Abspaltungen:Apfel, Birne, Känguru

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: dmimitrov)

Die Konzerne nutzen die gute Lage an den Börsen für Abspaltungen. Sie beschaffen sich damit oft Geld für Investitionen. Nicht immer ist das gut für die Aktionäre.

Von Karl-Heinz Büschemann und ulrich Schäfer, München

Aus eins mach zwei: In welche Branche man auch blickt, überall spalten Unternehmen sich auf. Osram will nichts mehr mit Glühbirnen zu tun haben und stellt die Sparte zum Verkauf; der Energiekonzern Eon trennt sich von seinen Kohle- und Atomkraftwerken und bringt sie in eine neue Gesellschaft ein; der Chemiekonzern Wacker bringt sein Geschäft mit Silizium-Wafern, das unter dem Namen Siltronic firmiert, an die Börse; und Siemens, das ein Jahrhundert lang ein bekannter Name für Röntgengeräte oder Computertomografen war, bereitet möglicherweise den Verkauf seiner Medizintechnik vor.

Was geht hier vor? Ist in der Wirtschaft nichts mehr heilig? Oder steht hinter den Abspaltungen eine kluge Strategie?

Tatsache ist: Immer mehr Unternehmen werden aufgebrochen und Einzelteile ausgelagert. Immer mehr Firmenchefs denken darüber nach, Teile ihres Geschäfts abzuspalten, zu verkaufen, an die Börse zu bringen. Sie schaffen neue Firmen mit immer neuen Kunstnamen, die dann - wie im Fall der Kohle- und Atomkraftsparte von Eon - zum Beispiel Uniper heißen.

Der Grund dafür ist oft der gleiche: Wer jetzt Teile des Geschäfts zu einem hohen Preis verkauft, kann den hohen Aktienkurs des eigenen Unternehmens noch weiter nach oben treiben. Und vor allem: Wer jetzt abspaltet und zu einem guten Preis abstößt, kann sich Geld für Investitionen in anderen Bereichen verschaffen - Geld, das sonst nicht da wäre.

Aus diesem Grund stellt zum Beispiel der Chemiehersteller Wacker seine Sparte Siltronic zum Verkauf. Siltronic produziert im bayerischen Burghausen, im sächsischen Friedberg sowie in Singapur und den USA Silizium-Wafer für die Chip-Industrie, etwa für Samsung oder Intel. Eigentlich ein profitables, zukunftsträchtiges Geschäft - dennoch wird es verkauft. "Wir wollen uns damit zusätzliche Mittel verschaffen, um in die anderen Geschäftsbereiche investieren zu können", sagt Vorstandschef Rudolf Staudigl.

"Wir können nicht alle Bereiche gleichzeitig entwickeln. Das würde uns überfordern."

Denn der börsennotierte Chemiekonzern, der sich größtenteils immer noch in Familienhand befindet, muss jedes Jahr viele Hundert Millionen Euro investieren, um mit der oft deutlich größeren Konkurrenz mithalten zu können. Gerade entsteht für zwei Milliarden Euro ein neues Werk in den USA - die größte Investition in der Firmengeschichte. "Wir können angesichts der riesigen Investitionssummen, die in unserem Geschäft erforderlich sind, nicht alle Bereiche gleichzeitig entwickeln. Das würde uns überfordern. Deshalb konzentrieren wir unser Geschäft", sagt Aufsichtsratschef Peter-Alexander Wacker.

Manchmal aber sind es auch eher Notlösungen, wenn ein Firmenteil abgestoßen wird, so etwa bei der Deutschen Bank. Das wichtigste Kreditinstitut des Landes trennt sich von der Postbank und deren 14 Millionen Kunden - und das nur fünf Jahre, nachdem die Deutsche Bank die Aktienmehrheit erworben hatte. Nun rufen Anshu Jain und Jürgen Fitschen eine neue Strategie für ihr Kreditinstitut aus - und deshalb wird die Sache rückabgewickelt.

Strategieberater, Rechtsanwaltskanzleien und Investmentbanker können sich über die wachsende Zahl von Abspaltungen freuen, sie verdienen prächtig daran. "Es gibt gerade eine regelrechte Explosion an Aktivität bei Firmenverkäufen", sagt Alexander Roos von der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. Das gelte nicht nur für Kapitalgesellschaften, sondern auch für Familienunternehmen. Im Moment, sagt Roos, sei die Lage an den Börsen sehr gut. "Das macht es interessant, Abspaltungen an den Kapitalmarkt zu bringen." Dies liegt auch daran, dass die Unternehmen sich zunehmend schwertun, in ihren klassischen Geschäftsfeldern noch das Wachstum zu erzeugen, das sie brauchen, um mit der Konkurrenz mithalten zu können. "Deshalb schauen sie sich alles kritisch an, was nicht zum Kerngeschäft gehört und geben es ab, um Mittel frei zu machen für Zukäufe", sagt Roos.

"Es verstärkt sich der Trend, sich von nicht-strategischen Geschäftsbereichen zu trennen."

Ähnlich sieht es Klaus Fröhlich, der das deutsche Aktienemissionsgeschäft bei Morgan Stanley leitet. "Es verstärkt sich der Trend, dass sich Unternehmen von nichtstrategischen Geschäftsbereichen trennen." Sie verabschieden sich damit zumindest ein Stück von einer Strategie, bei der allzu viele allzu unterschiedliche Geschäftsbereiche unter einem Dach geführt werden - von einem wilden Durcheinander, das von Beratern gern als "Apfel-Birne-Känguru-Strategie" belächelt wird.

Investmentbanker und Investoren rechnen gnadenlos vor, dass ein Konzern, der in mehreren Branchen gleichzeitig vertreten ist, an der Börse schlechter bewertet wird als klar fokussierte Unternehmen. Eine Analyse der Boston Consulting Group belegt, dass im vergangenen Jahrzehnt dieser Abschlag in den USA besonders hoch war; er betrug im Durchschnitt zehn Prozent. Als positives Beispiel in Deutschland wird gern die Herauslösung von Lanxess aus dem Bayer-Konzern genannt. Der Bayer-Konzern entwickelte sich zum erfolgreichen Pharma- und Gesundheitsunternehmen und ist heute die teuerste Aktiengesellschaft im Dax. Auch Lanxess ging es nach der Trennung besser: Geführt von einem eigenständigen Management, konnte der Kautschuk-Lieferant einen erstaunlichen Aufschwung nehmen und seinen Börsenwert mehr als verdreifachen.

Allerdings gibt es auch Gegenbeispiele. Die Aktionäre des Chip-Herstellers Infineon, der einst zu Siemens zählte, mussten bald nach dem Börsengang einen harten Absturz hinnehmen. Der Siemens-Ableger Benq ging nach der Trennung sogar pleite. Doch solange die Börsen noch hohe Bewertungen für die Unternehmen bieten, wird der Trend zu Ausgründungen, Abspaltungen und Börsengängen anhalten.

© SZ vom 28.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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