Nahaufnahme:Der Hoffnungsträger

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„Im berühmten Made in Italy steckt unser Schweiß und oft unser Blut“, sagt Aboubakar Soumahoro. (Foto: Matteo Nardone/imago)

Aboubakar Soumahoro kämpft für Migranten in Italien - und gilt als einer der stärksten Gegner der rechtspopulistischen Regierung in Rom.

Von Ulrike Sauer

Hinter Aboubakar Soumahoro liegt ein weiter Weg. Mit 20 kam er aus der Elfenbeinküste nach Italien. Der junge Mann träumte von einem Hochschulstudium und einem besseren Leben. Doch nach dem Ablauf seines Visums landete er rasch als Arbeiter auf einer Tomatenplantage bei Neapel. Wie Abertausende Migranten war Soumahoro einem caporale ausgeliefert, einem Mittelsmann zwischen den Arbeitern und den Landwirten. 20 Euro Tageslohn erhielt er für zehn Stunden Schinderei in glühender Hitze. Und nun sitzt der 39-jährige Gewerkschafter unter dem römischen Sternenhimmel vor dem antiken Janusbogen auf der Bühne. Und wird gefeiert.

Sein verblüffender Part ist es inzwischen, Matteo Salvini, den starken Mann Italiens, herauszufordern. Aboubakar Soumahoro, der Kämpfer für die Rechte der Ausgebeuteten und Verfolgten, ist zum Antagonisten des italienischen Innenministers und der fremdenfeindlichen Politik der populistischen Regierung in Rom geworden. Die Ausstrahlung des Mannes zieht in der lauen Sommernacht auch das römische Publikum in den Bann. Soumahoro ist immer unterwegs, vom Alpenrand bis nach Sizilien. Er taucht überall dort auf, wo Rechte mit Füßen getreten werden. Überall da, wo Tagelöhner Vorzeigeprodukte der italienischen Landwirtschaft ernten. Tomaten, Zitrusfrüchte, Spargel, Melonen, Trauben, Pfirsiche, Kirschen. Italiens Bauern erwirtschaften 132 Milliarden Euro im Jahr, das sind acht Prozent des Inlandsprodukts. "Die Arbeit wird von versklavten Menschen gemacht", sagt er. "Im berühmten Made in Italy steckt unser Schweiß und oft unser Blut", fügt der Afrikaner auf der eleganten Piazza in der Nähe des Tibers hinzu. Man verlange keine Almosen, sondern gleiche Rechte für alle, unabhängig von Nationalität und Hautfarbe.

Soumahoro ist gerade aus Apulien, am Stiefelabsatz im Süden, zurückgekehrt. In der Adria-Stadt Bari hat er ein Sit-in der Erntearbeiter aus der Provinz Foggia organisiert. In der Gegend sind 20 000 Arbeiter, fast alle Migranten, jetzt unter der sengenden Sonne auf den Tomaten- und Melonenfeldern im Einsatz. Die Afrikaner haben unter seiner Führung die Basilika San Nicola in Bari besetzt und sitzen auf den Holzbänken vor dem Schwarzen Heiligen namens Nikolaus, dem berühmten Santo Nero, dessen Reliquien 1087 aus dem türkischen Myra in die süditalienische Hafenstadt geschafft wurden. Sie baten den Bischof von Bari um Beistand. "Ich war mit den Arbeitern dort, weil die Politik sich nicht kümmert", sagt Soumahoro. Er meint damit auch Italiens Linke.

Viele der Protestler in der Basilika leben in dem illegalen Ghetto Borgo Mezzanone bei Foggia, einer der größten Slumsiedlungen Italiens. Fast 4000 Menschen hausen dort unter unwürdigen Bedingungen in Wellblechhütten, ohne fließendes Wasser und Strom. Oft bezahlen sie mit ihrem Leben. Sie sterben an Erschöpfung, Infektionen oder bei Verkehrsunfällen, wenn sie in Kleinlastern zusammengepfercht auf die Felder gefahren werden. Statt die Versklavung zu bekämpfen, geht Innenminister Salvini jetzt gegen die Migranten vor. Auf seine Anweisung demolieren Bagger die Baracken, ihre Bewohner werden in Auffanglager abtransportiert oder tauchen ab. "Mehr weh als die Bagger tut die Gleichgültigkeit", sagt Soumahoro. Der Einwanderer wurde so zu einem Hoffnungsträger. Sein kantiges Gesicht prangte vor einem Jahr auf dem Titelbild des Nachrichtenmagazins L´Espresso neben Salvini. Rechts der nationalistische Vize-Premier, links der afrikanische Gewerkschafter. Salvinis Zynismus, Angstmacherei und skrupelloser Jagd auf Wählerstimmen setzt Soumahoro menschliche Werte entgegen. Er redet nicht nur viel über Empathie - er erzeugt sie auf der Stelle.

© SZ vom 19.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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