AIG gegen USA:Dankeschön für 182 Milliarden Dollar: eine Klage

Lesezeit: 3 min

Die Aufarbeitung der Finanzkrise bringt eine Groteske nach der anderen hervor: Das einstige Skandalunternehmen AIG wurde in der Krise mit öffentlichem Geld gerettet. Wegen der harten Konditionen erwägt der Konzern nun eine Klage gegen die USA. Es geht um den guten Ruf und die Rache des ehemaligen Chefs.

Von Nikolaus Piper, New York

Man kann die American International Group (AIG) als die größte Erfolgsgeschichte der amerikanischen Krisenpolitik betrachten. Im September 2008 stand die einst größte Versicherung der Welt kurz vor dem Zusammenbruch. Sie schrieb mit 61,7 Milliarden Dollar den höchsten Quartalsverlust der Wirtschaftsgeschichte und galt als "gefährlichstes Unternehmen der Welt". Der amerikanischen Regierung blieb gar nichts anderes übrig, als AIG zu retten; zunächst sprang die Federal Reserve Bank of New York mit einem Stützungskredit von 85 Milliarden Dollar ein. Dann musste die Regierung in Washington das Unternehmen mit Mitteln aus ihrem Rettungsfonds "Tarp" rekapitalisieren. Insgesamt bekam AIG 182 Milliarden Dollar vom amerikanischen Staat.

Heute, mehr als vier Jahre später, ist das Geschichte. AIG ist gerettet, alle Hilfen wurden zurückgezahlt, und das Finanzministerium machte dabei sogar 22 Milliarden Dollar Gewinn. Auf Fernsehkanälen quer durch das Land schaltete AIG Werbespots mit dem Slogan "Danke, Amerika!" Jetzt könnte der Dank von AIG an die Nation noch eine ganz besondere Note bekommen. Wie die New York Times unter Berufung auf Gerichtsakten berichtet, erwägt das Management von AIG unter dem resoluten Chef Bob Benmosche eine Klage gegen die US-Regierung. An diesem Mittwoch werde der Verwaltungsrat über die Frage beraten. Der Gerettete verklagt den Retter - es wäre eine weitere Groteske in der oft bizarren Geschichte der globalen Finanzkrise von 2007 bis 2009.

Sollte es tatsächlich zu einer Klage kommen, würde sie sich nicht dagegen richten, dass die Regierung im Herbst 2008 überhaupt eingegriffen hat. Was einige Experten jedoch für rechtswidrig halten, sind die strengen Konditionen, unter denen die Hilfen gewährt wurden. So habe das Unternehmen einen Strafzins von effektiv 14 Prozent zahlen müssen, heißt es. Gleichzeitig ist strittig, wie die Hilfen verwendet wurden. Auf Beschluss der Regierung musste AIG alle Verträge mit seinen Kunden einhalten. Die Verträge, um die es dabei ging und die AIG in den Ruin getrieben hatten, waren Kreditausfallversicherungen (CDS) auf komplexe Hypothekenanleihen. Gewinner der AIG-Hilfen waren somit indirekt Banken wie Goldman Sachs oder die Deutsche Bank. Das Ganze sei eine "Rettung der Wall Street durch die Hintertür" gewesen, zitiert die New York Times aus den Gerichtsakten. AIG musste am Ende große Teile seines Geschäftes verkaufen.

Das Problem dabei ist, dass der AIG-Verwaltungsrat nicht ganz frei ist bei seiner Entscheidung, ob er klagen will oder nicht. Und das hat mit Maurice Greenberg zu tun. Der heute 87 Jahre alte frühere AIG-Chef hatte bereits 2011 wegen der Bedingungen der Staatshilfen gegen die Regierung geklagt und drängt seither AIG, sich dieser Klage anzuschließen. An diesem Mittwoch wird er dem Verwaltungsrat in New York seine Position darlegen.

Rettung oder Verstaatlichung?

Greenbergs Verhältnis zu AIG ist speziell. Er war es, der AIG in vierzig Jahren aus einer kleinen Nischenversicherung zu einem global operierenden Konzern umbaute. Im März 2005 wurde Greenberg im Zuge eines Buchführungsskandals entlassen; er blieb aber über seine Privatfirma Starr einer der großen AIG-Aktionäre und nimmt direkten Einfluss auf die Unternehmenspolitik.

Hier liegt das Risiko, wenn der Verwaltungsrat keine juristischen Schritte unternimmt. Sollte Greenberg mit seiner Klage Erfolg haben und von der Regierung eine größere Summe erstreiten, könnten andere Aktionäre die Verwaltungsräte verklagen, weil sie sich nicht genügend um die Interesse der Eigentümer des Unternehmens gekümmert hätten.

Greenbergs Anwälte argumentieren so: Die Rettung von AIG 2008 war faktisch eine Verstaatlichung des Unternehmens. Dabei wurden die Rechte der Aktionäre missachtet, wodurch der fünfte Zusatz zur Verfassung der Vereinigten Staaten verletzt wurde. Der besagt, dass "privates Eigentum nicht entschädigungslos in öffentliche Nutzung übernommen werden" darf. Oder, wie es in der Klageschrift von Greenbergs Anwälten heißt: "Die Regierung ist nicht ermächtigt, auf Aktionärs- und Eigentumsrechten herumzutrampeln, auch nicht im Falle einer finanziellen Notfallsituation." Ein Richter in New York hatte die Klage bereits abgewiesen, ein Bundesgericht in Washington hat sich jedoch bereit erklärt, den Fall anzuhören.

Der Sprecher der New York Fed, Jack Gutt, erklärte: "Diese Anschuldigungen sind ohne Grundlage. AIGs Verwaltungsrat hätte damals eine Alternative zu den Hilfen der Regierung gehabt. Und diese Alternative wäre der Bankrott gewesen." So unkalkulierbar die juristische Situation sein mag, eines ist sicher: Eine Klage gegen Washington wäre für AIG ein Public-Relations-Desaster. Die ganze Rettungsaktion für den Finanzsektor von 2008 ist bis heute unter Amerikanern extrem unpopulär. Undankbarkeit ist vor diesem Hintergrund das Letzte, was ein Unternehmen zeigen sollte, wenn es sich seinen Platz auf dem Markt zurückerobern möchte.

© SZ vom 09.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: