteilseigner, ebenso wie die Arbeitnehmer, Vertreter in den Aufsichtsrat. Dieses Gremium beruft dann Manager in den Vorstand oder entlässt sie wieder.

Wann kann der Aufsichtsrat einen Vorstand abberufen?

Wenn ein "wichtiger Grund" vorliegt, heißt es im Aktiengesetz, zum Beispiel eine grobe Pflichtverletzung. Der Aufsichtsrat kann sich auch in beiderseitigem Einvernehmen vorzeitig von Vorständen trennen; dann sind meistens Abfindungen fällig, oftmals in Millionenhöhe.

Sind die Voraussetzungen erfüllt?

Nach Ansicht des Aufsichtsrats hat sich der Vorstand um Baumann nichts zu Schulden kommen lassen. Zwei Gutachten, die der Aufsichtsrat in Auftrag gegeben hat, belegen ihm zufolge, dass der Vorstand bei der Untersuchung der Rechtsrisiken von Glyphosat "seinen Sorgfaltspflichten gerecht wurde".

Wurde der amtierende Vorstand eines Dax-Konzerns schon mal nicht entlastet?

Nein. Im Mai 2015 wurden die damaligen Co-Chefs der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen und Anshu Jain, von der Hauptversammlung mit jeweils nur 61 Prozent der Stimmen entlastet. Die Voten waren der Anfang vom Ende: Jain verließ das Geldhaus Mitte 2015, Fitschen blieb noch bis zur Hauptversammlung im nächsten Jahr. In der Hauptversammlung der Deutschen Börse 2018 verweigerten fast drei Viertel des anwesenden Kapitals Carsten Kengeter die Entlastung für das Jahr 2017. Doch der Vorstandschef war da schon nicht mehr im Amt; die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen ihn wegen Insiderhandels.

Warum stützt der Aufsichtsrat den Vorstand?

Übernahmen dieser Größenordnung sind nicht die Entscheidung eines Einzelnen. Der Vorstand diskutiert darüber, auch der Aufsichtsrat muss Zukäufen in einer solchen Höhe zustimmen. Die Bayer-Kontrolleure haben den Monsanto-Kauf mitgetragen; würden sie den Vorstand jetzt dafür kritisieren, wäre das auch eine Art Selbstkritik. Aufsichtsratschef Werner Wenning war selbst Vorstandschef von Bayer - von April 2002 bis Oktober 2010. Er setze alles daran, seinen "Zögling Baumann nicht zu beschädigen", sagt Corporate-Governance-Experte und Vermögensverwalter Christian Strenger: "Baumann ist sein Mann."

Bedeutet das Votum denn gar nichts?

Doch. Es ist ein kräftiger Denkzettel.

Wie geht es jetzt weiter?

Für Bayer gebe es nun "viel, viel zu tun", sagt Vermögensverwalter Strenger. Der Konzern müsse seine Reputation wiederherstellen und das Vertrauen der Investoren zurückgewinnen. "Bayer sollte seine Tonalität und seinen Umgang mit den Aktionären ändern", fordert Strenger: "Baumann ist kein Meister der Empathie." Seine Äußerungen seien immer "sehr korrekt"; der Manager glaube weiter, dass alles gut werde. Doch wisse der Kapitalmarkt ziemlich genau, was läuft, sagt Strenger: "Die sollen nicht so tun, als seien die Investoren Dummies."

Dennoch rechnet Strenger nicht mit einem raschen Abgang Baumanns. "Ich bin auch nicht sicher, ob das die beste Lösung wäre." Auch die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) plädierte in der Hauptversammlung dafür, dass der Vorstand im Amt bleiben sollte, um "den Karren wieder aus dem Dreck" zu ziehen. Die Deka, das Fondshaus der Sparkassen, warnte, dass Bayer wichtige Zeit verlöre, "wenn sich ein neues Management einarbeiten müsste".

Indes berichtet die Finanzagentur Bloomberg, dass mehrere Großinvestoren "frustriert" seien, nachdem sich der Aufsichtsrat hinter Baumann und dessen Strategie gestellt hat. Dies sei ein Zeichen, dass Bayer nicht willens sei, die Sorgen der Aktionäre ernstzunehmen. Bayer müsse nun eine Erneuerung des Aufsichtsrats erwägen, zitiert die Agentur anonyme Eingeweihte, oder ein mögliches Ende der Konglomeratsstruktur: Seit der Übernahme von Monsanto verdient der Konzern sein Geld jeweils etwa zur Hälfte mit Agrochemie und Arzneimitteln.

© SZ vom 29.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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