Audi-Strafprozess:Viele Folien und "eine Bombe"

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Audis vor einem Werk bei Brüssel: Die Frage ist, wie die betrügerische Software in die Motoren kam - und wer davon wusste. (Foto: Benoit Doppagne/imago)

Der angeklagte Abgastechniker Henning L. beschreibt im Prozess ein sehr spezielles System.

Von Jan Schmidbauer, München

Henning L. gehört nicht zu den prominenten Gesichtern in diesem Prozess. Aber, und das ist heute sein Problem: Er saß an einer ziemlich wichtigen Position, als beim VW-Konzern und seiner Tochter Audi am wohl größten Industriebetrug der deutschen Nachkriegsgeschichte gearbeitet wurde. Henning L., das sagte sein Verteidiger Maximilian Müller schon in seiner Auftaktbemerkung im Audi-Prozess, war so etwas wie der "oberste Abgasnachbehandler" bei Audi. Ein Mann also, der über "geradezu granulare Detailkenntnisse verfügt". Konkret heißt das: L. leitete den Bereich mit dem internen Namen N/EA 631. Die Abteilung, aus der wohl die mutmaßlich betrügerische Software kam, die die bulligen Sechszylinder auf dem Prüfstand sauberer wirken ließ, als sie tatsächlich waren.

In dieser Woche nun kommt der 53-Jährige, der bis heute bei Audi beschäftigt ist, erstmals zu Wort. Er trägt ein schwarzes Sakko mit weißem Hemd. Vor dem Landgericht München II gesteht L., dass er beteiligt war an diesem Skandal. Dass er eine Verantwortung trage und sich Vorwürfe mache. Und er erläutert, wie es soweit kommen konnte. Warum Audi-Techniker begannen, die Software von Motoren zu manipulieren. L. ist einer von vier Angeklagten im ersten Strafprozess zum Dieselskandal in Deutschland. Neben ihm angeklagt sind sein Ex-Chef Giovanni P. sowie zwei langjährige Top-Manager des VW-Konzerns: Wolfgang Hatz, ehemaliger Audi-Motorenchef. Und Rupert Stadler, von 2007 bis 2018 Vorstandsvorsitzender der Audi AG. Stadler wird im Gegensatz zu den drei anderen Angeklagten nicht vorgeworfen, "Motoren für Fahrzeuge der Marken Audi, VW und Porsche entwickelt zu haben, deren Steuerung mit einer unzulässigen Softwarefunktion ausgestattet war". Er soll aber nach Auffliegen des Abgasskandals im September 2015 nicht verhindert haben, dass weiterhin Fahrzeuge mit Betrugssoftware in Europa verkauft wurden. Das zumindest ist der Verdacht. Und von L. erhoffen sich die Ermittler auch hierzu Erkenntnisse. Hatz und Stadler bestreiten alle Vorwürfe.

Zwar hat Henning L. die angeklagten Top-Manager bislang nicht direkt belastet. Doch schon in den Vernehmungen berichtete er Entlarvendes über die Atmosphäre, die bei Audi geherrscht haben soll. Stadler habe in Rundschreiben an die Belegschaft zwar mehrfach dazu aufgefordert, reinen Tisch zu machen. Aber diejenigen Ingenieure, die manipuliert hatten, seien unsicher gewesen, ob das auch so gemeint war. Vielleicht, weil Probleme in diesem Konzern nicht gerne gesehen waren. Vor Gericht spricht L. von einer "Angstkultur", die unter Stadlers Vorgänger, dem späterem VW-Chef Martin Winterkorn, geherrscht habe. Es sei nicht darum gegangen, wie ein Fehler entstanden sei, sondern darum, wer Schuld hat. Unter Stadler habe sich das gebessert, aber bestanden habe dieses Gefühl weiterhin.

Der Angeklagte hat eine Power-Point-Präsentation mitgebracht

Für seine Ausführungen hatte er eine Power Point mitgebracht. Zusammengesetzt aus Präsentationen, die er über die Jahre bei Audi angefertigt hat. Auch das war eine regelmäßige Aufgabe von Leuten wie ihm. Von "Powerpoint-Ingenieuren" habe man bei Audi manchmal gesprochen, sagt L., auch wenn er selbst studierter Chemiker ist. Es sind Folien voller Zahlen und Grafiken, die er zeigt. Folien voller Probleme, die nach und nach auftraten und sich, etwas vereinfacht, so zusammenfassen lassen: Die Autos brauchten zu viel Adblue, zu viel von dem Harnstoffgemisch, das die giftigen Stickoxide neutralisieren sollte. So viel, dass die Kunden selber hätten nachfüllen müssen und nicht erst die Werkstatt. Das aber habe bei Audi damals als "No-Go" gegolten. "2008", sagt L., sei dann das "entscheidende Jahr" gewesen. Da habe sich alles verdichtet. Der Druck von oben, der an seine Abteilung weitergereicht wurde. Die Erkenntnis, dass man das Problem mit legalen Mitteln wohl nicht in den Griff bekommen würde. Was dann alles in einer berühmten, abteilungsinternen Mail mündete, die L. noch einmal an die Wand des Gerichtssaals werfen lässt. "Ganz ohne Bescheißen", schrieb einer seiner Mitarbeiter, werde man es nicht schaffen.

Diese Erkenntnis habe er nicht in dieser Wortwahl weitergeleitet. Aber dass es da ein Problem gab, habe er an die höheren Ebenen weiterkommuniziert. L. zeigt die entsprechende Unterlage. Von zu hohen Adblue-Verbräuchen im Stadtverkehr ist darin die Rede. Darunter der Satz: "In den USA höchst kritisch." Bloß: Es habe keiner reagiert. Dabei sei das ja "eine Bombe" gewesen, sagt L. "Das war der Zeitpunkt für mich, wo meine Chefs hätten sagen müssen: Stoppt den Scheiß!" Was er später auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Stefan Weickert aber auch sagt: Dass er und seine Leute sich gescheut hätten, ganz offen nach oben zu kommunizieren. Dass sie lieber nicht von "schummeln" schrieben.

Die Staatsanwaltschaft betrachtet L. als glaubwürdig und reumütig. Nachdem die Ermittler 2017 mit einem Durchsuchungsbeschluss bei ihm auftauchen, packte er aus. Schon ein Jahr zuvor soll er sich als Auskunftsperson angeboten haben, betonte sein Anwalt zu Prozessbeginn. Er wolle einen "Beitrag zur Aufklärung des Dieselgates bei Audi" liefern, sagte L. bei seiner ersten Vernehmung als Beschuldigter im August 2017. Doch es gehe ihm auch um etwas Anderes: Darum, seine "Seele ein wenig von Ballast zu befreien". Er wird dazu weitere Gelegenheit bekommen. Am nächsten Prozesstag wird er seine Präsentation fortsetzen.

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