Stilkritik zu Lana Del Rey
Lana Del Rey
Lana Del Rey wird meistens auf ihren (zugegeben beeindruckenden) Mund reduziert. Und kritisiert für das, was da so rauskam in letzter Zeit. Ihre Karriere in Bildern. Ein Feuilletonist hat einmal über Lana Del Rey geschrieben, sie sehe aus, als sei sie direkt aus dem Kleiderschrank von Nancy Sinatra in die Gegenwart gefallen. Die gleiche auftoupierte Mega-Mähne, der kohlrabenschwarze Lidstrich, die kurzen Kleider, die hochgeschlossenen, halbdurchsichtigen Blusen. Die 26-Jährige weiß sich zu inszenieren. Das Selfmade-Youtube-Wunder ist erst seit kurzem bei einer New Yorker Modelagentur unter Vertrag und hat schon jetzt einen dicken Fisch an Land gezogen: Die schwedische Modekette H&M verpflichtete die amerikanische Sängerin als neues Gesicht ihrer Werbekampagne, wie die US-Ausgabe des Magazins Interview berichtet. Demnach hat sie bereits einen Vertrag mit dem Unternehmen unterzeichnet. Geshootet werden soll in New York. Wie passend. Immerhin hat dort auch die Karriere der Lana Del Rey begonnen.
Als Elizabeth Woolrigde Grant geboren, trat die damals 17-Jährige unter dem Pseudonym Lizzy Grant in kleinen Klubs in Brooklyn und an der Lower East Side auf. Als sie im Sommer 2011 einen selbstproduzierten Clip zu ihrem Song "Video Games" bei der Internetplattform Youtube hochlud, ging alles ganz schnell. Das Video, voller nostalgischer Hollywood- und Heimkino-Bilder, wurde in Windeseile hundertausendfach angeschaut. Und Lana Del Rey schlagartig berühmt. Ihre großen Augen, die klimpernden Wimpern, der dicke Lidstrich und die rotblonde Wallemähne taten das Ihrige. Und natürlich der Mund. Herrje, sie schien ja nur aus Schmollmund zu bestehen. Isle of Wight Festival, Newport, 2012
Innerhalb kürzester Zeit schaffte es der Internet-Star auf die realen Roten Teppiche. Wie hier bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes, wo Del Rey eine schwarze Robe mit Tülleinsätzen von Alberta Ferretti trug. Das umgekehrte Herzbustier, ein glitzerndes Chopard-Collier, die Glamour-Wellen - Del Rey kann auch divenhaft. Wenig ladylike war allerdings ihr Verhalten den Fotografen gegenüber: Ihnen streckte die junge Sängerin die Zunge heraus. Nicht mehr als Lizzy Grant, sondern bereits unter ihrem neuen Künsternamen Lana Del Rey. Dieser erinnere sie an den Glanz des Meeres, außerdem hätten Aufenthalte in Kuba und Miami sie dazu inspiriert, verriet die ehemalige Philosophie-Studentin mit Schwerpunkt Metaphysik faz.net.
Im Netz hochgelobt, erntete Del Rey in der wirklichen Welt nicht nur positive Kritiken, im Gegenteil. Ihr erster großer Fernsehauftritt in ihrem Heimatland bei der Comedyshow Saturday Night Live (SNL) löste einen wahren Shitstorm aus. Häme und Hass ergossen sich über die Pop-Aufsteigerin. Schauspielerin Juliette Lewis kritisierte, Del Rey habe wie "eine Zwölfjährige in ihrem Kinderzimmer" gesungen und NBC-Nachrichtenmann Brian Williams sprach von "einem der schlechtesten Auftritte in der SNL-Geschichte". Wie reagierte Del Rey? Die verzog ihren Schmollmund, um den sich wilde Spekulationen ranken (aufgespritzt?), sagte ein Konzert in Tokio wegen Erschöpfung ab und brachte wie zum Trotz ein Album auf den Markt. Le Grand Journal, Paris, 2012
Das verkaufte sich gut. Für ein Konzert in England waren binnen 13 Minuten alle Tickets vergriffen. Doch der Spott wollte nicht abreißen - nun auch im Netz. Lana Del Rey wurde zum Lieblingsschmähopfer der Blogosphäre, als herauskam, dass ihr Vater ein erfolgreicher Unternehmer im Domain-Namen-Gewerbe ist und die Kleinstadt ihrer Jugend der Edel-Skiort Lake Placid war. Die selbststilisierte "Gangsta Nancy Sinatra" - hier in einem Blumenkleid von Parbal Gurung, das sie mit einer Biker-Lederjacke und weißen Segelschuhen mit Plateau-Absatz kombiniert - sei in Wirklichkeit ein verwöhntes, langweiliges Mädchen, hieß es. Zu wenig authentisch, zu wenig cool und zu wenig besonders.
