Nicolas Ghesquière verlässt das Label Balenciaga:Salut, Superboy

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Er brauchte einmal 18 Monate, um den richtigen Grünton zu finden. Nicolas Ghesquière war besessen von seiner Arbeit und hat das Traditionshaus Balenciaga in 15 Jahren zu einer weltweit erfolgreichen Marke gemacht. Jetzt geht er. Wohin? Das weiß keiner so genau.

Verena Stehle

Kritiker bezeichnen ihn als Mr. Zeitgeist, Genie oder fantastischen Futuristen. Nach 15 Jahren verlässt Nicolas Ghesquière das Label Balenciaga. Der 41-Jährige sei frustriert gewesen, sagen Insider. (Foto: Marcus Bleasdale / VII)

Sein Aufstieg war raketenhaft. Und jetzt wissen nur die Sterne, wie es weitergeht. Nicolas Ghesquière hat das Traditionshaus Balenciaga wieder zu dem gemacht, was es einst war: eines der funkelndsten Lichter am Modefirmament. Kritiker bezeichneten ihn nur noch als Mr. Zeitgeist, Genie oder fantastischen Futuristen.

Die Modewelt verharrt derzeit in einer Art Schockzustand, wie damals, als Cristóbal Balenciaga 1969 sein Modehaus schloss. Doch auch für Ghesquière muss es sich mindestens so anfühlen, als hätte man ihm ein sehr wichtiges Organ amputiert; 15 Jahre lang war er bei Balenciaga angestellt. Nein - er war Balenciaga.

Und er hat es länger dort ausgehalten als viele andere, die an dem Druck in der Branche zugrunde gehen. Oder die einfach nicht einsehen wollen, dass ein Label heute, wenn es bestehen will, eine Marke sein muss. Oder besser noch ein Mega-Unternehmen mit Mode, Taschen und Düften. Ghesquière hat dies verstanden. Die Eigentümer, zuerst die Gucci Group, später das Luxuskonglomerat PPR, ließen ihn machen. Sie ließen ihn sogar High Heels produzieren, die aussahen wie orthopädisches Schuhwerk.

In Ghesquières Teenagerzeit sprach kein Mensch mehr von Balenciaga - dem 1918 von Cristóbal Balenciaga in Madrid gegründeten Couturehaus. Schlechtes Management und wechselndes Personal hatten das Image des Hauses zerstört. 1997 sprang Ghesquière als Designer ein, eigentlich war ein anderer für den Chefposten vorgesehen. Mode hatte er nebenbei beim Kaffeekochen gelernt; mit 19 im Atelier bei Jean-Paul Gaultier.

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Eine Galerie seiner Bonmots.

Für seine erste Kollektion im Frühjahr 1998 hatte er weniger Zeit als vier Monate; sie war düster und ging auf der Paris Fashion Week unter. Bei seiner zweiten Präsentation hyperventilierten die Kritiker, und das taten sie fortan immer. Ghesquière hatte schon damals etwas, was andere ihr Leben lang nicht finden - einen Stil. Er verstand es, in seinen Entwürfen Welten zusammenzubringen, die nicht zusammenpassen. Vergangenheit und Zukunft, Architektur der Sechzigerjahre und Science-Fiction-Helden. Balenciaga wurde wieder ein Label, das auf sich selbst verweist. Und auf das alle anderen Modemacher ununterbrochen verweisen.

Ghesquière hat die Prêt-à-Porter-Mode von Anfang an behandelt wie Couture. Sein Atelier nannte er sein "verrücktes Labor", in dem er mit Schnitten, Stoffen, Stickereien experimentierte. Viele Versuche glückten, wie die Ethno-Kollektion 2007. Oder seine Eggshape-Mäntel im Jahr zuvor. Und seltsamerweise auch die kniehohe Gladiatorensandale und Roboterleggings.

Man will sich gar nicht vorstellen, wie viele Wetten in diesen Tagen abgeschlossen werden über die Frage, für wen er das Modehaus eigentlich verlässt. Manche vermuten: zu Schiaparelli. Vielleicht ist für ihn jedoch auch die Zeit gekommen, sein eigenes Label zu gründen.

Frauen wie Prinzessinen einer Sternenflotte

Jeder Designer versucht fieberhaft, die moderne Frau auszustatten, aber keinem gelang es so wie Ghesquière. Er war besessen, und er arbeitete nonstop. Man könnte auch sagen, er nahm sich die Zeit: Er brauchte einmal 18 Monate, um den richtigen Grünton zu finden. Und 25 Fittings für ein bestimmtes Mantelkleid.

Privat liebte er Männer, Frauen aber himmelte er an. Er ließ sie aussehen wie Prinzessinnen einer Sternenflotte, stark, sexy, irgendwie entrückt - aber trotzdem großstädtisch. Charlotte Gainsbourg, der er seinen ersten Duft widmete, verkörperte diese Balenciaga-Frau perfekt. Genau wie die junge Schauspielerin Kristen Stewart, die immer wirkt, als wäre sie einfach viel zu cool für diese Welt.

Der 41-Jährige sei frustriert gewesen, sagen Insider. Wenn er am 30. November aus seinem Studio auszieht, wird vor allem ein Teil in Erinnerung bleiben, das derzeit in Modeblogs umher schwirrt: sein fast prophetischer Science-Fiction-Pullover mit dem Spruch "Join A Weird Trip". In diesem Sinne: Salut, Superboy. Wir hoffen, du landest weich.

© SZ vom 07.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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