Anleger:Der Kampf eines Lehman-Opfers

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15.000 Euro hat ein Rentner durch die Pleite des US-Instituts Lehman Brothers verloren. Wie er sich einen Teil davon bei seiner Bank zurückholte.

Harald Freiberger

Im Juni 2007 wurde Georg Leitner (Name geändert) 75 Jahre alt. "Ich fand, das ist die richtige Zeit, um bei der Geldanlage mehr auf Nummer sicher zu gehen", sagt er. Er vereinbarte einen Termin mit seinem Berater bei einer Raiffeisenbank in einem kleinen Ort in Bayern. Etwa ein Drittel seines Vermögens steckte in Aktien, überwiegend in deutschen Standardwerten. Er verkaufte Papiere im Wert von 20.000 Euro. Die wollte er wieder anlegen, möglichst sicher, möglichst gut verzinst. Nach Hause kam Leitner mit einer Kaufbestätigung, auf der stand, dass er eine Anleihe mit dem Namen DZ Bank Cobold Plus E4456 über 15.000 Euro in seinem Depot habe, die einen jährlichen Bonus von 6,375 Prozent bringt.

40.000 Deutsche haben Geld mit Papieren der insolventen Bank Lehman Brothers verloren - etliche wurden jedoch inzwischen entschädigt. (Foto: Foto: dpa)

Der Rentner ahnte nicht, dass er mit dem Kauf zu dem geworden war, was gut ein Jahr später als "Lehman-Opfer" in die Schlagzeilen kam. 40.000 von ihnen gibt es in Deutschland. Sie alle haben Papiere gekauft, hinter denen die US-Investmentbank Lehman Brothers stand, die am 15. September 2008 pleite ging. Ihr Geld ist seitdem verloren.

Geld für die Opfer

Leitner bekam einige Wochen später einen Brief von seiner Bank, in dem stand, "das Kreditereignis Insolvenz" sei eingetreten. Seine DZ-Bank-Anleihe werde umgebucht in eine praktisch wertlose Lehman-Schuldverschreibung. "Das war für mich ein Schock", sagt er. Er ging wieder zu seinem Berater, der sagte ihm, er könne nichts tun, das Geld sei verloren, aber vielleicht sorge ja der neue US-Präsident Obama bald für eine günstige Entschädigungsregelung. "Das war mir zu wenig", sagt Leitner. Er beschloss, für sein Geld zu kämpfen. Anfang des neuen Jahres häuften sich Meldungen über Bankkunden, denen es genauso ging wie ihm. Einige nahmen sich Anwälte und gingen vor Gericht.

Edda Costella, Anlageexpertin bei der Verbraucherzentrale Hamburg, sieht gute Chancen für Lehman-Opfer, vor Gericht zu siegen. "Häufig klärten die Banken nicht über einen möglichen Totalverlust auf, den es grundsätzlich bei Zertifikaten gibt", sagt sie. Auch über die Zinsregeln sei oft nicht ausreichend aufgeklärt worden. Vor dem Hamburger Landgericht sind einige Klagen anhängig. Es gibt noch keine Entscheidung, aber erste Signale, dass die Klagen erfolgreich sein könnten. Dann müssten die Banken die Lehman-Opfer entschädigen. Einige, wie die Hamburger und die Frankfurter Sparkasse, haben das schon von sich aus getan; sie zahlten Geld an Lehman-Opfer, die sie als Härtefälle sehen oder bei denen offensichtliche Falschberatung vorlag.

"Gekauft ohne Beratung"

Den Rentner Georg Leitner machen solche Nachrichten mutig. Er lässt sich Ende März wieder einen Termin von seiner Bank geben, diesmal in der Zentrale im Nachbarort. Leitner trägt dem Anlageberater dort sein Anliegen vor: "Ich habe nicht gewusst, dass ich mit der Cobold-Anleihe mein ganzes Geld verlieren kann", sagt er. Er könne sich nicht erinnern, dass der Bankberater in der örtlichen Filiale von einem Risiko gesprochen hätte. "Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich die Anlage bestimmt nicht gekauft."

Der Berater in der Zentrale schluckt. "Normalerweise weisen wir immer auf das Risiko hin", sagt er. Er sieht in den Kaufunterlagen nach. "Gekauft ohne Beratung", ist da angekreuzt. Ihm sei nicht bekannt, "dass wir in einem solchen Fall entschädigen". Das müsste er auch mit der Geschäftsleitung abstimmen. "Ist die Geschäftsleitung da?", fragt Leitner.

