Bankenaufsicht:Hören viel, sehen viel, wissen zu viel

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Bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt herrscht seit Jahren Personalmangel. Deshalb ist sie bei ihrer Aufsichtsarbeit auf externe Hilfe angewiesen – ein Risiko für ihre Unabhängigkeit, finden manche. (Foto: Thomas Lohnes/Getty Images)

Die Europäische Zentralbnak heuert für ihre Kontrollaufgaben externe Berater an, weil eigene Spezialisten fehlen. Das sorgt für Unruhe.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Danièle Nouy, 67, hat ihren Bankenkontrolleuren eine knifflige Aufgabe gegeben. Die Chefin der EZB-Bankenaufsicht möchte, salopp formuliert, den gefährlichsten Banken in Europa ins Hirn schauen. Ihr geht es um die Frage, welches Institut bei der komplizierten Berechnung von Kreditrisiken ein Schurke, Filou, Draufgänger oder ein Vernünftiger ist.

Den Aufschluss über die Risiko-DNA einer Bank geben deren Computermodelle. Sie berechnen die Ausfallwahrscheinlichkeit von Krediten und legen fest, wie viel Geld ein Institut als Verlustpuffer zurücklegen muss. "Wenn diese Modelle nicht gut funktionieren, könnten Banken schutzlos sein", sagt Nouy. Deren Überprüfung ist somit eine wichtige, aber auch anspruchsvolle und vor allem sensible Aufgabe.

"Externe Berater könnten Insider-Informationen nutzen oder weitergeben."

Das auf vier Jahre angelegte Großprojekt trägt den Namen TRIM. Die EZB überwacht 105 Kreditinstitute in Europa, und jede einzelne Großbank arbeitet mit zum Teil Hunderten dieser internen Risikomodelle. Um diese Arbeit zu stemmen, braucht es viele qualifizierte Spezialisten. Doch genau die fehlen der EZB, obwohl sie mittlerweile etwa 1000 Mitarbeiter beschäftigt. Europas Bankenaufsicht braucht Hilfe von außen. Sie muss in großem Umfang externe Berater anheuern.

Im Jahr 2017 beliefen sich die Beratungskosten für das Projekt TRIM auf 45 Millionen Euro, so der aktuelle Jahresbericht. Doch das ist längst nicht alles. Auch für reguläre Sonderprüfungen bei Banken nimmt die EZB externe Berater mit an Bord, nach Informationen der SZ macht das fünf bis 15 Millionen Euro aus, jährlich. Dazu kommen Beratungsleistungen für IT- und Personalprojekte. Insgesamt sollen sich die Kosten für externe Mitarbeiter auf rund 70 Millionen Euro pro Jahr belaufen, heißt es in Aufsichtskreisen. Zum Vergleich: Die Personalkosten bei der EZB-Bankenaufsicht lagen 2017 bei 215 Millionen Euro, das Gesamtbudget bei 436 Millionen Euro. "Wenn ein so hoher Betrag der Personalkosten auf externe Berater entfällt, ist die Objektivität der Bankenaufsicht ernsthaft bedroht", sagt der EU-Parlamentarier der Grünen, Sven Giegold. "Statt sich gefährlichen Interessenkonflikten auszusetzen, sollte die EZB lieber mehr qualifiziertes Personal einstellen."

Die EZB verlässt sich auf Beratungskompetenz von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ( siehe nebenstehenden Artikel). Dort kennt man die wichtigsten Details der internationalen Finanzwirtschaft. Wirtschaftsprüfer haben durch ihre Arbeit Zugang zu allen relevanten Akteuren: Mitunter helfen sie Regierungen bei der Ausarbeitung von Gesetzen zur Bankenregulierung. Dann unterstützen sie die EZB bei der Bankenaufsicht; gleichzeitig beraten sie Banken bei der Erfüllung der Aufsichtsregeln. Überall saugen sie internes Wissen auf.

