Onlineshopping:"Trägt man ein Poloshirt komplett zugeknöpft?"

Lesezeit: 5 Min.

Eigentlich ist Rosa Biazzo Designerin. Von ihrem Computer aus berät sie nebenbei Menschen in Modefragen. (Foto: Lena Giovanazzi)

Internet-Stilberater erklären Menschen, die sie nie gesehen haben, was sie tragen sollen. Wie das funktioniert? Ein Tag im Leben einer Stylistin.

Von Jan Stremmel

Das erste Problem, das Rosa Biazzo an diesem Morgen lösen muss, ist der oberste Knopf eines Polohemds. Ein Stammkunde hat ihr eine Mail geschrieben. Es geht um das Hemd, das sie ihm neulich geschickt hat. Lasse man den obersten Knopf jetzt eigentlich offen, schreibt er, oder "trägt man das auch so komplett zugeknöpft wie euer Model"? Zur Sicherheit hat der 53-Jährige zwei Fotos mitgeschickt: sein Hals im Hemdkragen, der Knopf einmal offen, einmal geschlossen. "Liebe Grüße, Jochen."

Rosa Biazzo lächelt hinter ihrem Laptop, es sieht fast liebevoll aus, dann tippt sie mit ihren rot lackierten Fingernägeln die Antwort: "Polohemden sehen meist komplett zugeknöpft am besten aus. Aber ein Muss ist es nicht." Beiläufig ergänzt sie die Frage, ob er zum Polohemd wohl noch ein paar passende Hosen bräuchte? Sie klickt auf Senden. Problem gelöst, Stammkunde zufrieden. Und wer weiß, vielleicht bestellt er sogar noch was.

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Ein guter Start in den Tag. Rosa Biazzo, schwarze Mähne, bunter Faltenrock, sitzt gut gelaunt am kleinen Schreibtisch in ihrem Arbeitszimmer, links eine Nähmaschine, rechts eine Schneiderpuppe, an der Pinnwand hängen Ausrisse aus Modezeitschriften. Sie beißt in eine Nussschnecke. Das Zimmer ist Teil der Berliner Wohnung, in der Biazzo mit ihrem Mann und ihrer einjährigen Tochter lebt. Von hier aus berät sie an drei Vormittagen pro Woche Menschen wie Jochen in Modefragen. Sie kennt deren Körpermaße, sie kennt das genaue Gewicht und die Problemzonen. Sie berät Frauen, die sich als übergewichtig einschätzen, obwohl sie 49 Kilo wiegen, und Männer, die sich wegen ihres Bauchansatzes vor engen T-Shirts fürchten. Und doch hat Biazzo fast keinem ihrer Kunden je auch nur die Hand geschüttelt.

Jochen etwa lebt im Ruhrgebiet. Seit einem halben Jahr ist er ihr Kunde, drei Pakete hat sie ihm seither geschickt. Darin jeweils drei Outfits, inklusive Schuhe, Gürtel und Jacke. Auf den Fotos, die er ihr geschickt hat, sieht man ein gebräuntes Gesicht, eine stachlige Gelfrisur, ein Camp-David-Polohemd. Typ: Dieter Bohlen. Rosa Biazzo zieht daraus ihre Schlüsse: "Er zeigt gern Marken, ist aber sonst eher ein zurückhaltender Typ. Mit einer roten Chino muss man so jemandem eher nicht kommen." Aber in kleinen Schritten könne man alles verbessern - ein zugeknöpftes Polohemd sei schon mal ein Anfang.

Einen eigenen Stylisten hatten bisher nur Popstars, Schauspieler oder Mitglieder der Königsfamilie. Normale Menschen müssen für gewöhnlich selbst entscheiden, was ihnen steht, womit sie durchkommen, was wozu passen könnte. Wer kein Händchen für Mode hat, ist auf Versuch und Irrtum angewiesen - und geht, gerade in Deutschland, im Zweifel lieber kein Risiko ein.

Fast die Hälfte der Kunden sind Männer

Seit ein paar Jahren haben Start-ups darin eine Lücke entdeckt. Outfittery fing sehr erfolgreich damit an, berufstätigen Männern fertig kombinierte Outfits zu verkaufen. Seither ist "persönlicher Onlinestilberater" eine Art neue Berufsbezeichnung in der Modeindustrie. Anbieter wie Stitchfix oder Trunkclub und sogar große Shops wie Zalando bieten die Dienste von Stylisten an, die den Kunden aus dem immer größer werdenden Angebot eine individuelle Auswahl an Kleidungsstücken zusammenstellen. Umgekehrt haben Modeexperten wie Rosa Biazzo einen lukrativen neuen Nebenerwerb. Biazzo ist studierte Modedesignerin, seit zwei Jahren berät sie nebenher Kunden für Zalon, den Stylisten-Dienst von Zalando. Fast die Hälfte der Kunden sind Männer.

