Das englische Wort "wear" bedeutet eigentlich nur Kleidung. Derzeit werden mit diesem Suffix aber allerhand Modetrends veredelt. Zuerst kam die Sportswear und machte Laufjacken und Sneakers chic, dann brachte uns die Yogawear schwarze Leggings und Trikots.
Zuletzt waren alle verrückt nach Athleisurewear, die streng genommen nur eine Kombination aus beiden vorangegangenen Trends war und Laufjacken zu Leggings empfahl. Bei allem Fitnesswahn: Besonders abwechslungsreich war das nicht gerade. Weshalb auch derzeit nun die Workwear mehr Aufmerksamkeit bekommt, nüchtern übersetzt: die Berufskleidung.
Modetrend:Warum Amerikanerinnen in allen Lebenslagen Leggins tragen
In New York begegnet man selbst abends in einer hippen Bar Frauen in fiesen Lycra-Sportklamotten. Weshalb machen Menschen freiwillig mit bei diesem Trend?
Es geht dabei aber nicht um Ärztekittel oder Bäckerschürzen, sondern um den Look von nostalgischen Autoschraubern, ehrlichen Gerüstbauern und Goldgräbern, wie er sich vor allem mit den Produkten uramerikanischer Kleidermarken erzielen lässt.
Die derben Lederboots von Red Wing aus Minnesota und die Raw-Denims von Levi's etwa dürften den meisten längst bekannt sein. In den Fußgängerzonen sind sie zu Klassikern geworden. Dazu gesellen sich jetzt Mechanikerhemden mit großen Taschen auf der Brust, Cargo- und Latzhosen mit Laschen für den Hammer und schwere Ledergürtel, die so aussehen, als könnte man sich damit auch auf einer echten Ranch sehen lassen.
Carhartt ist eine der erfolgreichsten Marken, die in diesem Workwear-Kontext entstanden ist - und die gerade wieder einen Aufschwung erlebt: Der Rapper Asap Rocky wählte vor Kurzem zur Aftershowparty des Metballs eine Weste. Rihanna trägt die Mützen, Kanye West die Jacken. Und das französische Überlabel Vêtements lud zu einer Hemdenkooperation, die Anfang des Jahres im Pariser Departmentstore Colette verkauft wurde.
Das ist viel neuer Schwung für eine ziemlich alte Marke. Gegründet wurde Carhartt bereits 1889 in der Industriemetropole Detroit. Mit gerade mal vier Nähmaschinen und fünf Angestellten begann Hamilton Carhartt damals mit der Herstellung von extradicken Hosen aus orangebraunem Canvas. Die Teile wurden schnell unter Schienenbau- und Ölbohrarbeitern beliebt (Levi's war zu der Zeit mit seinen blauen Denims schon die Marke der Cowboys). Was den Männern vor allem gefiel, war die Allwetter- und Stichfestigkeit der Produkte.
An ihrer Machart hat sich bis heute kaum etwas geändert: das Hosenmodell "B01 Men's Firm Duck Double-Front Dungaree" mit verstärktem Kniebereich etwa wird seit 1932 erfolgreich verkauft. Carhartt ist damit in den USA bis heute einer der bekanntesten Hersteller für Berufskleidung - auch ganz unabhängig von Rappern und französischen Kollaborationen.
Modedesign:Echter Streetstyle
Manchen von ihnen müssen die Designer Ayleen Meissner und Eva Sichelstiehl erst einmal zeigen, wie man eine Schere hält: Sie machen gemeinsam mit Jugendlichen von der Straße Mode. Ein Atelier-Besuch.
Einer, der aber das modische Potenzial der Marke früh erkannte, war der Schweizer Jeanshersteller Edwin Faeh. 1989 begann er mit dem Import von Carhartt-Kollektionen nach Europa. "Arbeiterhosen, die in den USA 19 Dollar gekostet haben und hier dann 100 Mark", sagt er.
Schon damals kein Schnäppchen, teilweise bedingt durch Mehrwertsteuer und Einfuhrzoll, vor allem aber, weil Faeh es mit diesen Importen nicht auf Baustellen, sondern auf eine trendbewusste Zielgruppe abgesehen hatte. Die Skater und Hip-Hopper der MTV-Generation hatten die Blue-Jeans-Welle damals gerade in all ihren Spielarten durchexerziert und brauchten eine neue Uniform.
Der Plan ging auf, die betont simple und charakteristische braune Workwear wurde eine Zeitlang zum Code der Coolen: Skater, BMX-Fahrer, Hip-Hop-Fans, Kleinkriminelle - in den Neunzigerjahren galt auf dem Schulhof etwas, wer seine tief sitzende Carhartt-Hose in die Tennissocken steckte. Auch Mädchen trugen sie jetzt, etwa zu bauchfreien Tops und weiten Kapuzenjacken.
Edwin Faeh war jedenfalls so erfolgreich, dass er seit 1994 per Lizenz eigene Entwürfe produzieren darf. Die Linie heißt Carhartt WIP ("WIP" steht für work in progress) und bietet bis heute mehr Street- als reine Workwear an, also auch Sweatshirts oder Hemden mit Blumenmustern. In Europa hat die Marke also die Epoche der Berufskleidung übersprungen und ist gleich als Synonym für Jugendkultur eingestiegen.
Mode:100 Jahre Ziiiiiip
Einst galt der Reißverschluss als vulgär, bestenfalls als praktisch. Erst in der Mode konnte er seine dekorative Wirkung entfalten - und seine erotische.
Mit dem neuen Jahrtausend und der Verschiebung der Popkultur vom Hip-Hop- zum glamouröseren R'n'B-Sound, kamen die derben Hosen ein bisschen aus der Mode. Tonangebende Größen wie P. Diddy sahen sich keinem Arbeiterethos mehr verbunden, sondern trugen Anzüge von Versace, Loafer von Gucci und Monogrammtaschen von Louis Vuitton. Zu den Champagnerflaschen und der Blingbling-Attitüde in ihren Musikvideos passte die günstige Workwear nicht mehr.
Das aktuelle Comeback aber mag nun von der sehnsüchtigen Erinnerung an die Skateboard-Jugend und überhaupt die unschuldigen 90er-Jahre befeuert sein. Denn Carhartt verkörpert, wie auch andere traditionsreiche US-Workwear-Marken wie Dickies, Blauer oder Timberland, heute eben auch ein Stück intaktes Amerika; ein Land, in dem jeder für ein paar Dollar im Carhartt-Store am Highway ein schnörkelloses Paar Hosen kaufen konnte, das ewig hielt und "made in USA" war.
Ehrlich, großflächig, unzerstörbar - im Grunde sind die Eigenschaften dieser Klamotten auch die Eigenschaften des good old America. Im Science-Fiction-Film "Interstellar", der 2014 in die Kinos kam, trägt Matthew McConaughey als letzter ehrlicher Rancher und späterer Weltretter jedenfalls seine Carhartt-Jacke mit Reißverschluss und dunkelbraunem Cordkragen wie ein Rüstung gegen den kosmischen Unbill.
Sogar Teile der Luxusindustrie haben den mehr oder weniger authentischen Arbeitercharme schon für sich entdeckt: Dior und Burberry präsentierten in ihren letzten Kollektion blaue Overalls und Zweiteiler, dezent künstlich gealtert, damit die Models darin wie die elegante Version eines Malers oder Schaffners aussahen.