Kommentar:Eine Chance für "Ariane"

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Die Esa will die neue Trägerrakete "Ariane 6" weiterentwickeln und braucht dafür auch Geld. Illustration: Airbus (Foto: dpa)

Dass sich die europäische Trägerrakete weiter verzögert, liegt nicht nur an der Pandemie. Sondern auch an den Strukturen.

Von Dieter Sürig

Die europäische Raumfahrtagentur Esa wollte zum Jahresende eigentlich den Premierenflug der neuen Trägerrakete Ariane 6 feiern. Dass die Esa den Start nun auf 2022 verschieben musste, liegt aber nicht nur an der Pandemie. Es zeigt auch, dass die Rahmenbedingungen nicht mehr dafür geeignet sind, eine wettbewerbsfähige Esa-Rakete zu bauen. Selbst wenn die Ariane 6 jetzt gestartet wäre - sie ist zumindest in Teilen bereits veraltet.

Esa-Chef Jan Wörner kokettiert gerne damit, dass seine Organisation längst eine "European New Space Agency" sei, wenn die jungen New-Space-Firmen zum hippen Gegenentwurf der Esa stilisiert werden. Dabei wirkt das 1975 gegründete Konstrukt so träge wie ein Tanker. New Space wird dagegen mit Disruption gleichgesetzt: Gründer wie Space-X-Chef Elon Musk sind unkonventionell, hemdsärmelig, schneller. Die Esa kann nun beweisen, dass sie sich nicht nur das Etikett New Space anheften, sondern auch flexibler werden kann - soweit dies mit 22 Mitgliedsstaaten geht. Dies ist nämlich nötig, wenn die Ariane noch eine Rolle spielen soll.

Als die Esa-Minister 2014 entschieden, ein Nachfolgemodell für die veraltete Ariane 5 zu finanzieren, da blickten sie nach Kalifornien, wo sich ein Elon Musk gerade anschickte, mit seiner günstigeren Rakete Falcon 9 Marktanteile zu erobern. Nur: Während die Ariane 6 seitdem eher zur aufgepimpten Ariane 5 wurde, entwickelte Musk seine Rakete weiter, auch was die Wiederverwendbarkeit betrifft. Die Esa hat dem Raketenhersteller Ariane-Group dann zwar 2017 auch Mittel zur Verfügung gestellt, um ein mehrfach nutzbares Triebwerk zu bauen. Der Auftrag für eine wiederverwendbare Raketenstufe kam aber erst jetzt - für die 2030er-Jahre. Die Wegwerfrakete Ariane 6 ist also schon veraltet, bevor sie abgehoben hat.

Ein Problem dürfte sein, dass die Ariane-Ingenieure mit ihren Ideen immer auf das Go der Esa warten müssen - im Zweifelsfall bis zur nächsten Esa-Ministerkonferenz. Man stelle sich vor, Volkswagen würde sein Elektroauto erst dann bauen, wenn die Entwicklung vom Steuerzahler durchfinanziert worden ist. Auf die Raumfahrt übertragen kann es nicht die Aufgabe der Esa sein, ständig zu überprüfen, ob die Ariane-Rakete noch state of the art ist. Sicher muss die Esa Anforderungen formulieren. Wenn aber alle 13 Esa-Länder, die am Ariane-Programm beteiligt sind, jeden Entwicklungsschritt abnicken müssen, dann kann ein amerikanischer Milliardär da im Zweifelsfall schneller agieren.

Die US-Raumfahrtbehörde Nasa kann als Vorbild dienen

Dass die Entscheidungswege bei der Esa so zäh sind, hängt auch damit zusammen, dass Steuergeld ausgegeben wird - und dass die Beiträge der Esa-Länder größtenteils wieder in die jeweiligen Länder zurückfließen sollen, um die heimische Wirtschaft zu unterstützen. Die Ariane-Produktion ist also über Europa verstreut, was Kosten verursacht. Dieses Georeturn-Prinzip ist überholt, wenn die Esa künftig als Kunde auftreten will: Dass sie nun Ausschreibungen an mehrere Unternehmen vergeben möchte, um die Raketen-Generation nach Ariane 6 zu entwickeln, ist ein erster Schritt zur neuen Esa-Rolle.

Die US-Raumfahrtbehörde Nasa hat es vorgemacht: Als sie 2011 das Space Shuttle ausrangierte, hat sie für einen neuen Zubringer zur Raumstation ISS Programme ausgeschrieben, an denen sich viele Konzerne beteiligten. Heute kann die Nasa Fracht- und Astronautenflüge bei verschiedenen Anbietern buchen. Sicher, die Nasa investierte auch dafür Milliarden Dollar Steuergeld, doch nun tritt sie nur noch als Kunde auf, der die Flüge bucht, aber die Vehikel nicht mehr besitzt und von Weiterentwicklungen profitiert. Solch ein System entlastet mittelfristig das Budget - auch bei Ariane.

Dafür ist ein Umdenken nötig: Erstens fördert mehr Wettbewerb Innovationen und Kostensenkungen bei der Ariane. Dazu ist es zweitens unabdingbar, dass Firmen über Entwicklungen schneller entscheiden können, was drittens neue Strukturen erfordert - mit der Esa als Kunden. Dies impliziert viertens, dass das Prinzip des Georeturn verändert werden muss. Zumal Unternehmen im Wettbewerb mehr ins Risiko gehen müssen und Entwicklungen auch vermehrt selbst finanzieren. Folgerichtig ist auch, dass Esa-Direktor Daniel Neuenschwander industrielle Umstrukturierungen bei Ariane fordert. Für die Anschubfinanzierung könnte das Georeturn-Prinzip von Ariane entkoppelt werden: Ein Land zahlt den europäischen Zugang zum All zwar mit, bekommt aber womöglich Aufträge für andere Esa-Projekte.

Bleibt die Frage, ob die Ariane 6 nicht modernisiert werden sollte - also besser noch später startet, dafür aber wettbewerbsfähig wäre. Die Pandemie wäre dann eine Chance für die Esa-Rakete.

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