Einige EZB-Bankenaufseher sind ob der Quirligkeit der Helfer beunruhigt. "Externe Berater sind immer mit neuen Projekten bei anderen Auftraggebern betraut, gleichzeitig haben sie viel Freiheit", erzählt ein EZB-Bankenaufseher, der anonym bleiben möchte. Er befürchtet: "Externe Berater könnten Insider-Informationen nutzen oder weitergeben. Nicht weil sie unehrlich sind, sondern weil ihnen die Achtsamkeit fehlt." Im Rahmen von Sonderprüfungen bei den Banken haben externe Fachkräfte in der Regel keinen Zugang zu den Systemen der EZB, heißt es. Zudem würden die Sonderprüfungen stets von EZB-Personal geleitet. "Doch die externen Berater hören und sehen viele vertrauliche Informationen bei der Bankenaufsicht", erzählt ein EZB-Insider. "Wir erklären ihnen alles, sie machen ihren Job und gehen - mit dem Wissen." Der ehemalige Wirtschaftsprüfer bei einer großen Gesellschaft bestätigt den Eindruck: "Die Berater greifen Wissen ab, wie die Bankenaufsicht funktioniert. Dadurch besteht die Gefahr, dass sie damit bei Geschäftsbanken, die von der EZB beaufsichtigt werden, werben."

Die EZB räumt ein, dass sie bei ihrer Aufsichtsarbeit auf externe Hilfe angewiesen ist. "Es wäre nicht möglich, die vorgesehenen Ressourcen für das TRIM-Projekt mit dem vorhandenen internen Personal voll abzudecken", sagte ein EZB-Sprecher. Zudem sei es schwer, diese begehrten Fachleute am Markt mit einem EZB-Arbeitsvertrag anzulocken. In den Verträgen mit den Beraterfirmen gebe es Klauseln, die das Problem des Interessenkonflikts behandeln würden. Beratern, die im Auftrag der EZB bei einer Bank die internen Modelle untersuchten, sei es untersagt, "dieselbe Bank gleichzeitig und kurz nach Ende des Projekts zu internen Modellen zu beraten."

Natürlich dürfte es im Aufsichtsgeschäft immer Probleme geben, für die eine Institution wie die EZB Spezialisten einkaufen muss. Es wäre zu ineffizient, wenn man für jeden erdenklichen Fall eigenes Personal bereithalten würde. Doch muss die Auslagerung tatsächlich so massiv sein? Bei der amerikanischen Notenbank Federal Reserve beispielsweise werden große Prüfungsgesellschaften nur in ganz wenigen Ausnahmefällen engagiert, aufgrund des Interessenkonflikts, wie ein Bankenaufseher der Fed berichtet.

Mehr eigenes Personal? Die Chefin der EZB-Bankenaufsicht Nouy hätte bestimmt nichts dagegen. Doch ihr sind die Hände gebunden, sie hat kaum Macht in dieser Frage. Der Europäische Rechnungshof monierte bereits vor gut einem Jahr, dass die EZB-Bankenaufsicht, obwohl sie für die Planung und Ausführung von Aufsichtsaufgaben zuständig sei, "keine Kontrolle über die erforderlichen personellen und finanziellen Ressourcen hat". Es ist der EZB-Haushaltsausschuss, der die Finanzfragen regelt, und es ist der EZB-Rat, der das Budget für die Bankenaufsicht am Ende beschließt. Im Haushaltsausschuss sitzen Experten aus den nationalen Zentralbanken der Euro-Zone, im EZB-Rat sitzen die nationalen Notenbankchefs. In der EZB gibt es viele Leute, die meinen, dass die nationalen Vertreter die europäische Institution EZB tendenziell kleinhalten wollen - um ihre eigene Bedeutung groß zu halten.

Die Chefin der EZB-Bankenaufsicht, Nouy, deren Vertrag zum Jahresende ausläuft, musste sich seit der Gründung der Behörde mit dem Personalmangel herumschlagen. Die Aufgabe, Europas Banken von 2014 an nach einheitlichen Regeln zu überwachen, den Abbau der faulen Kredite voranzutreiben, die Geschäftsmodelle der Institute unter die Lupe zu nehmen, raubte viel Kraft. Die Gewerkschaft beklagte im vergangenen Jahr in einem internen Brief den hohen Arbeitsdruck, der mitunter eine toxische Atmosphäre erzeuge. Tatsächlich klagen viele Aufseher hinter vorgehaltener Hand über Nacht- und Wochenendschichten. Sie fühlen sich gestresst und fragen, ob dieses Arbeitsumfeld der geeignete Rahmen sei für eine gute Bankenaufsicht.

© SZ vom 13.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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