Zum 1. Mai:"Arbeit ist keine Ware"

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Im gegenwärtigen Wachstumsmodell gilt Arbeit lediglich als Kostenfaktor, dieser muss so gering wie möglich gehalten werden, um maximalen Gewinn zu erzielen. Das Kapital hat die Oberhand gewonnen. Die Zukunft aber sollte einem Modell gehören, das seinen Erfolg an der Schaffung guter, qualitativ hochwertiger, menschenwürdiger Arbeit bemisst.

ILO-Generaldirektors Juan Somavía

Der Chilene Juan Somavía ist seit 1999 Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf, einer Uno-Sonderorganisation.

Zum 1. Mai: Demo für mehr Lohn in Rio de Janeiro im Februar 2012.

Demo für mehr Lohn in Rio de Janeiro im Februar 2012.

(Foto: AFP)

Auch an diesem 1. Mai werden Zehntausende Menschen in aller Welt auf die Straßen gehen, um den internationalen Tag der Arbeit zu begehen. Nichts Neues also? Falsch. Viel Neues!

Die Wirtschaftskrise trifft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am härtesten. Wie im Brennglas wird deutlich, wie stark die Politik der vergangenen Jahrzehnte den Begriff der "guten, menschenwürdigen Arbeit" entwertet hat. So gilt Arbeit im gegenwärtigen Wachstumsmodell lediglich als Kostenfaktor. Dieser muss so gering wie möglich gehalten werden, um Wettbewerbsfähigkeit und Gewinne zu sichern. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden als Kreditnehmer betrachtet. Ihr legitimer Anteil an dem von ihnen - maßgeblich - mit geschaffenen Wohlstand in Form angemessener Löhne wird ihnen vorenthalten. Das Kapital hat die Oberhand.

Bei all dem wird übersehen, dass gute Arbeit die Basis persönlicher Würde, der Stabilität der Familien, des sozialen Zusammenhalts und Friedens und nicht zuletzt der Glaubwürdigkeit demokratischer Regierungsführung ist. Der Grundkonsens, dass Arbeit keine Ware ist, ist verloren gegangen.

Es ist also kein gewöhnlicher 1. Mai - anders als mächtige Interessengruppen glauben machen wollen. Sie wollen zurück zum Business as usual mit dem Argument, dies hier sei einfach nur eine von viele Krisen, die mit denselben Rezepten wie immer zu lösen sei. Falsch!

Sparpolitik hat Grenzen

Besonders deutlich wird dieser Trend in den Industrieländern, zuallererst in der Euro-Zone. Dort versucht die Politik gegen eine immer höhere öffentliche Verschuldung anzukämpfen - während sie immer größere soziale Defizite schafft. Diesen sollte man sich widmen!

Wenn etwa die Jugendarbeitslosenrate in Spanien und Griechenland bald 50 Prozent erreicht, wird offensichtlich, dass wir die Grenzen der durch Sparpolitik verursachten Rezession erreicht haben. Gerechtigkeit und Solidarität als grundlegende Werte der EU werden offenkundig ignoriert. Dabei handelt es sich um Werte, die in allen wichtigen europäischen Verträgen festgeschrieben sind. Auch die simple Wahrheit, dass zum Schuldenabbau Wachstum und Beschäftigung nötig sind, wird zu oft ausgeblendet - von einer Politik, die Geist und Inhalt ratifizierter ILO-Konventionen widerspricht und die die wesentliche Rolle, die sozialer Dialog gerade in Krisenzeiten spielen kann, missachtet.

Was wir brauchen, ist eine sozial verantwortliche Form der Haushaltskonsolidierung. In einer Demokratie ist es wichtiger, das langfristige Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, und hier gerade der schwächsten, zu erhalten - statt kurzfristig das Vertrauen der Finanzmärkte zu gewinnen!

Global gesprochen haben sich die meisten Großunternehmen ebenso wie das Finanzsystem von der Krise erholt, auch wenn manche "Experten" meinen, einige Banken seien noch "zu fragil". Die Regierungen stützen sie mit Milliarden Dollar und Euro, die den Arbeitnehmern verwehrt werden. Da ist es nur verständlich, dass viele Menschen am Tag der Arbeit das Gefühl beschleicht, sie seien zu unbedeutend und spielten - anders als Großkapital und Banken - für die Politik keine Rolle.

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