Apple und Google:Pakt der Rivalen

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Im öffentlichen Nahverkehr wie hier in der New Yorker U-Bahn kommen Menschen auf engem Raum zusammen. Eine App könnte helfen, mögliche Kontakte zu Infizierten zu ermitteln. (Foto: John Minchillo/AP)

Google und Apple wollen kooperieren: Gemeinsam soll ihre Technik nachverfolgen, wen Infizierte getroffen haben. Sicherheitsexperten sind allerdings skeptisch.

Von Simon Hurtz und Max Muth, Berlin/München

Normalerweise konkurrieren Apple und Google erbittert um jeden Handynutzer, doch die Corona-Pandemie bringt die Hersteller der mobilen Betriebssysteme iOS und Android zumindest für ein Projekt zusammen. Am Karfreitag kündigten die beiden Tech-Konzerne die wohl weitreichendste Kooperation ihrer Unternehmensgeschichte an. Sie wollen Bluetooth-Funktechnik nutzen, um Kontaktpersonen von Corona-Infizierten zu ermitteln, ohne die Identität der Beteiligten zu offenbaren - unabhängig vom Betriebssystem, das auf dem Smartphone läuft. Mit der neuen Technologie sollen Corona-Infektionen früh erkannt werden.

Das soll folgendermaßen funktionieren: Handys verschicken über die stromsparende Bluetooth-Technik BLE ständig eine Identifikationsnummer (ID), die dann andere Smartphones in der Nähe speichern. So kann im Nachhinein festgestellt werden, welche Geräte - und damit in den meisten Fällen auch deren Besitzer - sich lange genug nahe genug waren, um sich möglicherweise mit dem Coronavirus angesteckt zu haben. Wer später positiv auf das Virus getestet wird, kann seine ID im System veröffentlichen. Die Geräte derjenigen Nutzer, die lange genug in der Nähe dieser ID waren, werden anschließend benachrichtigt. Sie würden dann zum Beispiel aufgefordert, sich auf eine Infektion mit dem Virus testen zu lassen. Um trotzdem Privatsphäre zu gewährleisten, werden die Geräte-IDs nie einer bestimmten Person zugeordnet. Außerdem werden sie einmal am Tag ausgetauscht.

Die Tracing-Funktion soll langfristig direkt ins Betriebssystem eingebaut werden

Bis Mitte Mai sollen zunächst Schnittstellen in iOS und Android geöffnet werden, die Gesundheitsbehörden in ihre eigenen Apps einbauen können. Über diese Schnittstellen können die jeweiligen Apps sowohl mit iOS- als auch Android-Geräten kommunizieren. Covid-19-Diagnosen müssen zudem von Ärzten oder Laboren bestätigt werden, um das Risiko von Fehlalarmen zu reduzieren und auch Trolle abzuschrecken, die das System mit absichtlichen Fehlalarmen stören wollen.

Nicht alle Nutzer haben die jeweils neueste Version von iOS oder Android installiert. Google hat erklärt, das Update in einer absoluten Basisfunktion von Android unterbringen zu wollen, den Google Play Services. Das werde dazu führen, dass alle Android-Versionen ab der Version 6.0 des Betriebssystems die Technologie nutzen können. Apples Antwort auf eine entsprechende Nachfrage fiel der Webseite TechCrunch zufolge ausweichend aus: Man werde die Funktion auf so vielen Geräten wie möglich ausrollen. In jedem Fall sollen es alle Nutzer von iOS 13 erhalten. Das läuft auch noch auf älteren Apple-Smartphones wie dem iPhone 5s oder dem iPhone SE aus dem Jahr 2016.

In einem zweiten Schritt wollen Apple und Google die Bluetooth-Tracing-Funktion direkt in ihre jeweiligen Betriebssysteme integrieren. Nutzer müssten dann keine App mehr herunterladen, sondern nur noch einwilligen. Diese freiwillige Zustimmung soll Voraussetzung sein, um beim Tracing mitzumachen. Hat das System einen Risikokontakt bestätigt, sollen Nutzer jedoch auch aufgefordert werden, zusätzlich eine entsprechende App der jeweiligen Gesundheitsbehörden ihres Landes zu installieren. Nur diese zertifizierten Apps sollen laut Apple und Google Zugriff auf die Daten bekommen.

Jedes Gerät müsste täglich Hunderte Megabyte an ID-Daten herunterladen

Kryptographie-Experten wie Moxie Marlinspike, Entwickler des Verschlüsselungs-Protokolls im Messenger Signal, sind jedoch nicht voll und ganz von Apples und Googles Design überzeugt. Zum einen warnt Marlinspike, dass bestehende Bluetooth-Tracking-Infrastruktur der Werbeindustrie die IDs sammeln und so in Erfahrung bringen könnte, wer Covid-positiv sei. Zum anderen wäre ihm zufolge der Ansatz von Google und Apple nur in Verbindung mit bestimmten Ortsdaten machbar. Auch wenn eine ID nur wenige Byte groß sei, müsste jedes Gerät bei den aktuellen Infiziertenzahlen täglich Hunderte Megabyte an ID-Daten herunterladen, schrieb Marlinspike auf Twitter. Einschränken ließe sich das nur durch die Nutzung ebenjener Location-Daten.

Apple und Google sind nicht die Einzigen, die Corona-Kontakte über Handys von Bürgern nachverfolgen wollen. Die Tracing-Methode der beiden US-Konzerne gleicht dem Ansatz der europäischen Plattform Pepp-PT, die ebenfalls Bluetooth einsetzen will, um Infektionswege nachzuvollziehen. Auch am Massachusetts Institute of Technology wird ein ähnliches System entwickelt.

Andere Apps zur Überwachung der Corona-Ausbreitung übermitteln etwa GPS-Daten an die Behörden, so etwa in Polen, Israel und Südkorea. Mobilfunkanbieter teilen zudem anonymisierte Funkzellendaten mit Gesundheitsbehörden. Diese Vielzahl unterschiedlicher Strategien und Plattformen könnte noch zum Problem werden, sagte der deutsche Außenminister Heiko Maas am Dienstag: "Wichtig ist, dass wir nicht bei einem Flickenteppich aus 27 Corona-Apps und 27 Datenschutzregimen landen, sondern möglichst abgestimmt vorgehen", sagte Maas den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Insbesondere die Ermittlung von Kontakten mittels der Bluetooth-Technik kann nur funktionieren, wenn ein möglichst großer Teil der Bevölkerung das System auch nutzt. Einer Umfrage zufolge, die das Meinungsforschungsinstituts Civey jüngst für den Bayerischen Rundfunk durchführte, wären 56 Prozent der Deutschen bereit, sich eine Corona-Tracing-App zu installieren.

© SZ vom 15.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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