Klein stoppt im Halteverbot, Warnblinker an. "Hilft manchmal", sagt er und hetzt in den vierten Stock. Er reißt die Bürotür auf und stürmt zum Schreibtisch. Nervös ruckelt er mit der Maus, acht Bildschirme leuchten auf. Klein starrt auf Tabellen und fallende Kurven, hektisch tippt er ein paar Zahlen in die offenen Felder. Stille. "Oh, Mann." Das war's, nicht einmal zwei Millisekunden hat die Software zum Handeln gebraucht. Klein kann wieder entspannen.
Wenn er, einsneunzig groß, die braunen Haare gegelt, auf einer Party gefragt wird, was er beruflich macht, antwortet Klein irgendwas mit "Schuhgeschäft". Er zeigt dann seine cognacfarbenen Lederslipper und spricht vom bodenständigen Handwerk. Gelogen ist das nicht, Klein lässt Slipper für Herren designen und Sneaker für Frauen. Jedes halbe Jahr neue Styles.
Sich kreativ auszutoben, das sei es, was ihn an der Branche fasziniere. Die ganze Wahrheit ist die Sache mit dem Schuhgeschäft aber auch nicht, denn das große Geld verdient der gebürtige Chemnitzer mit etwas anderem. Und diese Arbeit ist für Laien kaum greifbar. Seit zwanzig Jahren ist Klein Hochfrequenzhändler. Seinen Job - einer der schnellsten der Welt - muss er fast immer erklären.
Hochfrequenzhändler, das sind dem Ruf nach die Bösen an der Börse, die Zocker und Gewissenlosen. Sie kaufen zum Beispiel eine Aktie für 13,00 Euro und stoßen sie für 13,02 Euro wieder ab. Dabei verdienen sie nur auf den ersten Blick Centbeträge, denn ihre Hochleistungsrechner handeln massenhaft. Und sie handeln verdammt schnell. Es ist ein Pokerspiel um Sekundenbruchteile, nicht immer geht es gut. Hochfrequenzhändler werden verantwortlich gemacht für Börsencrashs, bei denen Leitindizes schon mal um tausend Punkte fallen und die Aktien von Firmen Millionen an Wert verlieren.
"Ich war zu langsam", sagt Klein. Sein Verdienst: nur 2500 Euro
Vor ein paar Jahren befragte das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Hunderte Finanzmarktexperten zur Sicherheit des Hochfrequenzhandels. Ein Drittel gab an, dass der computergesteuerte Handel die Stabilität der Finanzmärkte bedrohe. Erst im April nahm die Polizei einen 36 Jahre alten Mann in einem Londoner Vorort fest: Navinder Singh Sarao soll 2010 von seinem Elternhaus aus den "Flash Crash" an der New Yorker Börse mitverursacht haben. Für ein paar Stunden verloren die Aktien Hunderte Milliarden Dollar an Wert. Den Speed der Maschinen und die Komplexität der Algorithmen, so die Kritiker, könne kaum mehr jemandnachvollziehen. Geschweige denn kontrollieren.
Der nächste Crash sei programmiert. Früher, also im Zeitalter des Normalfrequenzhandels, flitzten Börsenhändler über ein echtes Parkett, der Kauf eines Wertpapiers dauerte Minuten. Heute jagen programmierte Befehle von einem Hochleistungsrechner zum nächsten, schneller als ein Wimpernschlag. Es sind Softwareprogramme, die sich gegenseitig ausspielen und den Preis verändern. Mittlerweile sollen fast 40 Prozent des europäischen Aktienhandels über Hochfrequenzhandel laufen, Tendenz steigend. In den USA sind es bereits deutlich mehr. Das Treiben der neuen Händler, sagen Kritiker, gehe auf Kosten der Kleinanleger. Die können mit dem Tempo nicht mithalten.
Klein wiederum kann mit dieser Angst nichts anfangen. Ist seine Art zu handeln zu schnell, die Software nicht mehr kontrollierbar? "Das mit dem Tempo ist eine ganz natürliche Entwicklung", sagt er ruhig. "Wir kämen auch nie auf die Idee, noch Postkutsche zu fahren."
Hochfrequenzhändler Hendrik Klein, 41, in seinem Wagen.
(Foto: Sonja Marzoner)