Berlin ist eine Stadt, die sich ständig verändert. Das merkt man schon, wenn man aus dem Urlaub zurückkommt, und in der Straße haben wieder zwei Läden geschlossen und drei neue Kaffeebars aufgemacht. Wer vor zehn Jahren, in den Neunzigerjahren oder vor der Wende in Berlin war - der war in drei vollkommen unterschiedlichen Städten. Umso erstaunlicher ist es, wenn man in Berlin an Orte kommt, an denen sich gar nichts verändert. Zum Delikatessenhandel Rogacki im Berliner Westen zum Beispiel.
Schon in dem riesigen Gebäude scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: draußen graue Steinplatten und eine knallgrüne Markise, drinnen eine riesige Halle mit klotzigen Säulen und einer ebenfalls knallgrünen Decke, die an eine U-Bahn-Station aus den Sechzigerjahren erinnert. Und erst das Essen, das hier verkauft wird. Geräucherte Makrelen, Schillerlocken, Rollmops. Leberwurst, Sülze oder Schmalz. Aber nicht nur eine Sorte, sondern Gänseschmalz, Schweineschmalz und Apfelgriebenschmalz.
Am Imbiss werden dampfende Teller mit Eisbein gereicht, am Buffet hat man die Auswahl zwischen Eiersalat, Rollmops oder Brathering in Gelee. Kurzum, das ist ein Ort, an dem die Zeit eingekapselt zu sein scheint wie die Meeresfrüchte in Aspik, die hier in durchsichtigen Blöcken ausliegen.
Aber wie das oft so ist mit den Dingen: Wenn sie lange genug überdauern, sind sie plötzlich hip. Und im Rogacki ist alles dermaßen retro, dass es das Zeug zum Kult hat. Auf Instagram laufen Bilder von Blutwürsten in Sauerkraut nun hoch und runter, Influencerinnen, die aussehen, als würden sie sonst Selleriesaft trinken, posen mit überladenen Rogacki-Tellern.
Das liegt auch am Inhaber; beziehungsweise daran, dass der nicht viel davon mitbekommt. Dietmar Rogacki bittet in sein Büro. Alte Fotos, ein abgeschabtes Sofa, an der Wand eine Tabelle, in der die Preise noch in D-Mark angegeben sind, es ist der Arbeitsplatz von jemanden, der nicht einsieht, warum man austauschen sollte, was sich bewährt hat. Rogacki, 63, kariertes Hemd, praktischer Bürstenhaarschnitt, führt das Unternehmen in dritter Generation.
Er wollte eigentlich Fotograf werden, hat die Dire Straits oder Blondie fotografiert, aber dann habe es in der Familie geheißen: entweder hier oder nie. Und das hieß vor allem: eine Westberliner Institution zu leiten. Gegründet hat das Geschäft vor 91 Jahren der Großvater, der mit einem Bollerwagen voll Fisch durch die Gegend gezogen war. Der Vater baute es nach dem Krieg zur heutigen Größe aus, mit Fleischtheke, Fischtheke, Wildtheke, Käsetheke, Wursttheke und mehreren Imbissständen in der Mitte. Rogacki war jener Ort in Berlin, an dem man Überfluss erlebte und den eigenen Überfluss herzeigen konnte.
In den Anfängen vor 90 Jahren war Rogacki noch eine reine Fischräucherei.
(Foto: Rogacki)Wenn Dietmar Rogacki erzählt, berlinert er auf eine Art, die man nur noch selten hört. Die Briten nennt er "Tommies", das Berliner Fernsehen "SFB", also Sender Freies Berlin, so wie vor der Wende. Und immer geht es um die Vergangenheit. Wie er als Kind hinter einer Theke aus Sardinenbüchsen Türme baute. Wie sie im August 1961 keine Verkäuferinnen mehr hatten, weil viele Mitarbeiterinnen nach dem Mauerbau nicht mehr in den Westen kamen. Wie sie den Kartoffelsalat noch immer nach den alten Rezepten machen, eine Sorte mit Mayo, eine mit Öl, eine mit Speck.
Delikatessen sind ein Spiegel der Zeit, ein Symbol dafür, was sich eine Gesellschaft leisten will und was nicht. Längst meint Luxus in der Kulinarik vor allem die Mühe bei der Herstellung eines Produkts und den Blick auf seine Herkunft. Man gönnt sich Dinge, die einem richtig erscheinen, weil sie unter den richtigen Bedingungen produziert wurden. Zu dieser Art von Luxus gehört die Reduktion, es geht beim Genießen immer auch um den Verzicht; darum, ob es tierische Produkte sind oder Zutaten, die nicht aus der Region kommen.