Aufruhr um die Milch:Beistand für Protest-Bauern

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Hilfe für die notleidenden Milchbauern gibt es ausgerechnet von der vielgescholtenen EU. Die Kommission lockert ihre strengen Agrar-Regeln und vereinfacht staatliche Hilfen.

C. Gammelin

Milchbauern, die um ihre Existenz fürchten, dürfen auf Unterstützung aus Brüssel hoffen. Die Europäische Kommission werde in den kommenden Tagen ihre strengen Beihilferegeln lockern, sagte EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel am Montag auf einem informellen Treffen der europäischen Agrarminister in Brüssel. Das Sondertreffen fand im Angesicht von massiven Protesten von mehr als tausend Milchbauern aus ganz Europa statt, die Eier, Kastanien und Feuerwerkskörper auf das Brüsseler Ratsgebäude warfen. Die Polizei räumte das Gelände.

Die europäischen Michbauern fordern faire Milchpreise. (Foto: Foto: ddp)

Akute Notlagen überbrücken

Fischer Boel zufolge will die Kommission den nationalen Regierungen gestatten, bedürftigen Bauern von sofort an bis Ende 2010 bis zu 15.000 Euro staatliche Beihilfe zu zahlen, ohne vorher einen besonderen Antrag in Brüssel zu stellen. Mit dem Geld sollen die Bauern akute Notlagen überbrücken, erklärte Fischer Boel.

Die Europäische Kommission werde ihren Beschluss auf dem Agrarrat am 19. Oktober in Luxemburg vorlegen. Bisher dürfen die Bauern jährlich maximal 7500 Euro über drei Jahre an staatlicher Finanzhilfe bekommen.

Grund für die Proteste sind die seit Ausbruch der Wirtschaftskrise stark gefallenen Milchpreise. Sie liegen nach Industrieangaben derzeit zwischen 20 und 27 Cent je Liter. Die Milchbauern benötigen nach eigenen Angaben etwa 40 Cent, um kostendeckend zu wirtschaften. Sie fordern deshalb seit Monaten, europaweit weniger Milch zu produzieren.

Bundesagrarministerin Ilse Aigner begrüßte die Ankündigung. Die Bundesregierung werde für die heimischen Milchbauern "je nach Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von der neuen Regelung Gebrauch machen", sagte sie in Brüssel. Auf dem Agrarrat in zwei Wochen sollen die Minister weitere kurzfristige Hilfen beschließen. Die Europäische Kommission kündigte an, öffentliche Kampagnen zur Förderung des Milchabsatzes zur Hälfte zu finanzieren.

Noch kein Beschluss der Bundesregierung

Deutschen Unterhändlern zufolge gibt es noch keinen Beschluss der Bundesregierung über eine solche Werbeaktion. Mit EU-Mitteln bezuschusst wird bereits die Verteilung von Milch in Schulen. Ein Kommissionssprecher erklärte, Brüssel investiere 2009 insgesamt 600 Millionen Euro, vor allem, um überschüssige Milcherzeugnisse aufzukaufen und Exporte in außereuropäische Länder zu unterstützen.

Nicht einigen konnten sich die Europäer auf langfristige Hilfe. Sieben EU-Staaten, darunter Großbritannien und die Niederlande, blockieren mit ihrer Sperrminorität einen Vier-Punkte-Plan. Darin fordern die anderen EU-Staaten mehr Macht für die Milchbauern bei den Verhandlungen mit Großabnehmern sowie effizientere Instrumente, um ihre Milch besser zu vermarkten. Spekulationspreise sollen eingedämmt, Kalkulationen nachvollziehbar werden.

Die sieben Staaten lehnen solche Eingriffe ab. Die Europäische Kommission hat Spezialisten damit beauftragt, die Positionen der einzelnen Länder bis zum nächsten Agrarrat anzunähern. Sie tagen erstmals am Dienstag kommender Woche.

Bundesagrarministerin Aigner scheiterte zudem mit ihrer Forderung, Milchbauern zusätzlich mit nicht verbrauchten Mitteln des EU-Agrarhaushalts zu unterstützen. Fischer Boel erklärte, es gebe keinen finanziellen Spielraum. Auch die beschlossenen Produktionsmengen würden nicht angetastet.

© SZ vom 06.10.2009/gits - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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