Wohntrends des Jahres:Muster, Farne, Tipis

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Lustig, diese kreativen Leute, die sich in Interiormagazinen und auf Wohnblogs tummeln. Sie finden Möbelhäuser unoriginell - und richten sich doch alle gleich ein. Die zehn Wohntrends 2012.

Alexander Runte

[] Im Partnerlook: Heutzutage ist ja jeder ein Kurator oder zumindest ein Designer, auch wenn zu den eigenen Arbeiten nur die Auswahl unscharfer Instagram-Bilder gehört. Letztlich ist es aber auch egal, was man tatsächlich tut, wenn man es nur mit der nötigen Schmerzfreiheit gegenüber der eigenen Peinlichkeit tut. Bewiesen hat dies neulich erst das Stilmagazin der New York Times, als es Galerienbesitzer und Stylisten in ihren Wohnungen fotografierte - die ihre Kleidung auf ihr Interieur abstimmen, oder andersherum: Die Pariser Luxusmode von Lanvin passt gut ins Upper-East-Side-Loft und Martin Margiela zum Industrial-Interieur. So viel Wille zur Inszenierung ist erschreckend, aber konsequent. Und nächste Saison ziehen wir ja sowieso wieder was anderes an.

100 Jahre Fashion-Fotografie
:Mode wie gemalt

Wie kein anderes Genre versöhnt die Modefotografie Kunst und Kommerz - und das schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Condé-Nast-Verlag hat für eine Ausstellung in Berlin seine Archive geöffnet und gewährt erstaunliche Einblicke.

[] Koffer: Ein unangenehmes Problem ist die Auswahl von Nachttischen, Beistelltischchen und Sideboards. Unangenehm, weil es geradezu unmöglich ist, erfolgreich auf dem Grat der Geschmacklosigkeiten zwischen verranzter Obstkiste und manieriertem Lackkästchen zu balancieren. Als Allzweckwaffe haben sich jedoch alte Koffer erwiesen. Gestapelt kann man auf ihnen die Minibar oder jene Bücher lagern, die jeder sehen soll, während man in ihnen all das verstauen kann, was man lieber nicht so herumliegen hat. Alte Koffer wirken so nachlässig wie die Obstkiste, mit etwas Glück aber auch genauso elegant patiniert wie der abartig teure Prouvé-Tisch.

[] Sperrholz: Piet Hein Eeks Möbel scheinen auf den ersten Blick nur aus mehr oder weniger bemaltem Sperrholz zu bestehen. Die kantigen Sessel, Kommoden, Hocker oder Tische, die der Eindhovener Designer in seiner Werkstatt auf dem ehemaligen Philips-Gelände tatsächlich aus Abfällen der Industriegesellschaft zusammengebaut hat, sind aber natürlich viel mehr als das. Eek ist der Vorreiter des so genannten Upcycling-Trends, bei dem aus alten und kaputten Gebrauchsgegenständen neue Objekte erstellt werden. Sein eigentliches Verdienst besteht jedoch darin, dem sonst so verkniffen interpretierten Begriff von nachhaltigem Design etwas mehr Charme und robuste Eleganz zu verleihen. Und ganz nebenbei entstehen so bezahlbare Einzelstücke, deren Sammlerwert mit den Jahren steigen dürfte. In vermeintlichen Müll zu investieren, dürfte sich bei Piet Hein Eek so oder so auszahlen.

[] Abenteuerland: Die Aussage, Berlin sei ein einziger Freiluftspielplatz zum Nichterwachsenwerden, ist bereits etwas abgegriffen. Dennoch irritiert der Blick in Berliner Wohnungen häufig noch, trifft man hier oft auf Einrichtungsobjekte, die man eher in Kindergärten und Krippen vermuten würde: Schaukeln, die von der Decke hängen, große und teuer zusammengekaufte "Star-Wars"-Figurensammlungen, die in Setzkästen zur Schau gestellt werden oder auch einfach ein ganzes Indianer-Tipi im Wohnzimmer, in das sich die doch definitiv aus der Schule herausgewachsenen Bewohner zum Versteckenspielen und Schlafen zurückziehen können, denn Kinder sind in diesen Wohnungen lustigerweise nie zu sehen. Warum auch? Zum Erwachsenwerden kann man ja vom Spielplatz immer noch da hinziehen, wo es nicht mehr so lustig ist. Nach München zum Beispiel.

[] Faye Toogood: Everybody's Darling zurzeit: Faye Toogood. Die Frau mit dem sensationellen Namen stammt aus der englischen Provinz und arbeitete zuerst als Stylistin beim Über-Interiormagazin World of Interiors, bevor sie sich als Designerin und Innenarchitektin selbständig machte. In ihren Arbeiten mischt sie Alt und Neu, Minimalistisch und Exaltiert so souverän wie niemand anders. Dabei überschreitet sie gerne auch die Grenze zum Surrealen, konstruiert Scheinwelten oder setzt gezielt setzkastenartige Glasvitrinen ein, in die sie rätselhafte Objekte wie aus einem verstaubten Naturkundemuseum platziert. Als Designerin entwirft sie nun die Shops von Dover Street Market und Opening Ceremony, während ihr Spade Chair - ein Bronzestuhl mit einer Art Schaufelstiel als Rückenlehne - in Kleinsteditionen vom Auktionshaus Phillips de Pury verkauft wird.