Der Berater holt einen der beiden Bankvorstände. Der liest in den Unterlagen. "Da haben wir bis jetzt noch nicht darüber nachgedacht, das war für uns bisher kein Thema", sagt der Chef. "Ich kenne den Sachverhalt zu wenig. Aber im Juni 2007 konnte man sicher noch nicht wissen, dass Lehman zusammenbrechen würde. Die hatten ja ein zweifaches A-Rating. Das ist halt, ich sag mal, ein dummer Zufall, dass die zusammengebrochen sind." Der Vorstand überlegt eine Weile, dann sagt er: "Ich treffe jetzt noch keine Aussage, wir müssen es uns erst genau ansehen."

Im zweiten Teil: Die Bank macht Georg Leitner ein Vergleichsangebot.

Zehn Tage später der nächste Termin, diesmal in der Filiale vor Ort, wo der Kauf stattgefunden hat. Das Treffen findet nach Dienstschluss statt, der örtliche Bankberater ist dabei, der Anlageberater der Zentrale und der Vorstand. Der Vorstand führt das Wort: "Wir können uns nicht erklären, wie es zu dem Kauf gekommen ist, wir haben kaum Cobold-Anleihen verkauft, unser Berater hier kann sie nicht empfohlen haben, dazu hat er gar nicht die Kompetenz." Der Berater nickt. Verwunderung bei Leitner: "Woher soll ich denn das Papier gekannt haben?" Der Vorstand sagt: "Wir dachten, vielleicht haben Sie einen Tipp bekommen." Leitner schüttelt den Kopf. Das Gespräch scheint einen schlechten Verlauf zu nehmen, doch dann macht der Vorstand ein Angebot: "Ich will gar nicht lange herumreden, weil Sie seit Jahrzehnten ein guter Kunde sind, bieten wir Ihnen eine Entschädigung von 5000 Euro an."

Leitner überlegt, dann sagt er: "Ein Drittel Entschädigung, das ist noch nicht das, was ich mir vorgestellt habe." "Das dachte ich mir schon", antwortet der Vorstand und lacht. Dann kommt ein neuer Vorschlag: "Ich will nicht ewig diskutieren, ich kann Ihnen ein letztes Angebot machen: 7500 Euro." Aber das sei "absolute Oberkante", man sei damit schon weit über der Empfehlung des Verbands, mehr gehe nicht, "da müssten wir uns schon vor Gericht treffen".

Drei Tage Bedenkzeit

Leitner will es sich überlegen und in drei Tagen Bescheid geben. Ist eine Entschädigung von 50 Prozent für Lehman-Opfer ein gutes Angebot? Edda Castello von der Hamburger Verbraucherzentrale findet, das sei die Untergrenze. Ideal wären 80 Prozent. Aber es komme auf die persönliche Situation des Anlegers an, auf sein Alter, ob er einfach seine Ruhe haben wolle. Der Hamburger Anlegeranwalt Ulrich Husack, der mehrere Lehman-Opfer vor Gericht vertritt, findet die 50 Prozent akzeptabel. "Wenn man klagt und nicht rechtsschutzversichert ist, geht man ein hohes Prozesskostenrisiko ein", sagt er.

Georg Leitner denkt drei Tage lang nach, dann steht für ihn fest: Er unterschreibt den Vergleichsvertrag. "Die Bank zahlt im Interesse einer gütlichen Einigung aufgrund der guten Geschäftsbeziehung zum Kunden und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht 7500 Euro", heißt es darin. Damit seien alle Ansprüche abgegolten, "besonders auf Schadenersatz wegen mangelnder Aufklärung und Beratung und über etwaige Gewinnmargen". Und schließlich: "Beide Parteien verpflichten sich zeitlich unbeschränkt zu Verschwiegenheit über die Vereinbarung."

Der Rentner findet, dass sich das Kämpfen gelohnt hat. 50 Prozent von der Bank, außerdem ist das Lehman-Papier noch rund zehn Prozent wert, insgesamt hat er also einen Verlust von 40 Prozent. "Wenn ich das Geld damals an der Börse investiert hätte, hätte ich wahrscheinlich genauso viel verloren", sagt er.

© SZ vom 04.05.2009/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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