Auswirkungen der Finanzkrise:Das Geld der Anderen

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Eine Kleinanlegerin hat alles verloren und ein Wirtschaftsprofessor wusste alles schon vorher: Viele spüren schon sehr konkret die Konsequenzen der Finanzkrise.

Alexander Hagelüken und Hannah Wilhelm

Die Anlegerin: Es ist sieben Uhr früh an einem Donnerstag im Oktober, als die Finanzkrise ins Wohnzimmer von Andrea Krohn einbricht. Die 29-Jährige will vor der Arbeit schnell etwas überweisen.

Jetzt aber fragen brave Bankmitarbeiter wütend, was diese internationalen Banker angerichtet haben. Im Bild: die Wall Street (Foto: Foto: AFP)

Auf einmal kann sie nicht mehr auf ihr Konto bei der isländischen Kaupthing Bank zugreifen. Das Konto ist gesperrt, die ganzen 13.000 Euro sind unerreichbar. Andrea Krohn sitzt auf dem orangefarbenen Sofa im Wohnzimmer, hinter sich die Fotos ihrer weißen Hochzeit, und starrt auf den Bildschirm. "Mir blieb die Luft weg", sagt sie.

Gerade erst war die Zuversicht in ihr Leben zurückgekehrt. Die ausgebildete Informatikerin fand vor ein paar Monaten wieder eine feste Stelle. Vergangenes Jahr war sie entlassen worden, ihre Firma machte die Münchner Niederlassung dicht und verlagerte die Jobs nach Indien. Sie bekam eine Abfindung, die sie als eiserne Reserve betrachtete. Erst mit der neuen Stelle wagte sie es, ans Ausgeben zu denken.

Die 13.000 Euro sollen der Grundstock sein für eine Wohnung am Stadtrand für sie und ihren Mann. "Endlich was Eigenes." Dafür sollte das Geld erst einmal sicher angelegt werden. Die blonde Frau mit der randlosen Brille ist immer gern auf der sicheren Seite. Und sie ist vorsichtig. Auf ihr Sofa legt sie dunkle Decken, gegen Schmutz, sicher ist sicher.

Diesen Sommer sah Andrea Krohn das Angebot der Kaupthing Bank, die seit längerem offensiv mit hohen Zinsen warb. Sie suchte sich Informationen über die Absicherung des Kontos. Bei der Kaupthing Bank erfuhr sie, dass die isländische Einlagensicherung für bis zu 20.887 Euro bürgt. Sie war beruhigt und überwies. Sie legte ja nur 13.000 Euro an, da konnte doch nichts schiefgehen.

Von der Finanzkrise hatte sie das erste Mal vor einem Jahr gehört. Sie war mit ihrem Mann im Urlaub am Bodensee, als im Fernsehen Nachrichten über amerikanische Hausbesitzer kamen, die ihre Kredite schuldig blieben. Aber das war so weit weg, es hatte so gar nichts mit ihr zu tun. "Dann habe ich länger nichts mehr gehört und dachte, das war"s mit der Finanzkrise", sagt sie. Als aber im September die Krise weltweit eskaliert, steuern die isländischen Banken auf die Pleite zu, sie haben zu aggressiv expandiert.

Andrea Krohns Konto wird gesperrt. Und plötzlich fühlt sich die isländische Einlagensicherung nur für Isländer zuständig. Andrea Krohn hört nun jeden Morgen die Nachrichten. Sie sitzt auf dem orangefarbenen Sofa in ihrem Wohnzimmer, in das plötzlich die Finanzkrise eingebrochen ist, und sie hofft, dass sie irgendwie an ihre Ersparnisse kommt. Für Andrea Krohn und ihren Mann sind 13.000 Euro sehr viel Geld. Sie denkt, hoffentlich geht unser Auto jetzt nicht kaputt.

Auf der nächsten Seite: Der Verbraucherschützer, der sagt, warum die Banken Vorbild für andere Unternehmen waren.

Der Verbraucherschützer: Die Angst ums Ersparte ist in viele Wohnzimmer eingezogen. Die Kaupthing Bank hat 30.000 Kunden in Deutschland, alle bangen. Und nicht nur sie. Viele Deutsche fragen sich, wie sicher ihre Geldanlagen sind, und manche landen im Büro von Niels Nauhauser.

Auf den Fenstersims hat der Stuttgarter Verbraucherschützer Fotos von seinen Söhnen gestellt, drei Jahre und sechs Monate alt. Wenn er aus dem Fenster schaut, sieht er einen Baum mit goldgelben Blättern, aber im Moment hat der 32-Jährige dafür keinen Blick.

Auf der kostenpflichtigen Hotline der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg haben in der ersten Oktoberhälfte schon dreimal so viele Menschen angerufen wie im ganzen September, und da war auch schon viel los gewesen. Nur jeder fünfte Anrufer kommt überhaupt durch. Wer bei Nauhausers Truppe persönlich vorbeikommen will, muss bis Jahresende warten. Sie sind ausgebucht.

