Autoverkäuferin in Berlin:Leben und leiden für Opel

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Heidi Hetzer verkauft seit 38 Jahren Autos aus Rüsselsheim - noch nie war das so schwierig wie heute.

Hannah Wilhelm

Heidi Hetzer hat schon ganz andere Dinge durchgestanden. 1943 hat sie die Oper brennen sehen, und ihr Finger richtet sich auf einen Punkt in der Ferne, irgendwo hinter den S-Bahn-Gleisen und dem Lärm der vierspurigen Stadtautobahn, wo die Deutsche Oper steht. Und 1970, als sie den Opel-Handel von ihrem Vater erbte und damit auch vier Millionen D-Mark Schulden; "das habe ich weggeschuftet, Tag und Nacht". Sie kaufte das Grundstück in Berlin-Charlottenburg, auf dem ihre größte Opel-Niederlassung steht. Und jetzt? Jetzt fehlen ab und zu 100.000 Euro, nur zur Überbrückung - und leider auch die Bank, die ihr in einem solchen Moment aushilft. Die 71-jährige Dame wird wütend, wenn sie darüber spricht.

Heidi Hetzer - Opelhändlerin aus Leidenschaft. (Foto: Foto: dpa)

Heidi Hetzer besitzt den ältesten Opel-Handel in Berlin. Seit 38 Jahren verkauft sie Autos, die früher Admiral und Diplomat hießen und auf denen heute Corsa oder Insignia steht. 123 Mitarbeiter arbeiten für sie in drei Niederlassungen in Charlottenburg, Steglitz und Mitte. Und bisher ging es immer aufwärts. Gut, da war die Energiekrise in den Siebzigern, als der Sonntag zum autofreien Tag erklärt wurde, und die Ölkrise in den Achtzigern. "Da haben mir die Leute die Autos auch nicht gerade aus den Händen gerissen", sagt Hetzer.

Aber es war alles nicht so schlimm wie heute. "Noch nie", sagt sie und schiebt ihre Brille in die kurzen blonden Haare, "noch nie habe ich so wenig Autos verkauft wie von Mitte September bis Mitte Oktober." Immerhin läuft das Geschäft mit den Gebrauchtwagen. Die Leute müssen sparen, also kaufen sie lieber Gebrauchte als Neue, das sei doch klar, sagt Hetzer. Für irgendwas muss es ja gut sein. Pessimismus ist Hetzer zuwider.

Aus Amerika kommt kein Geld

Eigentlich will sie sowieso nicht reden. Wozu auch, es bringt ja doch nichts. Die perfekt geschminkten türkisfarbenen Augen sind dabei kalt, abweisend. Dann erzählt sie doch, weil sie eben ist, wie sie ist, und gerne offen sagt, was falsch läuft. Vieles mache ihr heute das Verkaufen schwerer, erzählt sie. Zunächst würden Autos immer besser, müssten selten in die Werkstatt - schlecht für den, der neue Wagen verkaufen will. Der Marktanteil von Opel ist ständig gesunken, das merkt jeder einzelne Händler. Dann ist da die Konkurrenz durch große Händlerketten, die Mengenrabatte von den Werken bekämen.

Gleichzeitig verlangten die Werke immer mehr von den Händlern: Sie müssen einheitliche Beleuchtungen installieren, neue Computersysteme anschaffen. All das kostet Geld. Und dann auch noch die drohende Rezession - "Wer kauft schon ein Auto, wenn er sich Sorgen um seinen Arbeitsplatz macht?"

Sei's drum, sagt Hetzer und wischt die Probleme mit einer lässigen Handbewegung weg, scheucht sie Richtung Stadtautobahn. Die Herausforderungen zu meistern würde sie sich noch zutrauen. Autos verkaufen kann sie, und das tut sie auch immer noch, "aber zurzeit eben mit Verlust". Sie legt jeden Monat drauf; "aber das ist besser, als wenn sich die Autos hier stapeln." Deshalb hat sie in den vergangenen Monaten auch keine neuen Opel mehr geordert.

Lesen Sie weiter, was genau das Problem ist.

Das Problem: Sie muss dem Werk eine gewisse Zahl Neuwagen abnehmen, sonst bekommt sie weniger Rabatt. Heute Mittag kommt der Herr von Opel. Aber was soll sie ihm sagen? Sie hat kein Geld für neue Autos.

Bisher hat sie mit der Bank des General-Motors-Konzerns zusammengearbeitet, der GMAC Bank. "Ich war eine treue Kundin", sagt Hetzer. Doch das amerikanische Haus strauchelt in der Finanzkrise, wie so viele. Sie hat kein Geld mehr, auch keins für Heidi Hetzer aus Berlin Charlottenburg.

"Fühlen Sie, wie ich das liebe?"

Heidi Hetzer liebt ihre Stadt - "ick bin keene Deutsche, ick bin Berlinerin" - und sie liebt Opel. Mit Mitte Zwanzig ging sie nach Amerika, 1961, im Jahr des Mauerbaus. In Norfolk, Virginia, lernte sie bei einem Chevrolet-Händler, Autos zu verkaufen. Die Marke gehört wie Opel zum weltweit größten Autohersteller General Motors. 1970 übernahm sie dann den Opel-Handel vom Vater.