Gefährliche Mode
:Schuhe, die krank machen

Unfruchtbarkeit, Knochenbrüche, Fehlhaltungen der Wirbelsäule: Wer regelmäßig hohe Schuhe, schwere Handtaschen und enge Jeans trägt, lebt nicht ganz ungefährlich. Was Frauen und Männer für die Schönheit in Kauf nehmen.

Jana Stegemann

[] Flora und Fauna: Zimmerpflanzen sind ohne Frage ein heikles Thema. Wer hat denn schon ernsthaft Zeit, jeden Tag seine Blumen zu gießen? Und wer es dennoch tut, steht schnell im Spießbürgerverdacht. Auf der anderen Seite wirkt das schönste Interieur aber ganz ohne Grünzeug auch einfach zu trist. Was vermutlich der Grund dafür ist, dass die Macher des stilprägenden Magazins Apartamento die erste Ausgabe ihres Spin-off-Hefts Plant Journal gleich der wunderbaren Welt der Farne widmeten - Titelthema: Hirschfarne, wie man sie pflegt und bei Bedarf an die Wand nagelt - die nicht nur erheblich leichter zu pflegen sind als, sagen wir, Orchideen, sondern auch auf die schönste Weise nachlässig wirken, ganz so, als hätten sie bereits auf dem tausendfach abgeschliffenen Eichenholzparkett in der Wohnung gestanden, als man hier einzog.

London Fashion Week
:Gaga und der verrückte Hutmacher

Bei Philip Treacys Hutmodenschau sitzt seine vielleicht beste Kundin nicht nur im gewagten Blumenschmuck in der ersten Reihe. Lady Gaga geht auch selbst auf den Laufsteg - in vertraut provokanter Pose.

[] Zurück zum Beton: Traurige Nachricht: In Folge des Design-Booms ist nun endgültig jede einzelne Epoche der Designgeschichte abgefeiert worden. In der Retrobesessenheit blieb von österreichischem Nachkriegsdesign über sozialistische Betonbrutalismen bis brasilianischem Mid Century keine Kleinstbewegung verschont. Das einzige, was noch halb unentdeckt vor sich herschlummert, ist ausgerechnet politisches Avantgarde-Design aus dem Westdeutschland der Achtzigerjahre, als Pentagon, Stefan Zwicky und Herbert Jacob Weinand Le-Corbusier-Sessel aus Beton, Einkaufswagen-Stühle und Glastische mit Raketenständer entwarfen - eine Zeitreise zurück zu Pershing, Konsumkritik und Endzeitstimmung. Was sollte danach noch kommen? Design aus dem Jahr 2012? Ein verwegener Gedanke.

[] Weltreise: In Zeiten von Google Maps sind Globen überflüssig geworden. Dies führt dazu, dass sie nun verstärkt als Deko-Objekte auf Fensterbänken auftauchen. Doch wer sie auf reines Dekor reduziert, liegt falsch. Denn der warm leuchtende Schein soll bitte nicht nur als Ersatz für Lampen interpretiert werden, er weist auch zurück in eine Welt, in der Reisen noch Glamour versprach, und nicht jeder 19-Jährige schon durch Vietnam gereist war. Wer genau hinschaut, dürfte daneben den ein oder anderen Tim-und-Struppi-Comic entdecken sowie das Gesamtwerk von Christian Kracht.

[] Geweih: Wie jedes Jahr kündigt sich der Herbst durch das Erscheinen des Ikea-Kataloges an. Dort findet sich neben prima Slogans ("Ein super Team: deine Persönlichkeit und du") auch der noch seltsamer anmutende Lieblingswandschmuck in hippen Interiors wieder: das Jagdgeweih. Schien es bis vor Kurzem sowohl ethisch als auch ästhetisch mit gutem Geschmack schlicht unvereinbar zu sein, taucht es aber nun nicht nur in den auf rustikal getrimmten Industrial-Chic-Büros und Bars der Londoner Designagentur 44th Hill auf, sondern auch in minimalistischen Landhäusern von UN Studio über den Hügeln von Stuttgart. Aber ist das nun einfach die Interior-Variante von Holzfällerhemden und Vollbärten oder schlichte Ironie? Sehnsucht nach Gemütlichkeit? Ist es gar Landlust zum An-die-Wand-nageln? Den Sinn dahinter werden wir wohl nie erfahren.

[] Bad Taste Komischerweise gilt Memphis immer noch als großer Streitfall. Dabei hat die italienische Designbewegung aus den 80er-Jahren um Ettore Sottsass doch mit viel guter Laune und wunderschönen Geschmacklosigkeiten erfolgreich mit der Langeweile aufgeräumt, die das Bauhaus mit seinem Funktionalismus hinterlassen hatte. Natürlich verstören Regale, die als verschachtelte Raumtrenner gegen alle Grundsätze des Designs verstoßen oder ein Boxring als Liegelandschaft erst mal. Gezielt als Einzelteile dosiert, machen sich jedoch Ettore Sottsass' Carlton-Regal und Martine Bedines Igelleuchte gerade daran, als leicht wieder erkennbare Protzstücke dem armen Lounge Chair von Eames den Rang in den Mid-Century-Wüsten abzulaufen, die einen aus den meisten Designblogs und Interior-Magazinen so traurig anstarren.

© SZ am Wochenende vom 22. September 2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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