Image Boards im Netz:"Diese Szene möchte sich als Elite gegenüber anderen Rechtsextremen fühlen"

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Stephan B., der mutmaßliche Attentäter von Halle, kündigte seine Tat in einem anonymen Online-Forum an, verbreitete dort einen Livestream. (Foto: Uli Deck/dpa)
  • Für die rechtsextremen Täter von Halle, Christchurch und dem OEZ in München spielten anonyme Online-Foren wie 8chan, KiwiFarms oder 4chan eine wichtige Rolle.
  • Wegen der Online-Vernetzung von Teilen der Szene sprechen Beobachter von einer neuen Form von "organisiertem Terrorismus".
  • Deutsche Behörden wollen stärker auf diesen Webseiten ermitteln, doch das bringt ganz neue Probleme für die Ermittler mit sich.

Von Max Hoppenstedt

Hate speech - seit Jahren wird diskutiert, wie sich strafbare Hetze in sozialen Netzwerken wie Facebook, Youtube oder Twitter reduzieren ließe. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wurde beschlossen, und seit einigen Monaten werden deutschlandweit spezielle Einheiten bei Staatsanwaltschaften aufgebaut, die Online-Hetzer auf die Anklagebank bringen sollen. Doch außerhalb der sozialen Netzwerke gibt es noch ein anderes Netz an Seiten, auf denen es viel extremer zugeht. Diese Internet-Foren tragen Namen wie 4chan, 8chan oder Kiwi-Farms.

Antisemitismus, Rassismus, Homophobie, Frauenfeindlichkeit und extreme Gewaltfantasien sind hier normal. Die Nutzer, die schreiben, sind meist jung und männlich. Nicht immer ist klar, was wirklich ernst gemeint ist, doch Teile der Foren haben eindeutig ein geschlossenes ideologisches Weltbild. Die Seiten ähneln sich in Aufbau und Ästhetik, oft werden Bilder gepostet (und kommentiert), weshalb die Foren auch als "Image Board" bezeichnet werden. Moderiert oder gelöscht wird auf den Seiten fast nichts.

Auch Stephan B., der Attentäter von Halle, war offenbar in diesen Foren unterwegs. Nach allem was bisher bekannt ist, führte er seine Tat zwar alleine aus, doch schon die Sprache in seinem sogenannten Manifest zeigt, dass er eingebettet ist in einer Szene neuer Tätertypen.

Sein Vorhaben kündigt er in einem Image Board mit dem Namen Meguca an. Um 11.57 Uhr postet er dort am Tag der Tat einen Link zu dem Account, auf dem er seine Verbrechen live im Internet überträgt. Das zeigen archivierte Kopien des Posts. Im Livestream begrüßt B. die Zuschauer kurze Zeit später mit den Worten: "Hallo, mein Name ist Anon. Und ich glaube, dass der Holocaust niemals stattgefunden hat." Den Nutzern von Meguca ist damit sofort klar, dass sie es mit einem Gleichgesinnten zu tun haben. Wenige Stunden nach der Tat, als Medien seinen Namen veröffentlichen, betiteln die Forennutzer Stephan B. als "Saint", als Heiligen. Und sie stellen ihn in eine Reihe mit anderen rechten Attentätern wie die Todesschützen von Christchurch oder El Paso oder den norwegischen Massenmörder Anders Breivik.

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Die Szene der Image Boards funktioniert sehr anders als die rechtsextremer Gruppen wie Combat 18. Die Ermittler stellt das vor drei große Probleme - was vielleicht auch erklärt, warum sie sich so schwertun mit dem Typus von Tätern wie Stephan B. oder dem Terroristen, der die Moschee in Christchurch angegriffen hat. Der hatte auf 8chan sein sogenanntes Manifest verbreitet.

