Start-ups:Silicon Serbia

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Das Balkanland kommt wirtschaftlich erst allmählich wieder auf die Beine. Dabei helfen könnte eine kleine Szene digitaler Start-ups wie der Spieleentwickler Nordeus.

Von Steve Przybilla, Belgrad

An manchen Stellen in Belgrad wirkt es, als habe der Krieg gerade erst aufgehört. Eingestürzte Gebäude, Militärplakate, Schlaglöcher so groß wie Baugruben. Modern gibt sich die serbische Hauptstadt eher auf den zweiten Blick, etwa dann, wenn man an neu eröffneten Einkaufscentern vorbeikommt oder ein Craftbier in einem der vielen Hipster-Cafés trinkt. Das alte Jugoslawien ist passé, und damit auch die langjährige Führungsrolle Belgrads. Nun will die Metropole in einem anderen Bereich Stärke beweisen: als IT-Hauptstadt des Balkans.

Im Industriegebiet südlich der Donau sind die ersten Zeichen schon zu sehen. Die Firmennamen von Microsoft, LG und Oracle leuchten von den Hochhäusern herunter. Doch es sind nicht nur internationale Konzerne, die sich in Serbien ansiedeln. Auch einheimische Geschäftsleute zieht es zunehmend in den IT-Bereich, den nicht nur viele Serben als Wirtschaftszweig der Zukunft ansehen. Eine der erfolgreichsten Firmen, Nordeus, hat ihren Sitz in einem Bankgebäude mit verspiegelten Fenstern. Obwohl kaum ein PC-Besitzer den Namen je gehört hat, gehört Nordeus auf seinem Gebiet inzwischen zu den ganz Großen: Die Firma hat eines der erfolgreichsten Online-Spiele der jüngsten Zeit entwickelt.

Womit Nordeus sein Geld verdient, wird gleich am Eingang klar: Ein mannshohes Fußballposter hängt auf dem Flur; im Büro daneben baumeln Fußballschals von den Schreibtischen. "Top Eleven" heißt das Computerspiel, mit dem Nordeus seinen großen Wurf gelandet hat. Es handelt sich um einen Online-Fußballmanager, der vor allem bei Facebook beliebt ist. Wer das Spiel installiert hat, kann eine eigene Mannschaft aufbauen, Stadien bauen, Spieler einkaufen, trainieren und bei Bedarf wieder rauswerfen. Mehr als 170 Millionen Nutzer haben sich das Spiel nach Angaben des Unternehmens bereits heruntergeladen; bei Facebook gehört es zu den Top Ten der Spiele.

"Die meisten Leute glauben, dass ein Global Player nicht in Belgrad sitzen kann", sagt Branko Milutinovic, Chef und Gründer von Nordeus. Der 34-Jährige hat in Belgrad studiert, danach mehrere Jahre bei Microsoft in Dänemark gearbeitet. Wie viele seiner Landsleute ging er nach den Balkankriegen der 1990er- und 2000er-Jahre ins Ausland, weil zu Hause die Perspektiven fehlten. Und noch heute zieht es - je nach Branche - viele Serben nach Westeuropa, allein schon wegen der weitaus besseren Verdienstmöglichkeiten. "In unserem Bereich ist das heute anders", sagt Milutinovic, denn schon die Kinder lernten von der fünften Klasse an programmieren. "Kein Informatiker muss nach dem Abschluss mehr ins Ausland gehen", ergänzt der Firmengründer. "Manche Absolventen werden sogar direkt von der Uni abgeworben."

Firmengründer Branko Milutinovic entwickelt mit seiner Firma Nordeus Computerspiele. (Foto: Steve Przybilla)

Noch schwächelt zwar die serbische Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 13 Prozent, Korruption und Armut sind weit verbreitet. Doch gerade im IT-Sektor schlummert viel Potenzial. "Mit Online-Spielen werden weltweit jedes Jahr bis zu 100 Milliarden Dollar Umsatz gemacht", sagt Jochen Koubek, Professor für digitale Medien an der Universität Bayreuth. "Das ist ein gigantischer Markt." Fußball-Manager wie "Top Eleven" böten ein besonderes Wachstumspotenzial, da sie sich an Nebenbei-Spieler richteten. "Das ist nicht die alteingesessene Zielgruppe, die fünf Stunden pro Tag vorm Bildschirm sitzt", erklärt Koubek. Es gehe um Nutzer, die zwischendurch etwas konsumieren wollten: morgens die Zeitung lesen, danach kurz die Fußballmannschaft trainieren, und weiter zur Arbeit. Der Vorteil von Smartphone-Games: Sie erfordern nicht dieselbe Aufmerksamkeit wie traditionelle Computerspiele. "Das geht auch mal zwischendurch an der Bushaltestelle", sagt Koubek. "Diese Zielgruppe gibt es überall."

