Subkultur und Haute Couture:Skaterboys auf dem Laufsteg

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Wie geht Coolness, wenn sie dauernd von Sparkassen-Werbespots auf die Probe gestellt wird? Der Profi-Skateboarder Sean Pablo bei der Arbeit. (Foto: Jonathan Mehring)

Ob Stadtsparkasse oder Louis Vuitton: Ein Junge mit Skateboard eignet sich immer als Werbemotiv. Warum? Über das unkaputtbare Image einer Subkultur.

Von Jan Stremmel

Alex Olson rollte durch Los Angeles und spürte, dass die Tasche auf seinem Rücken sein Ende sein könnte. Alex Olson, 30, ist einer der bekanntesten Skateboarder der Welt. Hunderttausende Fans feiern jeden Videoschnipsel, der von ihm im Netz auftaucht. Aber würden sie ihm diese Tasche verzeihen? Alex Olson, Sohn des legendären kalifornischen Skaters Steve Olson, bärtig, drahtig und mit vernarbten Ellbogen, trug an diesem Tag eine Umhängetasche für 2250 Euro auf dem Rücken. Dazu eine Jacke für 3000 und Sneakers für 440 Euro. Olson drehte einen Werbespot für Louis Vuitton. "Das Einzige, woran ich dachte, waren die Reaktionen im Internet", erzählte er dem Magazin Transworld Skateboarding später, und es klang wie eine Beichte. " Holy fuck. Dafür wird man mich zerstören."

Das ist ein Jahr her. Haben die Fans Olson für seinen Deal mit der Luxusmarke zerstört? Im Gegenteil. Es gab ein paar hämische Kommentare - "Kann's kaum erwarten, mit meiner Handtasche skaten zu gehen!" - ansonsten geht es Alex Olson besser denn je. Das Wall Street Journal und der Modeteil der New York Times haben in der Zwischenzeit über ihn berichtet. Olson betreibt neben seiner Profi-Karriere das Modelabel Bianca Chandôn. Die wohl exklusivste Boutique der Welt verkauft seit Kurzem seine Kollektion: Bei "Dover Street Market" in London und New York hängen neben ausgewählten Stücken von Comme des Garçons, Prada oder Céline auch die neunzigerjahremäßig breit geschnittenen Crewneck-Sweater von Bianca Chandôn. Stilbruch? Klar, aber einer mit System: Die strengen Einkäufer der Boutique haben zuletzt auch traditionelle Skate-Marken wie Stüssy, Palace oder Supreme in ihren streng kuratierten Laden aufgenommen. Deren Logos waren folglich auch bei den soeben abgeschlossenen Modeschauen in London und Mailand quer über die Laufstege hinweg an Jacken und Hoodies im Publikum zu sehen. Alex Olson, den Skater und Designer, für Louis Vuitton zu engagieren, war also eine naheliegende Wahl. Denn der Hype um skateboardfahrende Männer und ihre Kleidung fängt gerade erst an.

Haute Couture umarmt Subkultur

Acne Studios hat vergangenes Jahr eine Kollektion in die Läden gebracht, die explizit vom "kalifornischen Skate-Stil" inspiriert sein soll: breite Hochwasser-Chinos, im Schnitt an die Dickies-Arbeiterhosen angelehnt, die Skater seit Kurzem wieder tragen, kombiniert mit schmalen Sneakers. Gucci lässt seine aktuelle Sommerkollektion auf den offiziellen Fotos von einem Model tragen, das (relativ wacklig) auf einem Skateboard unterwegs ist. Der italienische Herrenausstatter Eidos präsentiert seine Mode (aktuell: weite Hosen, steife Holzfällerhemden, Wollmützen) deutlich authentischer: nämlich direkt am Körper des legendär gutaussehenden und vor allem legendär lässig fahrenden Profi-Skaters Gino Iannucci. Und der Dior-Designer Kriss Van Assche ließ den Laufsteg für die Präsentation seiner Herbstkollektion soeben um einen neon leuchtenden Skatepark bauen.

