Am Donnerstag ist es ausgerechnet der CSU-Minister Alexander Dobrindt, der Sigmar Gabriel die Show stiehlt. Einen Steinwurf von Gabriels Wirtschaftsministerium entfernt nimmt Dobrindt ein öffentliches Wlan in Betrieb. Wer künftig am Verkehrsministerium in Berlin vorbeischlendert, kann sich dort künftig kostenlos per Funk ins Internet einwählen, "ohne Barrieren", schwärmt Dobrindt - just an dem Tag, an dem Gabriel diese Barrieren senken will. Wenigstens ein bisschen.
Denn seit Donnerstag kursiert der Entwurf für eine Änderung des "Telemedien-Gesetzes", er soll öffentlich zugänglichen Wlans "einen Schub geben und die Nutzung vorhandener Infrastruktur erleichtern", sagt Gabriel. Dieser Schub ist bitter nötig, denn in Sachen öffentlichem Wlan ist Deutschland ein Entwicklungsland.
Nur 15000 freie Hotspots gebe es derzeit, ermittelte unlängst der Internet-Verband Eco, das entspricht nicht einmal zwei freien Netzwerken je 10000 Einwohner. Zum Vergleich: Auf 10000 Koreaner kommen 37, auf 10000 Briten knapp 29. Sogar in Frankreich liegt der Schnitt über fünf WiFi-Hotspots. "Deutschland fährt derzeit noch mit angezogener Handbremse", sagt Gabriel. Und das hat eine Menge mit einem Lied zu tun: "Sommer unseres Lebens" von Sebastian Hämer, das es mal auf Platz 9 der deutschen Single-Charts brachte.
Das Problem der Störerhaftung
Denn am 8. September 2006, Punkt 18.32 Uhr, ging Detektiven ein Internet-Nutzer ins Netz. Er hatte das Lied bei einer Online-Tauschbörse angeboten - allerdings über einen fremden Internetanschluss. Dessen Besitzer war zwar zur fraglichen Zeit im Urlaub, dennoch haftete auch er am Ende, wie der Bundesgerichtshof entschied. Er hätte sein Netzwerk besser vor "Störern" schützen müssen. Seither sorgt genau diese "Störerhaftung" für Unsicherheit - und hält Betreiber von Gaststätten und Hotels, ganze Stadtverwaltungen davon ab, ein eigenes öffentliches Netzwerk einzurichten. Es könnte ja missbraucht werden.
Der Gesetzentwurf soll diese Unsicherheiten nun klären - ohne aber solche Verstöße gegen Urheberrechte zu legitimieren. Und da liegt der Hase im Pfeffer, denn ganz einfach wird der Zugang auch künftig nicht. So entgehen öffentlich Netzwerke der "Störerhaftung" nur dann, wenn sie durch "zumutbare Maßnahmen" verhindern, dass der Internetzugang missbraucht wird. Zumutbar wäre danach eine Verschlüsselung des Zugangs, etwa mit einem Passwort, das die Gäste eines Lokals vorher erfragen müssen. Oder aber, wenn nur Gäste den Zugang zu dem Netzwerk erhalten, die vorher erklärt haben, nichts Übles im Schilde zu führen. Das geht zwar im Zweifel mit Mausklick - richtig einfach und unkompliziert aber ist es nicht.
Nicht nur Netzaktivisten kritisieren den Entwurf, auch die Internetwirtschaft hält das Papier aus dem Hause Gabriels für unzureichend. Zwar sei eine klarere Rechtslage ein wichtiges Signal, heißt es beim Branchenverband Eco. Allerdings sei zweifelhaft, ob sich bei derart komplizierten Vorgaben das Ziel der Koalition erreichen lasse. Dieses ist im Koalitionsvertrag niedergelegt: Deutschland, so heißt es dort, soll zum "führenden digitalen Standort in Europa werden" - inklusive kostenloser Wlan-Angebote in den Städten.
Es wäre bitter nötig, denn die Menge an Daten, die über digitale Netze transportiert werden sollen, steigt ständig. Schon 2020, prognostizieren die Marktforscher von IDG, könnten 30 Milliarden netzwerkfähige Geräte im Internet sein - von Sensoren in der Kleidung über Verkehrsampeln bis hin zu Autos. Das wird auch den Bedarf an Zugängen ins Netz und nach leistungsfähigeren Anbindungen steigen lassen.
Da der Ausbau der Mobilfunknetze kaum mit diesem hohen Bedarf wird Schritt halten können, sind kreative Lösungen gefragt. Eine könnte sein, auch private Anbieter offener Wlans von der Störerhaftung zu befreien, um damit zusätzliche Kapazitäten in den Netzen zu schaffen. Das aber torpediert Gabriels Entwurf, denn er sieht vor, dass Privatpersonen den Namen von Nutzern ermitteln sollen, was in der Praxis schlicht unmöglich ist. Tabea Rößner, medienpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, wirft der Bundesregierung daher vor, neue Barrieren aufzubauen statt für offene Netze zu sorgen.
Aber öffnen frei zugängliche Hotspots nicht Kriminellen Tür und Tor? Erfahrungen in Ländern mit freien Wlan-Zugängen zeigten, dass davon nicht die Rede sein könne, argumentiert die Digitale Gesellschaft, eine Nicht-Regierungsorganisation, die sich für eine verbraucherorientierte Netzpolitik einsetzt.
Verfahren beim Europäischen Gerichtshof
In Sachen Störerhaftung ist auch noch ein Verfahren bei Europäischen Gerichtshof in Luxemburg anhängig. Geklagt hat ein Kommunalpolitiker der Piratenpartei aus dem bayerischen Gauting. Er betrieb im Büro seiner Firma ein offenes Wlan und sollte rund 800 Euro an Abmahnkosten bezahlen. Der Fall wurde zunächst am Landgericht München I verhandelt, dieses verwies den Fall aber wegen der übergeordneten Bedeutung an die Luxemburger Richter. Wann ein Urteil ergeht, steht noch nicht fest.
Probleme mit der Störerhaftung muss Dobrindts Verkehrsministerium nicht befürchten. Für das kostenlose Angebot hat sie sich der Hilfe Dritter bedient. Der kostenlose Zugang (Wlan-Zugangskennung: "OpenWLAN BMVI") läuft über ein Telekommunikations-Unternehmen. Sonst käme man ja nicht so leicht rein ins Internet, heißt es im Ministerium.