Man schrieb das Jahr 1996, als die Banken und Sparkassen in Deutschland eine kleine Revolution ausriefen. Mit großem Aufwand führten sie damals die Geldkarte ein. Sie sollte besonders das Bezahlen kleiner Beträge einfacher machen. Der Bankkunde lädt die Karte vorher mit bis zu 200 Euro auf. Danach kann er Beträge bis 20 Euro von Automaten abbuchen lassen - ohne PIN, ohne Unterschrift, ohne Prüfung der Identität, wie es bei der Girocard der Fall ist, die früher EC-Karte hieß.
Die Geldkarte sollte dem Handel, Automatenaufstellern und Verkehrsbetrieben das Leben leichter machen. Und die Kreditinstitute hatten auch etwas davon. "Die Geldkarte wurde von den Banken auch aus eigenem Interesse initiiert", sagt ein Sprecher des Bundesverbands der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR). "Der Bargeldumlauf sollte verringert werden." Denn schließlich sei die Bereitstellung von Bargeld kostenintensiv.
Über Jahre versuchten die Banken, der Geldkarte zum Erfolg zu verhelfen. Heute ist sie mehr als 70-millionenfach verbreitet. Denn jede Girocard besitzt auf ihrem Chip auch eine Geldkartenfunktion. Die Institute rüsteten ihre Geldautomaten mit der Auflademöglichkeit nach. Doch trotz aller Bemühungen wollte sich der Erfolg nicht recht einstellen.
Die Geldkarte ist spätestens 2018 Vergangenheit
Eine Studie zeigte jüngst, dass nur 0,75 Prozent aller Girocard-Besitzer auch die Geldkartenfunktion nutzen. Die Volks- und Raiffeisenbanken ziehen daraus nun die Konsequenzen. "Aufgrund der fehlenden Kundenakzeptanz wird die Geldkarte schrittweise aus dem Markt genommen", heißt es beim BVR. Neue Girocards, die ab 1. Oktober ausgegeben werden, verfügen über keine Geldkartenfunktion mehr. Da die Girocards alle vier Jahre ersetzt werden, ist die Geldkarte spätestens 2018 bei Genossenschaftsbanken Vergangenheit.
Das ist ein schwerer Rückschlag für die aufladbare Karte, die vor 18 Jahren noch als kleine Revolution gefeiert wurde. Immerhin besitzen die Kunden der Volks- und Raiffeisenbanken 26,5 Millionen Girocards. Folglich gibt es in Deutschland künftig 26,5 Millionen Geldkarten weniger. Die Sparkassen, die rund 50 Millionen Girocards ausgegeben haben, erhalten die Geldkarte dagegen am Leben.
"Das Geldkartensystem hat gewisse Vorteile", sagt Oliver Hommel, Zahlungsverkehrsexperte beim Beratungsunternehmen Accenture. Die Bank trage kein Ausfallrisiko, da der Kunde die Karte vorher mit Geld auflade. Daher müsse die Bank auch nicht prüfen, ob das Konto gedeckt ist. Das ist gerade bei Minderjährigen wichtig, bei denen die Bank per Gesetz das Konto nicht ins Minus rutschen lassen darf. Es braucht daher für die Geldkarte auch keine Online-Verbindung. Das ist ein großer Vorteil für bewegliche Automaten und für Automaten, bei denen nur kleine Beträge kassiert werden - zum Beispiel in Bahnen und Bussen, für Getränke oder Zigaretten.
In Deutschland gibt es noch viele solcher Automaten, an denen Kunden nicht mit einer Girocard zahlen können, sondern nur mit der Geldkarte - oder in bar. Ein Beispiel sind die Ticketautomaten in Bussen und Straßenbahnen bei einer Reihe von Verkehrsgesellschaften. Kunden von Volks- und Raiffeisenbanken werden dort künftig aufpassen müssen, wenn sie einsteigen. Haben sie das Geld für das Ticket nicht bar dabei, können sie nicht mehr mit Karte zahlen.
Hintergrund für die Entscheidung der Volks- und Raiffeisenbanken ist der Ausstieg aus dem sogenannten Girogo-Verfahren. Das ist ein System zum kontaktlosen Bezahlen, das Banken und Sparkassen im vergangenen Jahr in Deutschland testeten. Der Kunde muss die Karte dabei nicht mehr in ein Lesegerät stecken, sondern nur in dessen Nähe halten. Bei Beträgen unter 20 Euro braucht er auch keine PIN einzugeben. Girogo baut von der Infrastruktur her auf der Geldkarte auf. Der Kunde muss die Karte vorher auch mit Bargeld aufladen.
In den Augen des BVR hat sich das System aber nicht bewährt, weil den Kunden das Aufladen zu umständlich war. Deshalb steigt der Verband nun aus Girogo aus, was gleichzeitig das Ende der Geldkarte bedeutet.
Die Volks- und Raiffeisenbanken wollen sich künftig allein auf die Girocard verlassen. Im Frühjahr 2015 soll es im Raum Kassel einen neuen Feldversuch zum kontaktlosen Bezahlen von Kleinbeträgen geben. Noch steht nicht fest, wie es genau ausgestaltet sein wird. Eine Möglichkeit könnte sein, dass kleine Beträge ohne PIN abgebucht werden.
"Grundsätzlich besteht auch ohne Geldkartensystem die Möglichkeit, Transaktionen offline abzuwickeln", sagt Experte Hommel. Dann hinterlegt die Bank in der Karte ein Verfügungslimit, zum Beispiel bei 20 Euro. So muss sie nicht in jedem Einzelfall bei kleineren Beträgen prüfen, ob das Konto gedeckt ist. Die Bank trägt dann aber ein größeres Ausfallrisiko. Und: "Bei Minderjährigen stößt dieses System auch an regulatorische Grenzen", sagt Hommel.