Automobilindustrie:Ford gegen Ford

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Der 16. Januar 1970, an solche Tage erinnern sie sich wehmütig in Saarlouis. Zum ersten Mal hatte Ford im Saarland ein komplettes Fahrzeug hergestellt. Der damalige Ministerpräsident des Saarlandes, Franz-Josef Röder, fuhr das Auto selbst vom Band. (Foto: Ford/oh)

Der US-Autohersteller will noch ein Werk in Europa dichtmachen und lässt die Standorte gegeneinander antreten. Der Umstieg auf Elektroautos komme viel zu spät, sagt der Betriebsrat des Standortes Saarlouis.

Von Gianna Niewel, Saarlouis

Was sie wollen, ist von Weitem zu sehen, "Zukunft sichern" steht in Großbuchstaben auf den Fenstern des Gebäudes. Jedes Fenster ein Buchstabe. Drinnen weiß Markus Thal gerade nicht, welcher auf seiner Scheibe klebt, er schiebt die Lamellen zur Seite, es ist das "S".

"S" wie sichern, damit wäre er auch schon beim Thema.

Markus Thal ist der Vorsitzende des Betriebsrats bei Ford in Saarlouis im Saarland, einem Werk mit 4800 Beschäftigten und ungewisser Zukunft. Von der Geschäftsführung haben sie die Zusage, dass sie hier bis 2025 Bleche pressen, Karosserien bauen, den fertigen Focus lackieren können. Und danach?

"Die brutalste Form des Kapitalismus"

Der Automobilhersteller Ford mit Hauptsitz in den USA hatte in Europa zuletzt immer wieder Probleme. Der Gewinn sank, der Aktienkurs litt. 2019 schloss der Konzern deshalb fünf Werke in Europa, darunter eines in Frankreich und eines in Großbritannien. 12 000 Stellen, einfach weg. Aber die Zahlen blieben schlecht. Jetzt soll wohl ein weiteres Werk dichtgemacht werden. Zur Wahl stehen offenbar das in Spanien, südlich von Valencia, und das in Saarlouis, und natürlich tun sie hier alles dafür, dass sie eine Zukunft bekommen. Dass sie auch nach 2025 noch Autos bauen können - nur dann eben keine Verbrenner mehr, sondern E-Autos.

Was der Betriebsrat will, steht auf den Fenstern. Er will die Zukunft sichern. (Foto: Gianna Niewel)

Markus Thal hat verschiedene Bezeichnungen für das, was da gerade passiert. Mal nennt er es "die brutalste Form des Kapitalismus", mal einen "knallharten Bieterwettbewerb". Aber was kann ein Betriebsrat überhaupt tun, um so einen Wettbewerb zu gewinnen? Und wenn sie verlieren: Was würde das für ein Land bedeuten, in dem 44 000 Menschen bei Zulieferern, Ausrüstern, Herstellern arbeiten?

Es geht nicht nur um ein Werk, es geht um die Zukunft eines Bundeslandes

Das Saarland ist ein Industrieland, in den Hochöfen wurde Roheisen zu Stahl, in den Gruben schlugen Männer Kohle vom Gestein. Dann kam die Kohlekrise und traf das Land hart, so hart, dass sich in den 1960er-Jahren der damalige Bundeskanzler Ludwig Ehrhard dafür einsetzte, dass Ford ein Werk in Saarlouis baute. Das Saarland sollte Autoland werden, wurde es auch, und so geht es bei Ford nicht nur um ein Werk, sondern um die Zukunft des Bundeslandes. Schon wieder.

Der Betriebsratsvorsitzende Markus Thal ist 52 Jahre alt, weißes Hemd, kleine Gesten. Sein Schreibtisch sieht aus, wie Schreibtische aussehen: Computer, Aktenmappen, ein Wimpel der IG Metall. Thal ist in der Region geboren, als neuntes von zehn Kindern. Sein Vater arbeitete kurz bei Ford, er selbst lernte hier Werkzeugmechaniker, aber er wollte nicht nur an Fräsmaschinen stehen. 1994 wurde er in den Betriebsrat gewählt, 2014 Vorsitzender. Seine Kollegen sagen, er habe sich dafür ja eine tolle Zeit ausgesucht. "Man sucht sich seine Zeit nicht aus", sagt Markus Thal.

