Arbeitsplätze:Die menschliche Seite

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Die Angst vor der Macht der Maschine und ihren Folgen: Wie sich Europa gegen die Übermacht der USA zu wehren versucht.

Von Varinia Bernau, Berlin

Neulich ist Reiner Hoffmann eine Ausgabe des Spiegel in die Hand gefallen. Darin ging es, so kündigt die Titelseite an, um Computer, die Arbeitsplätze vernichten. Die Ausgabe war von 1978.

Nehmen Maschinen dem Menschen unangenehme Arbeiten ab und lassen ihm so mehr Zeit und auch mehr Energie für das, was er wirklich machen will, oder könnten die immer schlaueren Maschinen den Menschen eines Tages ersetzen? Die Frage ist nicht neu. Das ist die Botschaft von Hoffmann, dem Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Er will demonstrieren, dass es keinen Grund zur Panik gibt. Wohl auch, dass er und seine Leute das schon schaffen werden. Wie sie es auch damals, als der Computer in die Büros einzog, geschafft haben.

Wer nach Argumenten dafür sucht, dass die Angst vor der Macht der Maschine nicht nur ein vages Gefühl ist, der findet sie bei Carl Benedikt Frey und Michael Osborne von der Universität Oxford. In einer Studie haben sie mehr als 700 Berufe darauf untersucht, wie stark sie durch den Computer bedroht sind. Das Ergebnis: Fast jeder zweite Beruf ist hochgradig gefährdet. Immobilienmakler und Kreditanalysten ebenso wie Busfahrer und Piloten.

"Den Kassandra-Rufen aus Oxford schließen wir uns nicht an", betont Hoffmann. Aber das heißt noch lange nicht, dass er die Risiken der Digitalisierung nicht sieht. Er war im Sommer selbst im Silicon Valley und hat große Internetkonzerne wie Google und Facebook besucht, die an schlauen Maschinen arbeiten, die immer mehr Aufgaben übernehmen, die einst Menschen erledigt haben. Er hat Start-ups besucht, die sich nicht mehr als verantwortungsvolle Arbeitgeber verstehen. Und er hat Menschen getroffen, die auf ihn, den deutschen Gewerkschaftsführer, große Hoffnungen setzen: "Bei der Frage, wer diesen Prozess mitgestaltet, sind wir weiter als Amerika", sagt Hoffmann. "Und wir dürfen auch in Zukunft nicht nur der Maxime des technisch Machbaren folgen. Es muss uns gelingen, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen."

Reiner Hofmann, Joe Kaeser und Günther Oettinger (von li.). (Foto: Stephan Rumpf)

Es ist ja nicht nur die technologische Überlegenheit der US-Wirtschaft, die vielen Europäern derzeit Sorgen macht. Es ist auch der Anspruch, ganze Wertschöpfungsketten für sich allein zu beanspruchen. Die USA, das sind, so skizziert es Günther Oettinger, mit 320 Millionen Menschen ein enormer Markt; mit Stanford, Harvard und Princeton die weltweit besten Hochschulen; mit der englischen Muttersprache auch gleich eine Weltsprache. "Daraus haben sie ihre digitale Überlegenheit entwickelt. Und nun wollen sie die gesamtwirtschaftliche Überlegenheit", sagt der EU-Kommissar. Apple werde die Bauteile für sein iCar nicht stanzen. "Diese niedrigen Tätigkeiten werden sie denen in Wolfsburg überlassen." Und Google werde keine Kraftwerke bauen. Vielmehr gehe es darum, einen stolzen Preis für das schicke Auto und allerlei Apps dazu einzustreichen. Oder, um bei Google und seinem smarten Rauchmelder und Thermostat Nest zu bleiben, die Steuerung um Dienste im Haushalt zu übernehmen: "Die zielen in das Herz der deutschen Wirtschaft."

Joe Kaeser ist Chef von Siemens und somit einer, den dieser Schlag am härtesten treffen würde. Er hat vor langer Zeit mal einige Jahre im Silicon Valley gelebt, als es für Manager noch nicht zum guten Ton gehörte, für ein paar Monate Kapuzenpulli gegen Anzug einzutauschen. Er kennt diese Energie, die man dort im Tal der Tüftler in sich aufsaugen kann, durchaus. Aber auch er weiß, welchen Preis die Menschen dort dafür zahlen. "Die kriegen keinen Zehn-Stunden-Tag - und die kennen auch keine hundert Sachen, was ihr Arbeitgeber alles nicht darf", sagt Kaeser. "Das Silicon Valley ist keine geografische Einheit, es ist eine Geisteshaltung - und die sagt: Nur der Härteste überlebt."

Ausgerechnet Kaeser, der Mann, der die Geschicke eines der größten Arbeitgeber im Land lenkt, wirft eine Frage auf, die auch Hoffmann, den Mann, der für das Gros der Arbeitnehmer kämpft, umtreibt: "Wie werden wir mit den Schwachen umgehen?"

Hoffmann, der Gewerkschafter, sieht sie in der Bildung. "Wenn die Halbwertszeit von technologischen Innovationen immer kürzer wird, dann wird zwangsläufig auch die Halbwertszeit von Qualifikationen immer kürzer", sagt er und räumt gleichzeitig Versäumnisse ein: "Wir müssen endlich ernst machen mit dem lebenslangen Lernen. Das diskutieren wir ja seit den Siebzigern."

Kaeser, der Manager, sieht die Antwort in einem europäischen digitalen Binnenmarkt. Einheitliche Spielregeln würden den hiesigen Unternehmen die Expansion erleichtern und den Anschluss an die Amerikaner ermöglichen. "Wenn Daten die Intelligenz des 21. Jahrhunderts sind, dann müssen diese Daten auch schützbar sein - so wie Patente heute."

"Ein Markt ohne klare Regeln ist Chaos", betont auch der EU-Politiker Günther Oettinger. Warum sich Europa so schwertut, sich auf diese Regeln zu einigen, kann er nicht erklären.

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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