Sie klickt sich in den nächsten Auftrag. Maximilian, 35, aus Rosenheim, schreibt, er brauche "was Casual-schickes für die Arbeit. Es sollte sommerlich sein." Rosa Biazzo wiegt etwas unzufrieden den Kopf. Kein leichter Fall für die Stylistin, denn Maximilian hat keine Telefonnummer angegeben und kein Foto von sich hochgeladen. Bilder sind für Biazzo das wichtigste Werkzeug, um ein Gefühl für den Stil eines Kunden zu bekommen. "Ich sage immer: Es muss nicht mal ein Selfie sein. Gebt mir Fotos von eurem Lieblingspulli, von Schauspielern, die ihr gut findet, ganz egal. Selbst ein Bild von einem Apfel hilft mir, wenn ihr die Farbe toll findet."

So aber muss sich Biazzo über Indizien vorarbeiten, die Maximilian im Fragebogen angegeben hat: seine Lieblingsmarken sind Adidas, Barbour, Cheap Monday. "Er trägt gern Blau, Grau und Weiß - das geben 90 Prozent aller Männer an", sagt Biazzo und rollt die Augen. Sogenannte "No-Gos" sind für ihn nur Cargohosen, Bügelfalten und große Logos. Immerhin, Maximilian ist 1,72 groß und wiegt 71 Kilo. "Eine dankbare Kombination, da passt ihm eigentlich alles." Mit einem Klick öffnet sie das Sortiment von Zalando: 200 000 Produkte von 1500 Marken.

Während der herkömmliche Stylist für einen das Shoppen im Geschäft übernimmt, kümmert sich der Onlinestylist eben ums Shoppen am Bildschirm. Ob die Einzelteile durch ihre Stoffqualitäten und Schnitte am Ende zusammenpassen, lässt sich digital eher schwer einschätzen. Dem Modeprofi fällt die Einschätzung natürlich leichter als dem Laien. Onlinestylisten arbeiten auf Provision. Je mehr Artikel die Kunden aus einer kuratierten Box behalten, desto mehr verdienen die Kuratoren.

Die Kunden zahlen nichts für die Beratung, aber für die Händler hat der professionell zusammengestellte Warenkorb einen Vorteil: Der Umsatz ist größer. Bei Zalon etwa kann man pro Order schon mal drei Outfits geschickt bekommen, zehn Teile, selbst wenn der Kunde eigentlich nur ein paar Hemden wollte. Bezahlen muss er nur, was er behält. Aber das ist im Schnitt mehr, als wenn er auf eigene Faust bestellt hätte. Eine Box mit zehn Artikeln kostet schnell tausend Euro.

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Der Chef von Zalon, Ivo Scherkamp, hat das Konzept vor zwei Jahren gestartet. Immer wieder hatten sich Zalando-Kunden gewünscht, beim Streifen durch das massive Angebot des Händlers persönlich beraten zu werden. Vor allem Männer schätzen es, beim Einkauf an die Hand genommen zu werden. Also fing Zalon mit etwa 30 freiberuflichen Stilberatern an - Rosa Biazzo war eine der ersten. Inzwischen werden für den deutschsprachigen Raum rund 350 Stylisten beschäftigt, die von zu Hause aus "Warenkörbe produzieren", wie Scherkamp es nennt. Vor Kurzem kamen die Niederlande und Belgien dazu.

Anreize, Schritt für Schritt

In den zwei Jahren als Einkaufsberaterin hat Rosa Biazzo einiges über Mode in Deutschland gelernt. Erstens: "Männer sind viel beratungsfreudiger als Frauen. Die nehmen nichts persönlich. Die stört es nicht, wenn ich sage: Rot steht dir nicht." Zweitens: "Wenn man Leuten was einredet, liegt es später ungetragen im Schrank rum." Drittens: "In Frankfurt und Düsseldorf tragen Männer gern bunte Socken und krempeln sich die Hosen hoch. Keine Ahnung, warum." Viertens: "Die große Mehrheit der Deutschen möchte mit ihrer Kleidung nicht auffallen."

Was nicht heißt, dass ihre Kunden den Spaß an Mode nicht entdecken können. Biazzo versucht, mit ihren Outfits "sanfte Anreize in die richtige Richtung zu setzen". Pro Kiste packt sie meist zwei gewagtere Stücke. Für Maximilian aus Rosenheim hat sie zum Beispiel, gemäß seiner Wünsche, ein hellblaues Polohemd, eine Jeans und eine graue Stoffhose ausgewählt - "die kann er schon mal zu allem kombinieren" - und dazu ein Ringelshirt und ein rotes Hemd. "Ich hoffe, wenigstens eines davon behält er. Wenn er sich das traut, wird er merken, wie super das funktioniert." Anreize. Schritt für Schritt.

Nach einer viertel Stunde ist die Box fertig zusammengeklickt. Ein guter Schnitt, für Frauen braucht sie meist eine halbe Stunde - bei übergewichtigen oder sehr modischen Kunden kann die Auswahl 45 Minuten dauern. Die Bootsschuhe, die sich Maximilian explizit gewünscht hat, hat Biazzo am Ende mit einem Seufzen dazugepackt. Als Designerin weiß sie natürlich: Das rote Hemd und das Ringelshirt sähen hundertmal besser zu Sneakern aus. Aber, nun ja. "Kann ja noch werden."

© SZ vom 10.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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