Dass die Ausrichtung auf die Nebenbei-Spieler erfolgreich sein könnte, ahnte auch Branko Milutinovic, als er 2009 seine Firma mit zwei ehemaligen Kommilitonen gründete. "Facebook ging damals total ab", erzählt er. "Wir haben einen Serverraum gemietet und gehofft, dass wir mit unserer Idee etwas bewegen." Inzwischen beschäftigt die Firma 160 Mitarbeiter und verzeichnet einen Jahresumsatz von 75 Millionen Dollar. "Natürlich könnten wir unseren Standort auch nach London oder Berlin verlegen", sagt Milutinovic. "Aber hier sind die Bedingungen inzwischen genauso gut wie anderswo in Europa. Da helfe ich doch lieber meinem eigenen Land beim wirtschaftlichen Aufschwung."

Macht das Marketing bei Nordeus: der Deutsche Carsten Biernat. (Foto: Steve Przybilla)

Rein optisch unterscheidet die Firma nicht viel von ihren großen Brüdern im Silicon Valley. In den Büros stehen Schaukelstühle, Flipcharts und Regale mit Spielzeug. Die Wände sind bunt gestrichen. Im Aufenthaltsraum gibt es eine vollständig eingerichtete Bar, in der Mitarbeiter Getränke schlürfen und dabei auf Laptop-Displays schauen. Dazwischen Fußbälle, Modellflugzeuge, Tablets und Fernseher mit Webcams. Milutinovic weiß, dass er als Arbeitgeber einiges bieten muss, um Fachkräfte nach Belgrad zu locken. Er zahlt seinen Angestellten nicht nur die private Krankenversicherung und den Umzug. Auch bei Wohnungs- und Schulsuche ist die Firma behilflich. Der Chef drückt es so aus: "Wir bieten ein Komplettpaket, damit sich die Leute wohlfühlen und auf die Arbeit konzentrieren können." Obendrein zahlt er den Lohn, der in Westeuropa üblich ist, auch wenn die Lebenshaltungskosten in Serbien deutlich niedriger sind.

Weil auch das noch nicht reicht, hat sich Milutinovic einen weiteren Anreiz einfallen lassen: Wer kündigt und die Stadt wieder verlässt, bekommt auch den Rück-Umzug ins Heimatland wieder bezahlt. "Bisher hat zum Glück noch niemand auf diese Vertragsklausel zurückgegriffen", sagt Milutinovic, der diesen Service für überaus wichtig hält. "Ich denke aber schon, dass das bei der Entscheidung hilft, nach Belgrad zu ziehen. Denn so kann man sicher sein, im Notfall ins alte Leben zurückkehren zu können."

"Wir wollen unabhängig bleiben und unser eigenes Ding machen."

Einen neuen Lebensabschnitt hat Carsten Biernat gerade begonnen. Der 38-jährige Deutsche wurde von Nordeus aus Hamburg abgeworben. Seit fünf Monaten arbeitet er als Marketing Art Director in Belgrad - "in unserer Branche eine Ewigkeit", meint der IT-Experte. Große Überredungskünste seien nicht notwendig gewesen, um ihn nach Serbien zu locken. "Sicher, Belgrad ist etwas unaufgeräumt und chaotisch", sagt Biernat. "Aber die Stadt ist sehr sicher, lebendig und günstig. Hier kannst du für zehn Euro ein Essen bekommen, was bei uns locker 25 Euro kosten würde." Auch die Internetverbindung sei nicht schlechter als in Deutschland, zumindest in Belgrad.

Über solche Worte freut sich Firmenchef Milutinovic. Hatte er anfangs noch Sorgen, dass Fachkräfte den Umzug nach Serbien scheuen, ist seine Strategie der Anreize inzwischen aufgegangen. "In unserem Team sind 20 Nationalitäten vertreten", sagt Milutinovic. Schon heute gebe es Investoren, die sich bei Nordeus einkaufen wollten, was die drei Gründer aber kategorisch ablehnen. "Wir wollen unabhängig bleiben und unser eigenes Ding machen", sagt Milutinovic. Ohnehin werde die Suche nach Personal in Zukunft nicht einfach werden. "Die Digitalisierung nimmt in Serbien Fahrt auf", schwärmt der Firmengründer. "In zehn Jahren werden wir die Auswirkungen erst richtig spüren."

© SZ vom 11.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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