Das gerichtliche Nachspiel dauerte länger als sein Anlass. Und am Ende der fast vierstündigen Verhandlung knurrten am Donnerstag im vierten Stock des Berliner Verwaltungsgerichts einige Mägen vernehmlich. Am Abend des 22. April 2008 hingegen dürften die Gäste gesättigt von Spargel und Schnitzel das Kanzleramt verlassen haben. Das Abendessen von Bundeskanzlerin Angela Merkel für den Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, ist - mit Verlaub - eine der am häufigsten wiedergekäuten kulinarischen Veranstaltungen der jüngeren deutschen Geschichte. Es ist ein Essen, bei dem weniger der Geschmack in Rede steht, als vielmehr, ob es nicht ein G'schmäckle hat.
Thilo Bode will mehr wissen über dieses Essen. Bode war einmal Chef von Greenpeace Deutschland und leitet jetzt Foodwatch, eine Verbraucherschutzorganisation. Heute aber geht es ihm um das große Ganze: Bode hat den Bericht einer amerikanischen Untersuchungskommission zu den Ursachen der Finanzkrise vor sich auf dem Tisch liegen. Darin, so führt er während der Verhandlung aus, werde deutlich gesagt, dass die Krise in den USA nur durch die Nähe zwischen den Bankern an der Wall Street und der Regierung habe entstehen können.
Die deutsche Regierung habe die Ursachen der Finanzkrise nie aufgeklärt. Und Bode glaubt, dass Erkenntnisse über die Einladung Merkels für Ackermann und Gäste in dieser Hinsicht erhellend sein könnten, weil sie die Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft offenbaren würden. Immerhin sei zu jener Zeit 2008 die amerikanische Investmentbank Bear Stearns mit Staatshilfe gerettet worden, eines der Initialereignisse der Finanzkrise. Es sei schon "sehr spannend", dass die Einladung zu dem Abendessen gerade in dieser Zeit erfolgte.
Als das Abendessen eineinhalb Jahre später, im Wahlkampf 2009, öffentlich bekannt wurde, erklärte die Kanzlerin, es habe sich um eine offizielle Einladung "im Umfeld" des 60. Geburtstags von Ackermann gehandelt. Der Banker selbst erinnerte sich, die Kanzlerin habe ihm etwas Nettes tun wollen und ihn aufgefordert, etwa 30 Freunde einzuladen, "mit denen ich gerne einen Abend zusammen sein würde im Kanzleramt". Diese Version hatte das Kanzleramt wiederum als sehr verkürzt zurückweisen lassen.
Vor Gericht geht es nun nicht um die Rechtmäßigkeit des Essens, sondern darum, wie viele Details das Kanzleramt über den Abend herausgeben muss. Bode beruft sich auf das relativ neue Informationsfreiheitsgesetz, mit dem Vorgänge in Behörden transparent gemacht werden sollen. Eine erste Anfrage hatte das Kanzleramt im November 2009 nur teilweise beantwortet. Einzelne Informationen wurden geschwärzt, unter anderem die Namen einiger Teilnehmer, die einer Herausgabe ihrer Daten nicht ausdrücklich zugestimmt hatten, wie es vom Gesetz gefordert wird. Dagegen hat Bode Widerspruch eingelegt, weil er das Interesse der Öffentlichkeit an der Aufklärung der Ursachen der Finanzkrise höher bewertet als das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen, obgleich das immerhin Verfassungsrang hat.
Von besonderem Interesse für Bode ist zunächst der Terminkalender der Kanzlerin und zwar in einem Zeitraum von zweieinhalb Monaten vor und nach dem Abendessen. Bode vermutet nämlich, dass sich daran ablesen lasse, zu welchen weiteren Gesprächen die Einladung noch geführt haben könnte. Stück für Stück tranchiert Richterin Erna Viktoria Xalter die ausgesprochen komplizierte Rechtslage. Zu klären ist zum Beispiel, ob das Führen eines Terminkalenders eher Regierungs- oder Verwaltungstätigkeit ist. Der Anwalt des Kanzleramts sagt, in so einem Kalender würden "die intimsten" Termine der Kanzlerin festgehalten. "Nein" unterbricht sich der Anwalt selbst, intim sei nicht das richtige Wort. Jedenfalls seien es Einträge in Vorbereitung von Regierungstätigkeit, und diese sei vertraulich. Bodes Anwältin wiederum sieht in einem Kalender nichts weiter als ein "organisatorisches Hilfsmittel", das nicht gleichgesetzt werden könne mit internen Gesprächen zur Entscheidungsfindung einer Regierung.
Es geht aber nicht nur um den Kalender. Bode möchte auch alle Unterlagen einsehen, die mit der Einladung zu tun haben. Vorlagen, Redeentwürfe, Einladungsschreiben und die offizielle Gästeliste, auch wenn die Namen - eine Mischung aus Wirtschaftsvertretern, Politikern, Kulturschaffenden und Medienleuten - schon in vielen Zeitungen standen. Das Kanzleramt aber sagt, es gebe kaum noch Dokumente.
Dieser Teil der Verhandlung ist für das Kanzleramt nur bedingt werbewirksam. Plausibel erscheint die Darstellung einer Ministerialrätin und einer Regierungsdirektorin, dass Vorgänge nur aufgehoben würden, wenn sie für das Ergebnis relevant seien. "Würden wir jeden Arbeitsschritt dokumentieren, kämen wir nicht mehr zu unserer eigentlichen Arbeit", sagt eine der beiden Frauen. Manches andere aber bleibt unerklärlich, vor allem, warum auf einem Schriftstück aus der Wirtschaftsabteilung, das sich mit der Einladung für Ackermann befasste, eine ganze Passage geschwärzt wurde. Darin gehe es um "die Rolle der Deutschen Bank in der Finanzkrise", sagt der Anwalt, was aber nichts mit der Einladung zu tun habe. Selbst der Anwalt des Kanzleramts räumt ein, dass dies ein wenig "peinlich" sei.
Am Abend urteilt das Gericht dann, dass die geschwärzte Passage und Details der Einladungsliste herausgegeben werden sollen. Der Kalender allerdings bleibt unter Verschluss, weil sonst ein Bewegungsprofil der Kanzlerin erstellt werden könnte - und das wäre zu gefährlich. Berufung ist jedoch zulässig. Der letzte Gang ist vermutlich noch nicht serviert.