Betriebsrat Markus Thal in seinem Büro. An seinem Fenster klebt das "S". (Foto: Gianna Niewel)

Um es vorwegzunehmen, er hasst diesen Wettbewerb zwischen Ländern, zwischen Standorten, jeder Mensch ein Kostenfaktor, diesen Wettbewerb, in dem ein Ford-Werk gegen ein anderes Ford-Werk antritt. Aber was wäre die Alternative, nicht antreten?

Saarlouis liegt im Westen des Saarlandes, an der Grenze zu Frankreich. Ein großer Marktplatz, der mal Exerzierplatz war, Kasematten, Kopfsteinpflaster. Bekannt aber ist die Stadt nicht für ihre französische und preußische Vergangenheit, sondern für die Gegenwart. Gleich neben der Autobahn A8 produziert Ford in einem Werk, das so groß ist, dass Besucherinnen und Besucher an einem der Tore abgeholt und zum Haupteingang gefahren werden. 98 Prozent der Belegschaft sind gewerkschaftlich organisiert, und als Betriebsratsvorsitzender findet Markus Thal das natürlich gut.

Für die Manager von Ford gelten andere Maßstäbe: Die im Saarland hätten mehr Urlaub als die spanischen Kollegen, ihr Lohn sei fast ein Drittel höher.

Thal und seine Kollegen sitzen deshalb jetzt ständig in Arbeitsgruppen und machen sich Gedanken darüber, welche Zugeständnisse die Belegschaft noch machen könnte. Bei den Lohnkosten, bei den Investitionskosten. Und sie haben doch schon gespart. 2019 stellte Ford die Produktion des Modells CMAX ein, und hier fiel die dritte Schicht weg, 1600 Stellen. 2020: mehrere Monate Kurzarbeit wegen Corona. 2021: wieder Kurzarbeit, außerdem bauten sie 600 Stellen ab. Reicht das nicht?

Das Modell CMAX wurde auch mal in Saarlouis produziert. Dann wurde es eingestellt. (Foto: Thomas Wieck)

Natürlich hätte man diese Frage gerne den Managern gestellt, aber die Pressestelle wiegelt ab. Sie hätten "aktuell keine neuen Nachrichten für Saarlouis". Und damit offenbar auch keinen Auskunftsbedarf. Dabei gäbe es viel zu reden - über die Zukunft des Werkes, die Zukunft von Ford in Europa, die Autoindustrie. Die verändert sich schließlich gerade in einem Tempo, die selbst eine Branche ins Schleudern bringt, die sich mit Geschwindigkeit auskennt. Aber nicht alle Unternehmen schleudern gleich, sie schleudern nicht einmal in den verschiedenen Absatzregionen gleich. In den USA etwa ist der Ford F 150 - ein Pick-up mit einer Ladefläche, auf die problemlos mehrere Bier-Kisten Budweiser passen - seit 1977 der meistverkaufte Truck. Allein im vergangenen Jahr kauften die Amerikaner 787 372 Fahrzeuge aus der Serie, das sind 2157 am Tag. In Europa aber? Schwierig.

Dass es so schwierig ist, dürfte auch daran liegen, dass sich das Unternehmen erst spät um das E-Auto-Geschäft gekümmert hat. Im vergangenen Jahr gab Ford bekannt, mit Volkswagen kooperieren zu wollen, 2023 soll in Köln der erste rein batteriebetriebene Ford vom Band laufen, bis 2026 soll die gesamte Pkw-Flotte auf Elektroautos oder Plug-in-Hybride umgestellt werden.

Viele sagen: Das kommt zu spät.

Markus Thal sagt: Viel zu spät.

Wobei er natürlich trotzdem sofort bereit wäre, das Werk in Saarlouis so umzustellen, dass sie hier E-Autos bauen können. Wäre ja nicht das erste Mal, dass sie sich umstellen.

1970 bauten sie hier das erste komplette Ford-Modell, einen Ford Escort, 40 PS, 1,1 Liter Motor. Der damalige saarländische Ministerpräsident Franz-Josef Röder fuhr ihn vom Band, auf dem Dach stand ein Lorbeerkranz, auf der Kühlerhaube lag ein Blumenstrauß. Die Bilder waren eine Botschaft: Wenn im Land die Gruben schließen, bauen wir eben Autos. Grad se läds, sagen sie hier: Jetzt erst recht.