Vor ein paar Tagen sprach der Verbraucherschützer mit einem älteren Mann. Er erzählte, dass er vor einiger Zeit 30.000 Euro sicher anlegen wollte und seine Bank ihm Zertifikate des US-Investmenthauses Lehman Brothers empfahl. Inzwischen ist Lehman pleite. "Manche Banken empfehlen ihren Kunden sogar jetzt Papiere, die unsicher sind", ärgert sich Nauhauser.

Aber müssen sich Anleger nicht auch selber informieren? War Andrea Krohn vielleicht zu naiv, als sie ihre Ersparnisse mitten in der Finanzkrise einer isländischen Bank anvertraute? Nauhauser überlegt. Gewiss, Verbraucherschützer äußern schon seit längerem Bedenken gegen die Banken auf der Insel. Doch man dürfe nicht erwarten, dass jeder Deutsche Finanzmagazine liest. "Ich finde, sie war nicht naiv", sagt er.

Bevor Niels Nauhauser zum Anwalt der Kunden wurde, arbeitete er bei einer großen Unternehmensberatung. Dort lieferte er Daten an Berater, die Pläne entwickelten, wie Banken mehr Geld verdienen sollten. Das Vorbild, sagt er, waren immer die Finanzinstitute, die am meisten von allen verdienten, Renditen von mehr als 20 Prozent. Wurde dabei je diskutiert, ob solche historisch außergewöhnlichen Gewinne auf Dauer möglich sind, ohne große Risiken heraufzubeschwören? Niels Nauhauser erinnert sich jedenfalls nicht.

Auf der nächsten Seite: Der Crash-Prophet, der sagt, wann Gier beginnt.

Der Crash-Prophet: "Die Banker haben die Risiken gekannt und verdrängt. Und die Politiker sind ihnen blind gefolgt", sagt Max Otte, wenn man ihn fragt, wie es zur großen Krise kam. Otte lehrt als Wirtschaftsprofessor an der Fachhochschule Worms, aber das ist nicht der Grund, warum er als Deuter der Krise so gefragt ist. Der 44-Jährige hat ein Buch geschrieben, es heißt : "Der Crash kommt". Es erschien schon im Jahr 2006, lange bevor die Krise ausbrach.

Unter Fachleuten sei er damals ignoriert worden, sagt Otte. "Ökonomen von der Universität wahren ihren Status. Die gehen nicht auf jemanden ein, der an einer Fachhochschule lehrt." Zurzeit aber kann er sich über mangelnde Aufmerksamkeit kaum beschweren. Jeden Tag bitten zwei bis drei Radio- und Fernsehsender zum Interview, obwohl er ruhig und leise spricht und kein Marktschreier ist.

Sein Buch hält sich in den Bestsellerlisten, es dürfte seinem Autor mehr als 100.000 Euro einbringen, wenigstens er ist ein Profiteur der Krise. Als er nahe der Münchner Theresienwiese einen Vortrag hält über "Gier, Angst und Hirn", bedrängen ihn hinterher die Zuhörer: Wird es neue Währungen geben? Wie viel Gold hat er selbst gehortet? Doch Otte ist kein raunender Apokalyptiker. Er möchte nicht nur als Crash-Prophet gelten. Er ist kein Kapitalismusfeind. "Eigentlich bin ich ein Aktienfan", sagt er.

Es war einfach nur so, dass er sichere Anzeichen für eine große Blase sah und das aufschrieb. Er erzählt von dem Häuschen in Princeton, das er vor zwanzig Jahren mit anderen Studenten bewohnte. Es kostete damals 130.000 Dollar. Als er vor ein paar Jahren wegen einer Hochzeit wieder vorbeikam, kostete es schon dreimal so viel.

"Die Immobilienpreise waren völlig übertrieben." Er macht für die Krise die Banker und Investoren verantwortlich, die immer höhere Renditen forderten. "Zehn Prozent sind realistisch. Dauerhaft mehr schafft einer nur, wenn er das Rad zu schnell dreht. Da beginnt die Gier", glaubt er. Als der Finanzinvestor Stephen Schwarzman seine Firma Blackstone im Juni 2007 an die Börse brachte und teure Aktien unters Volk streute, schrieb Otte in einer Kolumne, das sei der Anfang vom Ende. Einen Monat später brach die Krise aus.

Auf der nächsten Seite: Der "König der Wall Street", der sagt, warum zehn Prozent Rendite lachhaft sind.

Der König der Wall Street: Manche nennen Stephen Schwarzman "König der Wall Street", weil er angeblich 400 Millionen Dollar im Jahr verdient. Franz Müntefering nennt ihn eine "Heuschrecke". Schwarzman kauft Firmen, dann packt er seinen Werkzeugkasten aus, wie er es nennt, wendet die Werkzeuge auf die Firma und ihre Mitarbeiter an und saugt möglichst große Erträge ab.