Stilkritik zu Lana Del Rey
Lana Del Rey in Cannes
Als gewöhnliches Popsternchen mit wenig abwechslungsreichen Texten wurde sie abgetan. Del Rey bedient ein eher nostalgisches Rollenbild. Die meisten ihrer Lieder handeln von Frauen, die ihren Männern bedingungslos ergeben sind und von guten Mädchen, die mit bösen Jungs um den Block fahren. Ihre Musik klinge bombastisch und auftoupiert, loben die einen. Genau das bemängeln die anderen. Dazu kommt, dass die Amerikanerin schnell berühmt wurde, vielleicht zu schnell. Sie konnte sich nicht langsam künstlerisch entwickeln, reifen - sondern wurde sofort von den Medien vereinnahmt. So ließe sich vielleicht auch der verpatzte Auftritt bei SNL erklären. "Ich werde von Lampenfieber gequält", verriet die Sängerin im Interview mit BBC Radio 1.
Angriffsfläche bietet Kritikern auch Del Reys Liebesleben. Beziehungsweise das von der Boulevardpresse unterstellte. Lasziv-gestylt sei sie in Groupie-Manier mit Schockrocker Marilyn Manson aufs Hotelzimmer gegangen, schrieb die Klatschpresse im Februar. Fotos zeigten die beiden in der Nacht vor der Echo-Verleihung bei einem intimen Abendessen - dem eine gemeinsame Nacht in einem Berliner Hotel gefolgt sein soll. Das Magazin Rolling Stone dichtete ihr gar eine Liasion mit dem doppelt so alten Axl Rose an. Dem Altrocker widmete Del Rey bereits einen Song. In "Axl Rose Husband" heißt es: "You're my one king daddy, I'm your little queen." Diese Selbsteinschätzung passte zumindest auf ihr Aussehen bei den Brit Awards, wo sie den Preis als beste internationale Newcomerin entgegennahm. Lana Del Rey wählte für diesen Anlass die Signalfarbe Rot und sah in ihrem schulterfreien, bodenlangen Vivienne-Westwood-Dress mit Schleppe wahrhaft königlich aus.
Die Mutmaßungen um eine Affäre mit Axl Rose und die Schmähkritiken der Musikkritiker und Bloggergemeinde dahingestellt: Es gibt mittlerweile eine Branche, in der Lana Del Rey ernstgenommen wird - die Fashion-Szene. Das berufliche Ziehkind von Donatella Versace, Christopher Kane, hatte seine Show auf der Londoner Fashion Week mit Del Reys "Video Games" untermalt. So sieht man die Musikerin immer häufiger an der Seite von Designern.
Hier posierte sie neben Jungdesigner Joseph Altuzarra in Glitzerrobe bei der Met-Gala in New York. Die jährliche Benefiz-Veranstaltung im Museum of Modern Art gilt als Oscarverleihung der Mode und lief in diesem Jahr unter dem Thema "Schiaparelli and Prada: Impossible Conversations". Leider unmöglich ist der schwarze Umhang von Del Rey. Durch ihn erinnert sie ein bisschen an eine Vampirkönigin oder ein Burgfräulein.
Ihre modische Wandlungsfähigkeit bewies Del Rey jedoch wenig später in der Front Row der Londoner Fashion Week an der Seite von Bob Geldofs jüngster Tochter Pixie und der Rapperin Azelia Banks. Del Rey präsentierte hier den lässigen Studenten-Style: College-Jacke, Skinny-Jeans, Flecht-Ballerinas kombiniert mit Nude-Make-up. Auf ihrem Schoß liegt eine Mulberry-It-Bag. Das englische Luxus-Label widmete der 26-Jährigen eine eigene Tasche: Klassisch kastig mit kleinem Henkel kommt die "Del Rey" in diesem Herbst in die Läden. In der Modewelt der Ritterschlag. H&M-Gesicht wird man indes nur, wenn man massenkompatibel ist. Doch was ist verkehrt daran, ein bisschen gewöhnlich zu sein? Del Rey ist beides: gewöhnlich und außergewöhnlich. Das kann ihr auf lange Sicht nur nützen. Und auch wenn sie sich noch an fremden Kleiderschränken bedienen mag: Die wenigsten Mode-Ikonen hatten ihren Stil schon mit Mitte zwanzig gefunden.