Etwas mehr als 20 Jahre brauchten sie in Saarlouis, um diese Marke zu knacken. Im Februar 1990 lief das fünfmillionste Auto vom Band - ein Ford Escort der vierten Generation. (Foto: oh)

Und das Werk wuchs, es wuchs immer weiter, und an der Saar siedelten sich Ausrüster und Zulieferer an, 260 Firmen, 44 000 Arbeitsplätze. Für große Autoländer wie Baden-Württemberg oder Bayern mag das nicht viel sein - im Saarland sind es die Hälfte aller Beschäftigten in der Industrie. Außerdem geht doch nicht nur um die Produktion, Deutschland ist auch ein wichtiger Absatzmarkt für Ford.

Ist es da nicht verständlich, dass nicht nur der Betriebsratsvorsitzende für das Werk kämpft?

Anke Rehlinger (SPD) ist die stellvertretende saarländliche Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin, sie bekommt als eine der Ersten mit, wenn sich zwischen Mandelbachtal und Merzig ein Unternehmen ansiedelt - und auch wenn eins vielleicht geschlossen wird. Zunächst einmal, sagt Rehlinger am Telefon, sind Valencia und Saarlouis beide europäische Städte, das heißt für sie gelte das gleiche Wettbewerbsrecht und die gleichen beihilferechtlichen Vorgaben. Es wird also darauf ankommen, was das Werk, aber auch die jeweiligen Regierungen bieten.

Der Bund und das Bundesland könnten Fördergelder geben, hinzu kommen "Instrumente der Arbeitsmarktpolitik". Soll heißen: Wie sie es schaffen, Mitarbeiter zu qualifizieren, die zunächst nicht mehr gebraucht werden, später vielleicht schon, wenn sie viele E-Autos bauen. Konkret will die Wirtschaftsministerin nicht werden, schließlich ist es ein Wettbewerb, und die Spanier sollen nicht wissen, was die Saarländer bieten.

Nur: So ein Bieten klappt nicht immer.

"Natürlich gibt es Rückschläge", sagt Ministerpräsident Tobias Hans (CDU). Vor fast genau zwei Jahren etwa wollten sie Tesla überzeugen, eine Fabrik im Saarland zu bauen, aber Elon Musk entschied sich für Brandenburg. "Deshalb ist es immer Klinkenputzen, was man da betreiben muss." Die Landesregierung jedenfalls lässt keine Zweifel daran, dass sie zum Klinkenputzen bereit ist, dass sie geschlossen hinter Ford steht, und vermutlich müsste man sehr lange suchen, um an der Saar jemanden zu finden, der davor steht.

Carsten Meier ist der Geschäftsführer für den Bereich "Wirtschaftspolitik" der Industrie- und Handelskammer und obwohl er schon seit einigen Jahren im Land lebt, kann er noch von außen draufschauen.

Es ist nicht nur so, dass sich die Automobilindustrie neu aufstellt, auch das Autoland Saarland wird sich neu aufstellen müssen. Oder zumindest anders. Fast die Hälfte der Arbeitsplätze in der Automobilindustrie hängen am Verbrenner, 20 000 von 44 000, nicht nur bei Ford, sondern auch beim Zulieferer ZF, bei Firmen wie Eberspächer, Bosch, Schaeffler. 2016 schon stellte eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation fest: "In den Bereichen, die durch die Elektrifizierung, die Automatisierung oder Vernetzung der Fahrzeuge wachsen werden, ist das Saarland bisher wirtschaftsseitig kaum vertreten."

Fünf Jahre später sagt Carsten Meier: Sicher, wenn Ford schließen würde, wäre das nicht gut fürs Land - "eine Hypothek für die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts" - aber auch wenn hier nach 2025 weiter produziert werden könnte, werde der Wandel in der Automobilbranche im Saarland Arbeitsplätze kosten. Genaue Zahlen? Meier will nicht spekulieren. Er hat sich gefreut, als es erst vor Kurzem hieß, dass das chinesische Unternehmen Svolt eine Batteriefabrik für Elektroautos im Saarland bauen will. Investitionsvolumen: bis zu zwei Milliarden. Arbeitsplätze: bis zu 2000. Allerdings sind die allein bei Ford in Saarlouis in den vergangenen Jahren gestrichen worden.