Opel ist ihr Leben. Um ihren Hals baumelt eine goldene Kette mit dem Opel-Blitz, darauf fünf kleine Brillanten. Das Geschenk eines Freundes, der das Einzelteil selbst gemacht hat. "Heidi Hetzer" ist da graviert und "20. Juni 1999".

Ja, die Neunziger, "das war eine gute Zeit." Das Geschäft lief, die Mauer zerschnitt ihre geliebte Stadt nicht mehr in zwei Hälften, endlich konnte man rüber, in den Osten, und als eine Trabi-Werkstatt in Mitte zu vermieten war, schlug sie zu. Seitdem werden hier Opel verkauft und repariert.

Heidi Hetzer lenkt den weißen Vectra V6 auf das kleine Grundstück und stellt ihn vor den S-Bahn-Bögen ab, unter denen gerade an einem Opel geschraubt wird. 1993, das waren Zeiten. Da ließ sie ihr Firmenlogo an die gegenüberliegende Hauswand malen, so dass es jeder aus der S-Bahn sehen konnte: eine stilisierte dunkelhaarige Frau, die ihre Rennfahrerbrille ins Haar geschoben hat.

Im kommenden April ist Schluss für die Niederlassung in Mitte. Die Entscheidung ist schwergefallen, das ist im Gesicht der Dame zu lesen. Sie steht in ihrem eleganten, cremefarbenen Hosenanzug, blickt Richtung Reichstag und sagt: "Ich liebe das hier, können Sie fühlen, wie sehr ich das hier liebe?"

Doch die Niederlassung bringt wenig und kostet viel. Hier ist viel zu wenig Platz, um Autos auszustellen. Also macht sie zu. Die Mitarbeiter übernimmt sie in das Haupthaus in Charlottenburg. "Das ist eine betriebswirtschaftiche Entscheidung", sagt sie, "aber sofort heißt es überall, ich müsse schließen. Ich muss gar nichts, ich will. So eine Rezession lässt einen eben vernünftig werden."

Lesen Sie weiter, warum der Laden nicht einfach zugesperrt werden kann.

Manchmal denkt sie ans Aufhören. Immerhin: Sie ist 71, sie hat 1943 die Oper brennen sehen und 40 Jahre einen mittelständischen Betrieb geleitet. Das ginge schon, meint sie, wenn sie den Laden verkauft, das Grundstück, das ist gutes Geld wert. Sie könnte einfach zusperren, sagt sie, schüttelt den Kopf und nimmt das Gesagte schon im gleichen Moment wieder zurück: "Nein, das geht natürlich nicht, denn ich habe Verantwortung für meine Mitarbeiter. Wenn ich zusperre, dann sind die arbeitslos. Das geht nicht."

Was sie braucht, ist eine Bank

Also greift sie wieder zum Handy, spricht mit Menschen, die ihr bei der Suche nach einer Bank helfen könnten. Und wieder wird ihr Gesicht hart, die Augen kalt, denn eigentlich wollte sie ja nicht mehr mit der Presse sprechen. Das sei nicht gut, sagen ihr alle. Ruhig solle sie sein, die Klappe halten, Autos verkaufen und auf einen Kredit hoffen. Aber sie muss eben reden, muss sagen, wie dreckig es den Opel-Händlern derzeit geht. "Rettungsschirme gibt es für die Banken und die Industrie. Und was habe ich davon? Ich will nichts geschenkt bekommen, ich brauche nur einen Kredit. Ich zahle ja auch dafür."

Nein: Klappe halten, das ist nichts für Heidi Hetzer. "Mein Vorteil ist, dass ich viele Freunde habe", sagt sie. Die hat sie, doch was sie eigentlich braucht, ist eine Bank. Immerhin: Die Freunde bringen Bekannte und Verwandte, die jetzt extra Autos bei ihr kaufen und Hilfe anbieten. "Das ist wirklich toll." Ja, fast ganz Berlin kennt Heidi Hetzer und sie kennt fast ganz Berlin. Wenn sie mit dem Vectra "Unter den Linden" entlangfährt und sich ärgert, weil die Weihnachtsbeleuchtung noch nicht an ist, ruft sie bei dem Verantwortlichen an: "Hallo, hier ist Heidi. Es ist 16.14 Uhr, ich stehe hier 'Unter den Linden' und Deine Lichter sind nicht an. Was soll das denn?" Ein Lachen am anderen Ende der Leitung und die Auskunft, dass die Lichter täglich um 16.15 Uhr angehen - und plötzlich ist die ganze Straße in Licht getaucht. "Das ist ja fast so, als ob er es für mich angemacht hat", freut sich Hetzer und lenkt ihren Opel zurück, immer Richtung Westen, nach Charlottenburg in ihre Niederlassung, wo sie eigentlich einfach nur das machen will, was sie am besten kann: Autos verkaufen.

© SZ vom 13/14.12.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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