Trend:Genialer Glibber

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Nie war Ekel schöner: Warum Schleim in allen Varianten gerade Karriere macht - nicht nur in Kinderzimmern und auf Instagram.

Von Georg Cadeggianini

Beginnen wir - ekliger wird es in diesem Text nicht, versprochen! - mit einem kleinen Experiment: Nehmen Sie ein Glas und spucken Sie hinein. Noch mal. Wiederholen Sie das, bis sich ein bisschen was angesammelt hat. Schlierig schaukelt Ihre Spucke da jetzt im Glas, mit Bläschen oben drauf und weißem Schaum. Schritt zwei: Trinken Sie es aus.

Sie haben gekniffen, jede Wette. Ist ja auch wirklich superwiderlich. Andererseits: warum noch mal gleich? Ist es nicht die eigene Spucke? Hatte man sie nicht gerade noch im Mund?

Es liegt am Schleim, sagen Ekelforscher. Seit Längerem ist er der Superstar unter den Ekelgeneratoren, Schmiermittel jedes Horrorfilms. Schleim ist dabei erst mal alles, was schleimt, eine Materialeigenschaft also, so wie flüssig oder fest, bloß dazwischen. Etwas, mit dem wir im Alltag den Kontakt weitgehend vermeiden: Unsere Wege sind flurbereinigt und asphaltiert, die Kanalisation spielt sich unterirdisch ab, in Taschentücher schnäuzen wir nur ein-, zweimal rein: Verschlusssache Einwegtaschentuch, bloß weg damit. Schon das Wort ist negativ: Schleim, Richtung Heuchler oder Krankheit. Beim Geruch unterscheiden wir in Duft und Gestank. Und wie bitte heißt Schleim in nett? Hydrogel? Ach komm. Beim Schleim gibt es nur Schleim - und der klingt nach Gestank und Tröpfcheninfektion.

Ungerecht, findet das die Biologin Susanne Wedlich. Sie hat ein großes und tolles Buch über Schleim geschrieben. Sie sagt: Wir tun ihm unrecht mit unserem Ekel. Schließlich tue er so viel für uns. Essen, schmecken, atmen, Sex - könnten wir alles vergessen ohne Schleim. Und wir sprechen hier nicht von Overnight Oats, jenen hippen Einweich-Haferflocken, sondern von Mundschleimhaut, Speichel, Bronchien, Vaginalschleim. Wedlich geht so weit, dass sie sagt: Erst der Schleim als Bindegewebe macht uns zu dreidimensionalen Wesen. Wedlich fordert endlich mal Dankbarkeit.

Andererseits: Schleim trendet total! Mit funkelndem Glitzer oder thick and glossy. Mit jelly cubes zum Zerdrücken oder Regenbogenfarben zum Selbstanrühren. Micro floams, snow fizz, Leuchtschleim. Kneten, bohren, quetschen, ziehen. Knatschen, schmatzen, knallen, knirschen. Auf Instagram ist er groß, dann auch gern Englisch ausgesprochen: "Slime". Von entspannender, fast therapeutischer Handarbeit ist dort die Rede. Bis zum Kopforgasmus soll alles drin sein. In Manhattan hat ein eigenes Schleim-Museum eröffnet. Anfassen unbedingt erlaubt. Vergangenes Wochenende kam die Messe "Slime Splash" nach Ulm. Und der deutsche Micky-Maus-Verlag hat gerade das Magazin Poops ie Slime Surprise gelauncht, Unterzeile: "Eine Welt voll Superschleimspaß!" Aus dem Inhalt der ersten Ausgabe: DIY - Einhornschleim. Gli-Gla-Glibber: Pimpe deinen Schleim! Quiz: Würdest du lieber Glitzer pupsen oder Konfetti rülpsen?

Äh, Frau Wedlich? Instagram-Slime nennt das die Biologin, und es klingt nicht so freundlich. "Wie Kaugummi. Echter Schleim ist ungreifbar, ohne Gestalt, rinnt durch die Finger: wie dickes Wasser." An unserem Verhältnis zu ihm sollten wir dringend arbeiten, fordert Wedlich. Ekel läuft - entgegen unserer Intuition - nämlich nicht instinktiv ab. Zwar werden wir Trockennasenprimaten mit der Fähigkeit geboren, etwas eklig finden zu können. Was wir dann eklig finden, lernen wir erst. "Immunsystem unseres Verhaltens" nennt Wedlich den Ekel deswegen. Ja, Schleim eklig zu finden, ist erst mal nicht ganz blöd. Wenn irgendwo Mikroben arbeiten, dann schleimt es. Heißt: Wo es schleimt, könnte Infektionsgefahr lauern. Igittigitt, lieber Abstand wahren. Aber Schleim kann so viel mehr als gefährlich sein. "Mindestens drei Milliarden Jahre war Schleim der Alleinherrscher auf unserer Erde", sagt Wedlich und kündigt mit Mikrobenmatten, Quallenschwärmen und Algenblüten eine neue Ära des Schleims an.

"Wir sollten anerkennen, wie wichtig und allgegenwärtig er ist": Vom Zellkernschleusenwächter bis zur Plattentektonik - nichts läuft ohne ihn. Wedlich schlägt ein Verhältnis vor, wie wir es zu Blut haben. Voller Achtung und Respekt vor der Lebenskraft. Dass dies ein weiter Weg ist, merkt jeder, der versucht, sich für einen Moment etwa "Vampire Diaries"-Star Paul Wesley als obersten Schleimsauger vorzustellen.

Vielleicht kommt hier, quasi als Wegbereiter für die Schleim-Rehabilitation, der Instagram-Slime ins Spiel. Immerhin wächst hier eine Generation heran, die bei dem Wörtchen "Schleim" nicht mehr reflexartig an eitrige Nebenhöhlenentzündung denkt. Die das perfekte Gegenentwurfsmaterial zur Pappmaché-Töpferkurs-Generation in der Hand hält. Slime will und muss nichts werden. Das Material ist schon alles - und sei es Einhorn, snow fizz oder grüngelbe Rotzglocke. Danke, lieber Schleim.

Was Schleim noch kann? Von der New Yorker Feuerwehr über Glibber-Whatsapp bis zum gärtnernden Elch - auf den Kinderseiten dieser Ausgabe

© SZ vom 08.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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