Afrika:Müllers Plan

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Weltweit arbeiten 400 000 deutsche Firmen, aber nur 1000 davon in Afrika. Der Entwicklungsminister will das ändern - mit einer Initiative.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Wenn Gerd Müller mal so richtig in Fahrt gekommen ist, dann ist er schwer zu stoppen. Nach knapp zehn Minuten ist er bei der Berliner Konferenz angelangt, 1885. "Da wurde der Kontinent entrechtet und unterdrückt", ereifert sich der Entwicklungsminister von der CSU. So etwas dürfe sich nie mehr wiederholen. "Afrikanische Kinder haben dasselbe Recht auf ein Leben in Würde wie deutsche Kinder." Da mag keiner widersprechen.

Afrika, keine Frage, hat es Müller angetan, wie schon einigen seiner Vorgänger. "Afrika ist der Chancen- und Wachstumskontinent", holt er aus. Elf der 20 am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften fänden sich dort. Aber: "90 Prozent der Afrikaner hatten heute früh keinen Strom." Höchste Zeit zu handeln, findet der Minister.

Zusätzliches Geld will der Minister nicht in die Hand nehmen

Was er konkret tun will, das hat er am Mittwoch dem Entwicklungsausschuss des Bundestages vorgestellt. Müllers Plan ist 33 Seiten lang, aber er heißt nicht "Müller-Plan", sondern in aller Bescheidenheit "Marshallplan": ein "europäisches Angebot für die Entwicklung des Kontinents in einer neuen Dimension", wie es in dem Papier heißt. Nach dem Vorbild jenes amerikanischen Hilfsprogramms, das Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf die Beine helfen sollte, soll nun Europa den Nachbarkontinent unterstützen. Mehr als zwölf Milliarden Dollar flossen seinerzeit nach Europa. Dagegen ist Müllers Plan etwas überschaubarer. Zusätzliches Geld will er nicht in die Hand nehmen - das vorhandene wohl aber anders verteilen.

Eine "Reformtranche" von 300 Millionen Euro soll entstehen, um Reformbemühungen afrikanischer Staaten zu unterstützen, die Korruption zu bekämpfen, gute Regierungsführung zu unterstützen. Allerdings gab der Bund auch bisher schon 200 Millionen Euro für die Stärkung rechtsstaatlicher Institutionen in Afrika aus. Nein, Müllers Plan ist mehr eine Ideensammlung. Ein Appell, Kräfte zu bündeln.

So wünscht sich der Minister mehr privates Kapital in Afrika. Zwar gebe es 400 000 deutsche Firmen, die irgendwo im Ausland tätig seien. Aber nur 1000 engagierten sich in Afrika. Müllers Plan verlangt deshalb ein "ressortübergreifendes Paket mit Investitionsanreizen". So müssten Afrika-Investoren von Steuervergünstigungen profitieren, wie sie das Entwicklungssteuergesetz mal vorsah. Deutsche Wirtschaftsförderung müsse mit Entwicklungspolitik besser verzahnt werden, staatliche Entwicklungshilfe auch dabei helfen, privates Kapital zu mobilisieren. Ziel müsse es sein, deutsche Unternehmen besser auf dem Kontinent zu verankern. "Ich ärgere mich jedes Mal, dass ich da kein deutsches Auto sehe", sagt Müller freimütig.

Mindestens mit der Industrie ist er da auf einer Linie. "Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungspolitik", sagt Matthias Wachter, zuständiger Abteilungsleiter beim Industrieverband BDI, "hin zu mehr nachhaltiger Investitions- und Arbeitsplatzförderung". Kirchlichen Hilfswerken dagegen ist so viel Wirtschaftsnähe im Plan suspekt.

Müller schwebt nun eine Art konzertierte Aktion vor. Dazu passt, dass Deutschland in diesem Jahr auch den Vorsitz der Industrie- und Schwellenländer-Gruppe G 20 führt. Die Zukunft Afrikas soll zu einem der Schwerpunktthemen werden.

Auch die EU, so Müller, müsse sich gezielter mit den Nachbarn jenseits des Mittelmeeres befassen - etwa in Gestalt eines eigenen "Afrika-Kommissars". Konkret verlangt er die Schaffung einer Art Freihandelszone zwischen der EU und den nordafrikanischen Mittelmeer-Anrainern. Vorbild könne der Europäische Wirtschaftsraum EWR sein. Innerhalb Afrikas wiederum müssten schnell die Verhandlungen über eine kontinentale Freihandelszone abgeschlossen werden. Gleichzeitig müssten "schädliche Exporte" nach Afrika gestoppt werden - etwa von günstigen Lebensmitteln, die dort das Entstehen einer eigenen Industrie verhindern. Und nebenbei gelte es noch, die Steuerflucht einzudämmen - etwa der multinationalen Konzerne, die in Afrika zwar viel Geld mit Rohstoffen machen, aber dort kaum Steuern dafür entrichten. "Wenn wir die Globalisierung nicht gerecht gestalten, ist die Ausbeutung eine globale", sagt der CSU-Mann. "Das ist nichts anderes als eine Fortsetzung der Kolonialisierung." So klingt Müller, wenn er Betriebstemperatur erreicht hat. Also nichts als warme Worte?

Die Grünen kritisieren das Papier als Liste entwicklungspolitischer Selbstverständlichkeiten

Darüber scheiden sich die Geister. "Das Papier ist geprägt von einem ehrlichen Willen zur Zusammenarbeit", sagt Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe. Endlich würden darin Herausforderungen wie fehlende politische Teilhabe, Steuerflucht oder Handelshindernisse benannt. Anders sieht das die Opposition. Eine "Aneinanderreihung von Worthülsen entwicklungspolitischer Selbstverständlichkeiten" finde sich in dem Papier, klagt der grüne Entwicklungspolitiker Uwe Kekeritz. "Der Marshallplan ist ein Scheinriese, der von weitem groß wirkt und bei näherer Betrachtung auf Miniaturgröße schrumpft." Konkrete Maßnahmen suche man vergebens darin.

Das wiederum könnte Müller nun noch auf die Füße fallen. Denn aus Sicht von Venro, dem Dachverband der Entwicklungsorganisationen, ließe sich durchaus so einiges machen - vom Kurswechsel in der Landwirtschaftspolitik bis zum Stopp der umstrittenen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen der EU mit Afrika. "Wenn Minister Müller nicht zum Ankündigungsminister werden will", sagt Venro-Chef Bernd Bornhorst, "muss er jetzt auch liefern".

© SZ vom 19.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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