Viele Foren sind nur einem kleinen Kreis von Insidern bekannt

Das erste Problem liegt schon darin, dass die Szene der Foren groß und unübersichtlich ist. Als neuseeländische Telefonunternehmen nach dem Anschlag von Christchurch den Zugang zu 8chan sperrten, wichen die Nutzer einfach auf andere Foren aus. Inzwischen ist die Seite nicht mehr mit einem regulären Browser im Netz zu erreichen, sondern in das nur mit spezieller Software zugängliche Deepweb ausgewichen. Doch andere, ähnliche Foren bleiben unverändert im regulären Netz erreichbar. Das Forum Meguca.org, auf dem Stephan B. seine Tat offenbar ankündigte, war selbst Szenekennern kein Begriff. Zudem sind längst nicht alle Teile der Foren rechtsextrem oder auch nur politisch. Auf 4chan, einem der ältesten Image Boards, finden sich auch Unterforen zu Reisezielen oder japanischen Animes.

Das zweite Problem für die Ermittler ist die Anonymität der Seiten. Fast jeder Nutzer postet hier unter dem Namen "Anonymous". Profile mit persönlichen Informationen, wie sie auf Facebook üblich sind, haben die Nutzer nicht. Die Betreiber der Image Boards inszenieren sich gerne als Anhänger einer radikal-libertären Idee von Redefreiheit und versprechen, keine Daten an Strafverfolgungsbehörden zu übermitteln. Tatsächlich heißt es von deutschen Ermittlern, dass man in der Vergangenheit nur in Einzelfällen Daten über Nutzer von Image Boards erhalten habe. Erschwerend kommt hinzu, dass die Betreiber meist im Ausland leben.

Das dritte und vielleicht größte Problem für die Ermittler ist jedoch die Sprache der Szene. Die Nutzer kommunizieren in einem ganz eigenen Slang, der für Außenstehende kaum zu verstehen ist. Häufig deuten sie Ausdrücke aus der Netzkultur in ihrem Sinne um. So liest man in eindeutig antisemtischen Teilen der Foren in letzter Zeit häufig, dass man auf Electric Boogaloo warte - der Name des zweiten Teils eines Hip-Hop-Films aus den Achtzigerjahren. Im Kontext der Image Boards meint Boogaloo allerdings einen zweiten Teil des amerikanischen Bürgerkriegs.

Für Miro Dittrich, der für die Amadeu Antonio Stiftung auch den Rassismus und Antisemitismus der Image Boards beobachtet, ist diese Sprache eine Konsequenz der ideologischen Ausrichtung der Nutzer von Image Boards. "Diese Szene möchte sich als Elite gegenüber anderen rechten und rechtsextremen Online-Szenen fühlen", sagt Dittrich. Es gehe darum, nicht nur zu reden, sondern zur Tat zu schreiten. Die Boards trügen entscheidend zur "Legitimierung von Gewalt" bei. Auch die Sicherheitsbehörden merken inzwischen, dass sie sich nicht nur soziale Netzwerke wie Facebook anschauen sollten, sondern auch die Image Boards. Anders als Facebook allerdings trifft etwa 8chan nicht das Netzwerkdurchsetzungsgesetz; die Betreiber können also nicht mit hohen Geldstrafen verfolgt werden, wenn sie strafbare Inhalte durchlaufen lassen.

Und trotz aller extremer Inhalte stehen die Ermittler stets vor der Frage: Ist das wirklich ernst gemeint, was da zu lesen ist? Mit nur wenigen Klicks lassen sich auf den Seiten weiterhin Nutzer finden, die Amokläufe und den Mord an Juden verherrlichen. Doch sind die Autoren potenziell Mörder? Für Dittrich darf das die Ermittler nicht davon abhalten, sich die Szene in Zukunft genauer anzuschauen. Allein schon wegen der Vernetzung und des Inhalts der Boards spricht er von "organisiertem Terrorismus". Nach Anschlägen wie in Halle beobachtet er: "Die Debatte in den Boards ist nicht, ob so etwas noch mal passieren wird, sondern die Frage ist, 'wie können wir es besser machen?'."

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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