Männermode
:Ab in die Halfpipe

Sie haben ein Skateboard unter den Füßen, ein filigranes Tuch um den Hals geschlungen und tragen Grün ins Büro. In London zeigen Designer den Mann des Sommers 2016.

Von Dennis Braatz

Wir notieren: Die Modewelt umarmt gerade in auffälliger Einigkeit eine Subkultur, die seit Jahren von allen möglichen Fremden umarmt wird. Egal ob ein neuer Schokoriegel auf den Markt soll, Banken für ein Schülerkonto werben oder Autohersteller einen Kleinwagen vermarkten - die Chancen stehen gut, dass am Ende ein Junge mit Skateboard im Bild ist. Nichts scheint in den Köpfen von Werbern und Marketingverantwortlichen eine so authentische Lässigkeit auszustrahlen wie ein Mensch mit einem Skateboard.

Skateboarding gilt gemeinhin als Trendsportart, ist aber in Wahrheit viel mehr als das, nämlich eine vierzig Jahre alte Subkultur. Von echten Trendsportarten wie Inline Skating, Street Ball oder Beachvolleyball unterscheidet Skateboarding, dass es zwar nie den ganz großen Boom erlebt hat, aber auch nie total aus der Mode gekommen ist. Skateboarder gab es irgendwie immer, und immer waren sie irgendwie cool. Und selbst wenn die Coolness zum hundertsten Mal von einem Sparkassen- Werbespot auf die Probe gestellt wurde: Das Fuck-it-Image des echten Skateboarders blieb unangetastet. Woran kann das liegen?

Der Street-Skater als Rebell

"An einer ganz besonderen Sexiness", sagt Stefan Lehnert. Er steht vor einer Regalwand voller Turnschuhe in München-Schwabing, draußen bläst der Wind Regentropfen das Schaufenster hinauf. Lehnert war einer der ersten deutschen Profi-Skateboarder, 2001 wurde er Vize-Europameister. Heute ist Lehnert 42 Jahre alt, er trägt eine Fünfzigerjahre-Brille zum Kapuzenpullover. Er leitet den Vetrieb einer amerikanischen Skateschuhmarke. "Wir wollten ja schon immer anders aussehen", sagt Lehnert und erklärt.

In den späten Achtzigerjahren rollten die Skater mit ihren Brettern nicht mehr nur durch Halfpipes oder trockengelegte Swimmingpools. Sie fuhren auf der Straße, sie sprangen über Treppenstufen, entwickelten Tricks an Geländern. "Das Street-Skaten war ein ganz eigener Sport", sagt Lehnert. Ein Sport, der nicht auf dem Bolzplatz oder in der Turnhalle stattfand wie Fußball oder Karate - sondern mitten in der Stadt. "So entstand das Image des Skaters als Rebell, als Jugendlicher mit eigenem Willen", sagt Lehnert. "Das hat sich auf die Klamotten übertragen, die wir damals trugen: weite Hosen wie im Hip-Hop. Als jeder die trug, wechselten die Skater zu Skinny-Jeans. Und später wieder zurück. Aber das Image ist geblieben."

Im Fashion-Segment hat davon in den letzten Jahren besonders eine Marke profitiert: Supreme. Die Firma verkauft seit Anfang der Neunziger streng limitierte Kleidung und Skateboards, die gesammelt werden wie moderne Kunst. Im vergangenen Herbst rüttelte eine Nachricht die Fans auf: Der Kreativdirektor Brendon Babenzien verließ nach 15 Jahren die Marke. Er wolle sein eigenes Label neu beleben, verkündete er. Er hatte eine neue Marktlücke entdeckt: Babenzien macht mit seiner Firma "Noah" jetzt schlichte Klamotten für erwachsene Skater. Männer in ihren 30ern und 40ern, die Wert auf ihre Wurzeln in der Skate-Szene legen - aber keine Supreme-Shirts mehr tragen wollen, deren Aufdrucke mit Vorliebe das Wort "Fuck" enthalten. "Die Skater aus den Neunzigern sind jetzt erwachsen", sagte Babenzien zum Abschied.

SZ MagazinVorgeknöpft: die Modekolumne
:Läuft bei ihm

Für sportlich-urbane Väter gibt es jetzt den Buggy mit Skateboard-Anschluss.

