American Apparel:Langsam ausbluten lassen

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Ein American-Apparel-Laden in West Hollywood. In Europa könnten die Filialen ganz verschwinden. (Foto: Mark Ralston/AFP)

Alle europäischen Filialen des einst hippen Modelabels stehen vor dem Aus. Die US-Mutter hat einen Lieferstopp verhängt.

Von Michael Kläsgen, München

Der Aufstieg von American Apparel zur trendigen Kultmarke für junge Leute verlief rasant. Lässige in den USA gefertigte Klamotten waren plötzlich angesagt. American Apparel war in kurzer Zeit hip, ähnlich wie andere coole Freizeitkleidung etwa von Abercrombie & Fitch oder Gap. Der Absturz könnte jetzt allerdings noch schneller gehen und er steht angeblich kurz bevor. Patric Reisige, der Betriebsratsvorsitzende in Düsseldorf, fürchtet, dass in den kommenden Monaten alle Läden in Deutschland und sogar in Europa verschwinden könnten. Und er ist nicht der Einzige, der das befürchtet.

In Deutschland waren es mal 20, jetzt gibt es nur noch sieben Filialen. Aber wie lange diese noch existieren, ist fraglich. Denn auch die deutsche Tochter der US-Marke stellte am 8. November, am Tag der Präsidentenwahl in den USA, einen Insolvenzantrag. Die verbliebenen etwa 120 Mitarbeiter bangen seither um ihre Jobs und protestieren mit Aktionen gegen das drohende Ende.

Der Insolvenzverwalter macht Druck, damit aus den USA wieder Kleidung kommt

Vorige Woche stellten sie sich halb nackt in die Schaufenster oder vor den Eingang der Läden und hielten sich Blätter vor die Brust mit der englischen Aufschrift: "Hey, L.A., please send me clothes", Los Angeles, bitte schick mir Kleidung. Die US-Mutter stoppte ohne Vorankündigung plötzlich die Belieferung. Unter den Mitarbeitern verbreitet sich seitdem die Angst, dass den Läden per Lieferstopp einfach der Geldhahn abgedreht werden soll - und sie weder Löhne noch Abfindungen erhalten.

Und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in allen europäischen Filialen. Die Tochter der US-Kette hat zwar ihren Sitz in Düsseldorf, ist aber für ganz Europa zuständig. Insgesamt beschäftigt sie noch 251 Mitarbeiter in 26 Läden in den Niederlanden, der Schweiz, Österreich und Belgien. In Frankreich betreibt sie mit zwölf Läden die meisten Geschäfte, neun davon allein in Paris. Sie alle stehen nun vor dem Aus.

Sarah Haith, die erst 31-jährige amerikanische Geschäftsführerin, will und darf sich offiziell dazu nicht äußern. Zwischen den Zeilen lässt sie aber durchblicken, dass sie zwar wenig Hoffnung hegt, aber die Schließung der Läden in Europa noch keine beschlossene Sache sei. Neue Kündigungen sind noch nicht ausgesprochen. In den USA laufen derzeit die Verhandlungen mit den Gläubigern, darunter die Investmentbank Goldman Sachs, und auch mit einem Kaufinteressenten.

Die US-Mutter hatte im vergangenen Jahr Gläubigerschutz in den USA beantragt. Auf Druck der neuen Kreditgeber krempelte das neu installierte Management daraufhin das Modelabel um, strich Arbeitsplätze und schloss weltweit Läden. Doch trotz der harten Einschnitte rutschte die US-Gesellschaft erneut in die Pleite und stellte im November ein zweites Mal in den USA einen Insolvenzantrag.

Fast zeitgleich gab die kanadische Bekleidungsfirma Gildan Activewear bekannt, eine Grundsatzeinigung über den Kauf der Markenrechte und bestimmter anderer Vermögenswerte erzielt zu haben. Die Kanadier wollen nach eigenen Angaben 66 Millionen Dollar, etwa 61 Millionen Euro, zahlen. Nur: An den Läden, vor allem an denen in Europa, sind sie nicht interessiert. Zudem ist fraglich, ob die Kanadier den Zuschlag überhaupt erhalten.

Der Insolvenzverwalter in Deutschland hat zumindest für die hiesigen Mitarbeiter eine tröstliche Nachricht. Die Löhne seien durch das Insolvenzgeld unabhängig vom operativen Geschäft gesichert, teilt er mit. Das gelte auch trotz des Lieferstopps. Außerdem verhandele er derzeit mit der Muttergesellschaft über eine Weiterbelieferung der Filialen.

Die Beschäftigten plagen derweil neue Sorgen. Am vergangenen Samstag wurden viele Artikel plötzlich zu Schleuderpreisen angeboten. Von Bestsellern ist die Rede, die statt 80 auf einmal drei Euro kosteten. Als die Mitarbeiter bei der US-Mutter nachfragten, hieß es, es habe sich um einen "Softwarefehler" gehandelt. Glauben wollte das in der gegenwärtigen Gemengelage kaum jemand.

Die Gewerkschaft Verdi glaubt auch, dass dieses angebliche Versehen Teil einer Taktik sein könnte. "Die Entscheidung des Mutterkonzerns die Warenlieferungen einzustellen und darüber hinaus bestehende Warenbestände massiv im Preis zu reduzieren - und das im Weihnachtsgeschäft - tragen dazu bei, das geringere Umsätze fließen", sagt Gewerkschafterin Nina Akin. "Somit teilen wir die Sorge der Mitarbeiter, unter denen sich alleinerziehende Mütter mit mehreren Kindern befinden, dass über kurz oder lang die Stores schließen und keine Mittel für Sozialplanverhandlungen mehr vorhanden sind."

Betriebsrat Reisige ahnt, dass für Abfindungen kein Geld übrig bleiben könnte. Er erinnert daran, dass die Marke 1989 vom Kanadier Dov Charney gegründet wurde, der 2014 wegen sexueller Belästigung geschasst wurde. Jetzt, sagt er, befinde sich das Label in der Hand "knallharter Kapitalisten". Er klingt so, als wisse er nicht, was er schlimmer findet.

© SZ vom 02.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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