"Die Umsatz- und Beschäftigungsrückgänge auf dem Feld der konventionellen Antriebsart werden auf Jahre hinaus nicht kompensiert werden", sagt Meier. Oder anders: Das eine wiegt das andere nicht auf. Und deshalb wirbt er dafür, dass sich die Wirtschaft möglichst schnell möglichst breit aufstellt. Wieso nicht viel stärker in der Gesundheitswirtschaft forschen, wieso nicht viel stärker über den Aufbau einer Recyclingproduktion nachdenken, für ausrangierte Antriebsbatterien für Elektrofahrzeuge?

Olaf Scholz, damals Bundesarbeitsminister, und Heiko Maas (rechts), Vorsitzender der SPD-Fraktion im saarländischen Landtag, im Sommer 2009 beim Besuch des Werkes in Saarlouis. (Foto: imago/Becker&Bredel)

Zurück im Büro bei Markus Thal, er schaut auf seinen Jahreskalender. In diesem Herbst fehlten ihnen die Halbleiter, sie sind in Kurzarbeit, und sie bleiben es noch bis Ende Januar. 2021 werden sie nur 89 000 Autos in Saarlouis produzieren. Und dann kam noch die Nachricht, dass der Deutschland-Chef von Ford in den Aufsichtsrat wechselt. Ausgerechnet jetzt. Gunnar Herrmann galt als Unterstützer des Werks in Saarlouis und fehlt nun in den entscheidenden Wochen. Ein Nachteil? Markus Thal verneint, aber als Betriebsratsvorsitzender ist er eben nicht nur Abteilung Arbeitskampf, sondern auch Abteilung Optimismus.

Die Mitarbeiter draußen im Werk haben Sorgen. "Wir wissen ja schon seit Langem, dass es gerade nur bis 2025 geht, da redet man nicht ständig drüber. Aber wenn, dann hat man schon Angst", sagt ein Gabelstaplerfahrer. Er hat sich "Ford" auf dem Unterarm tätowiert. "Ford hat das Elektrogeschäft verschlafen, das muss man so sagen, und jetzt leiden wir darunter", sagt ein Mitarbeiter aus der Lackiererei: "Aber am Ende können wir hier sparen, wie wir wollen, entschieden wird in Dearborn."

Betriebsrat Thal war mal in den USA, das war 2018

Dearborn liegt im US-Bundesstaat Michigan, da hat Ford seinen Firmensitz, das "world headquarters". 2018 war Thal mal dort zu einem Treffen aller Betriebsratsvorsitzenden, er fuhr auf dem Weg zur Firma durch Vororte. Die Vorgärten vieler Häuser waren verwildert, Fenster mit Sperrholz verrammelt. Thal sagt, da habe er gesehen, wie es aussieht, wenn Menschen in einer Region keine Arbeit mehr haben und wegziehen. Ein paar Wochen nach seinem Besuch in den USA war dann Gary Johnson in Saarlouis, eine Art Gegenbesuch, Johnson war damals für die weltweite Produktion zuständig und wollte sich die Werke anschauen. Seither, sagt Thal, war niemand mehr aus den USA hier.

Was ihm gerade Hoffnung macht?

Markus Thal überlegt nicht lange, als Erstes die Belegschaft. Sie hätten die Zugeständnisse in der Vergangenheit immer mitgetragen, und sie seien auch jetzt bereit, Zugeständnisse zu machen. Das wird wichtig werden. Aber er hofft auch darauf, dass die Politik weiter flankiert. Noch im Juli war der damalige Außenminister - und Saarländer - Heiko Maas in den USA und hat Ford-Chef Jim Farley getroffen. Er habe sich für den Standort in Saarlouis stark gemacht. Im Herbst und Winter habe sich dann die Landespolitik sehr engagiert, die Wirtschaftsministerin, ihr Staatssekretär, aber auch der Ministerpräsident, und ob sie das tun, weil 2023 Landtagswahlen sind, oder nicht, ist Thal egal.

Ende Januar wollen Markus Thal und seine Belegschaft ein Angebot abgeben. Dann geben wohl auch die Spanier ihres ab. Und dann wird Ford darüber beraten und entscheiden, Ende Juli, sagt Thal, soll die Entscheidung verkündet werden. Welches Werk kriegt eine Zukunft?

In seinem Büro, wo hinter den Lamellen das "S" hängt, "S" wie sichern, sagt Markus Thal, nein, er habe sich noch keine Gedanken darüber gemacht, was passiert, wenn es für sie nicht reicht.

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