Von Silke Wichert

Dass er damit definitiv recht hat, erfuhr eine Autorin der Brigitte vor ein paar Jahren: In einer Mode-Kolumne forderte sie lakonisch, Männer über 30 sollten doch bitteschön nicht mehr auf Skateboards durch ihr Viertel fahren, sondern sich wie Erwachsene benehmen. Die Folge war ein tagelanger Sturm der Entrüstung im Internet, der Chefredakteur sah sich zu einer Erklärung gezwungen. Was einerseits zeigte, wie erschreckend humorlos alternde Skateboarder sein können - aber natürlich auch, wie tief die Identifikation mit dieser Subkultur greift.

Julius Dittmann ist 32, er ist ein sehr freundlicher Skateboarder und beruflich Geschäftsführer von Titus, der größten Skateboard-Handelskette in Deutschland. Sein Vater Titus Dittmann hat sie 1978 gegründet. Dittmann junior kennt das Geschäft wie kaum ein anderer, er hat fette Jahre erlebt und Flauten, von denen aber, wie er sagt, keine so stark war wie der jeweils vorangegangene Boom. Genaue Zahlen will er nicht verraten, aber er sagt: "Die Zahl der jungen Skateboarder wächst." Die Anfängerkurse, die Titus unterstützt, sind dreimal so voll wie vor ein paar Jahren.

Skateboarder sind Pragmatiker

Trendsportarten gibt es seit Jahrzehnten - im Unterschied zu Capoeira, Parkour oder Street Soccer, die jeder mal probieren konnte, wenn er sich zwei Wochenenden Zeit nahm, hat das Skateboarden seinen Reiz auf Jugendliche behalten. Julius Dittmann hat zwei Erklärungen dafür: "Es hat sich immer wieder neu erfunden. Und es ist motorisch extrem anspruchsvoll. Wenn man nicht in der Jugend damit angefangen und richtig viel Zeit investiert hat, kann man es kaum noch lernen." In manchen Jahren hätten sich zwar Longboards um einiges besser verkauft als das klassische Skateboard - "aber sobald junge Leute merken, dass plötzlich auch ihre Väter mit sowas rumfahren, weil es so leicht ist, hören sie schnell auf damit." Dittmann erkennt bei Skatern einen "sehr stark ausgeprägten Bullshit-Detektor". Deshalb sei es auch egal, wenn die dreihundertste Werbeagentur auf die Idee komme, für einen TV-Spot einen Jungen an die Halfpipe zu stellen, wenn irgendwas als "jung" vermarktet werden soll. Wenn die Marke Louis Vuitton ernsthaft glaubt, sie könne sich was vom Skater-Image abschneiden - bitte, gerne, soll sie doch.

Michael Wiethaus nimmt einen Schluck Kaffee aus der Tasse mit der Aufschrift "Fuck it". Er sitzt im Münchner Skateshop Soo Hot Right Now, in dem er arbeitet, ein schmaler Raum mit dunkelgrün gestrichenen Wänden. "Skater sind Pragmatiker", sagt Wiethaus, "du hast nie Kohle, ständig Ärger mit Hausmeistern, und ständig sind deine Schuhe kaputt." Auch an diesem Nachmittag hängen drei Jungs auf der Couch, trinken Energydrinks und unterhalten sich über aktuelle Skatevideos. "Wir sind ein kleines Jugendzentrum", sagt Wiethaus. Als einziger Laden in München verkauft Soo Hot Right Now Klamotten von Palace, der Marke aus der Londoner Edelboutique. Jeder dritte Kunde sei gar kein Skateboarder, sagt Wiethaus, er freut sich drüber. Pragmatiker, wie gesagt.

Alex Olson, der Skater bei Louis Vuitton, sieht das ähnlich. Der Regisseur des Spots habe ihm dauernd sehr merkwürdige Fragen gestellt: "Wie inspiriert dich Bewegung?" Was sollte Olson darauf schon antworten? Er hat dann einfach ein paar Tricks gemacht. Alle waren zufrieden.

© SZ vom 05.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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