Die zehn Prozent Rendite, die Max Otte für ein gesundes Maß hält, findet er lachhaft. Dem Chemiekonzern Celanese, früher Hoechst, zwang er solche Sonderausschüttungen ab, dass ihn die Ratingagentur Moody"s in einer Studie als Negativbeispiel für Finanzinvestoren aufführt. Weniger zupacken darf er bei der Telekom, an der er nur einen kleinen Anteil erwarb. Weil es in Deutschland ein anderes Verständnis des Sozialen gebe, könne er bei der Telekom "die Werkzeuge nicht so stark einsetzen wie in anderen Ländern", sagt er bedauernd.

Der 60-Jährige ist in den Hörsaal 1200 der TU München gekommen. Mit leicht hängenden Schultern spricht er über "die größten Turbulenzen, die jemand in meinem Alter je erlebt hat". Nachdem er eine Weile geredet hat, wird klar, dass die Finanzkrise aus seiner Sicht viele Verursacher hat - und dass fast keiner der Schuldigen aus der Finanzbranche kommt. Schuld sind die US-Politiker, weil sie Menschen ohne genügend Geld Eigenheime ermöglichen wollten. Schuld sind die Bilanzwächter, weil sie die Regeln änderten. Schuld sind die US-Bürger, weil sie durch Druck auf ihre Abgeordneten beinahe das 700 Milliarden Dollar teure Rettungspaket verhindert hätten. Das überzogene Gewinnstreben der Finanzleute stellt er nicht einmal in Frage.

Stephen Schwarzman ist ein brillanter Verkäufer, er kann sein Publikum unterhalten. So hat sich der Sohn eines Bettwäschehändlers hochgearbeitet. Nach langen Jahren bei Lehman Brothers reüssierte er auch deshalb als Finanzinvestor, weil er geschickt Geld einwirbt. Im muffigen Hörsaal 1200 steigert er sich in eine Verkaufsrede hinein, die hängenden Schultern fallen gar nicht mehr auf. "Mein Geschäft hat die besten Renditen in Zeiten wie heute", schwärmt er. "Die Preise der Unternehmen sind gefallen. Es ist der goldene Moment, um zu kaufen." Mögen andere durch die Krise verlieren. Mögen Politiker nachdenken, wie sich die Finanzbranche ändern muss. Stephen Schwarzman will ein Gewinner sein und noch mehr Geld verdienen.

Nur einmal blitzt kurz auf, dass die Krise sehr viele Verlierer fordert und zu einem wirtschaftlichen Abschwung auf dem ganzen Erdball führt. Bei Schwarzman aber kommt diese Einsicht als Witz daher, den er auf Kosten seiner Zuhörer reißt: "Wenn Sie bald nach dem Abschluss die Universität verlassen, bekommen Sie eine Auszeichnung für schlechtes Timing. Keiner will Sie haben!"

Auf der nächsten Seite: Der Gewerkschafter, der sagt, warum jetzt Banker wütend sind.

Der Gewerkschafter: Von Schwarzmans Vortragssaal in der Münchner TU sind es nur ein paar Straßen weiter zu Klaus Grünewald. Das Gewerkschaftshaus beim Hauptbahnhof ist frisch renoviert, die Wände leuchten weiß, es riecht nach Farbe. Aber Grünewald redet nicht von Aufbruch, sondern von Abbruch. Er ist bei der Gewerkschaft Verdi in Bayern für Banken zuständig. Er muss sich darum kümmern, wie sich die Finanzkrise auf die Beschäftigten auswirkt.

Vor kurzem saß an seinem Besprechungstisch eine 54-jährige Kreditbearbeiterin. Er bot ihr Kaffee an. Sie lehnte ab, sie war ganz darauf konzentriert, über ihre Sorgen zu reden. Ihre Bank möchte sie loswerden. In ihrem Alter wird sie kaum einen anderen Job finden. Sie fragte, was dann mit ihrem Haus werden soll, das sie und ihr Mann noch abbezahlen.

"Wir fahren mit dem Bohrer ganz tief in die Erde", sagt der Gewerkschafter. Er meint: Es verlieren nicht nur Anleger wie Andrea Krohn ihr Geld, es gibt auch weniger Wachstum, mehr Pleiten, mehr Arbeitslose in der ganzen Wirtschaft. In den Betriebsversammlungen dringen die Bankbeschäftigten darauf, dass die Gewerkschaft in der laufenden Tarifrunde vor allem ihre Jobs sichern soll.

Es herrscht eine Stimmung, die Grünewald nicht kannte: Zorn. "Der deutsche Bankangestellte ist sehr loyal gegenüber seinem Arbeitgeber. Er will nicht auffallen", sagt er. Jetzt aber fragen brave Mitarbeiter wütend, was diese internationalen Banker angerichtet haben.

Grünewald ist 55 Jahre alt, er arbeitet schon 30 Jahre als Gewerkschafter. Natürlich hört er nun all die Ankündigungen, dass sich die Finanzbranche grundlegend ändern soll - weniger Gier, mehr Kontrolle -, um neue Krisen zu verhindern. Aber er glaubt nicht daran, dass sich etwas ändern wird. Er glaubt, dass sich die Top-Leute nur wegducken für eine gewisse Zeit. "Sobald sich die Stimmung gegen sie gelegt hat, werden Schwarzman und die anderen weitermachen wie bisher."

© SZ vom 22.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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