Neue Mode aus Skandinavien:Hyper, noch hyper

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Im Norden tut sich wieder mal was: Nach Dänemark und Schweden hat die Modebranche jetzt Finnland auf dem Radar. Und Island, Grönland, die Färöer-Inseln ... Über die neuen, wilden, gar nicht leisen Labels.

Danijela Pilic

Es war fast ein wenig still geworden. Vor einem Jahr noch drehte sich in der Mode alles um den skandinavischen Minimalismus. Jeder wollte so kühle, klare Designs entwerfen wie die Schweden und Dänen bei Acne, By Malene Birger, Cos, Stine Goya, Weekday oder Wood Wood. Seitdem es diese Aufsteigerlabels in den kommerziell erfolgreichen Mainstream geschafft haben, ist der Hype um den Norden ein wenig abgeflacht.

Ein bisschen Spaß muss sein: Die drei finnischen Designerinnnen Siiri Raasakka, Tiia Siren und Elina Laitinen (von links) überzeugten die Jury mit Raver-Mode, wie sie hier von zwei männlichen Models präsentiert wird. (Foto: Catwalkpictures sprl)

Nun rührt sich wieder was: Eine junge, wilde Riege von Jungdesignern aus Island und Finnland macht gerade in Berlin, London und Paris von sich reden.

Dass Kleidung in Island anders gesehen und präsentiert wird als in Paris, konnte man Anfang April während des "Reykjavik Fashion Festival" beobachten. Islands Modestar Mundi (der 25-jährige Guðmundur Hallgrímsson) zeigte in Reykjaviks Oper einen Kurzfilm, in welchem hip gekleidete Hooligans zunächst einen Mann auf isländischen Pferden verfolgen und ihn dann mit aus heißen Quellen gewonnenem Ökostrom hinrichten. Dann präsentierten die Models mit ruß- und schmutzbefleckten Gesichtern Strickmode, Capes und Mäntel zu Accessoires - das heißt: vom Designer gestalteten Äxten, Pfeilen und Bögen.

Laufsteg in Metzgerei-Optik

Andere Marken inszenierten nicht ganz jugendfreie, mit Techno unterlegte Schauen auf Rollschuhen - auf einem Laufsteg, der an eine Metzgerei erinnerte.

Nun fährt nicht jeder modeinteressierte Mensch mal eben nach Reykjavik. Also kommt die nordatlantische Mode-Avantgarde bald nach Berlin, denn nach Berlin fahren ja gerade alle. Diese Stippvisite findet natürlich wieder in einem besonderen Rahmen statt, denn das Außergewöhnliche als Ausdruck der eigenen Besonderheit wird in jeder Faser zelebriert - und das macht, nach dem aalglatten Minimalismus ihrer Nachbarn, mal richtig Spaß.

Während der Berliner Fashion Week (und darüber hinaus bis zum 28. Juli) präsentieren zehn ausgewählte Modedesigner aus dem nordatlantischen Raum ihre Kollektionen in der temporären Boutique dottirDOTTIR in Berlin-Mitte. Sechs der teilnehmenden Designer kommen aus Island, Mundi und Eyglo heißen die etabliertesten Marken. Zwei Labels stammen aus Grönland, zwei weitere von den Färöer-Inseln, der Inselgruppe zwischen den Britischen Inseln, Norwegen und Island.

Der Pop-up-Shop soll gleichzeitig eine Galerie sein: Die Mode wird die in Berlin lebende isländische Künstlerin, Filmproduzentin und Kuratorin Hulda Rós Gudnadóttir in einer besonderen Installation präsentieren. Dass für Isländer die Grenzen zwischen Mode und Kunst fließend sind, erklärt die Kuratorin so: "In Island gibt es keine lange Geschichte der Bourgeoisie wie im Rest von Europa. Wir hatten nie den Druck, in beruflichen oder anderen Kategorien zu denken, die meisten Menschen haben zwei bis drei Berufe, in allen Schichten. Man kann vormittags ein Banker und nachmittags eine Putzkraft sein, und ein Modedesigner ist nie nur Modedesigner, sondern auch Künstler, auch Kurator und noch mehr."

Den jungen isländischen Kreativen sei die Welt der Großeltern fremd, die definiert war durch das traditionelle Handwerk. Früher habe man glücklich am Fuße eines Berges gelebt, heute pilgern die Jungen in die Großstädte und interessieren sich für Digitalprints ebenso wie für alte Strickmethoden. Nur eine Sache sei für viele Junge tabu: die Natur zu zitieren und landestypische Materialien wie Filz oder Fischhaut zu verwenden. "Das war vielleicht", sagt Gudnadóttir, "in den 70er oder 80er Jahren Avantgarde."

Die neue Riege an Nachwuchsdesignern hält die isländische Künstlerin für sehr talentiert. Den Beginn des Aufschwungs isländischer Mode sieht sie in der Berufung von Linda Björg Árnadóttir. Die isländische Designerin, die mit ihrem Label Scintilla auch im Berliner Pop-Up-Shop vertreten sein wird, übernahm 2000 den Vorsitz für Mode an der isländischen Kunstakademie. Ihr Enthusiasmus und Kontakte nach Paris verschafften den Studenten interessante Praktika in großen Häusern. Was wiederum ihren Ehrgeiz anheizte, auch international wahrgenommen zu werden.

Dass man hierzulande etwa so wenig über die nordische Mode weiß wie über die Färöer-Inseln, spornte die Berliner PR-Agentur Bold erst recht an, ihre Altbau-Räumlichkeiten auf der angesagten Torstraße dem Projekt dottirDOTTIR zur Verfügung zu stellen. "Diese Mode hat etwas Mystisches. Sie schafft es, Tradition in die Moderne zu transportieren. Die Szene ist sehr klein, aber zeitgenössisch genug, in New York zu verkaufen." Die Chefin von Bold, Svenja Evers, nennt diesen Stil seltsam, verspielt, und "quirky" - verschroben. Vor allem freut sie sich auf die Vielfalt: Von handgefertigten Einzelstücken, grober Strickmode bis hin zu schicken, gebatikten Kleidern mit Hightech-Prints ist alles dabei.

"Raven und Partymachen" als Design-Vision

Etwa genau so hoch im Norden Europas, doch zweitausend Kilometer östlich von Island, in Finnland, sorgen derweil drei junge Frauen für internationalen Modehype. Siiri Raasakka, Tiia Siren und Elina Laitinen gewannen im April den internationalen Modepreis des angesehenen Modefestivals im französischen Badeort Hyères; beurteilt wurden ihre Entwürfe unter anderem von dem japanische Modeschöpfer Yohji Yamamoto, der in diesem Jahr in der Jury saß.

Der Look ihrer Männerkollektion war stark, außergewöhnlich und bunt, mit viel Neon und Fransen, Drucken und Swarovski-Kristallen, Leuchtstäbchen und phänomenalen Sneakers. Jury-Mitglied Terry Jones, Gründer des Magazins i-D, erklärte die Jury-Entscheidung folgendermaßen: "Die drei Girls repräsentieren die Jugend und die Energie." Darauf habe die Modeindustrie gewartet.

Raasakka, Siren and Laitinen lernten sich an der Aalto-Universität für Kunst und Design in Helsinki kennen. Sie sind Anfang bis Mitte zwanzig, haben bunte Haare und sehen aus wie Raver-Girls aus einem Video der Hyper-hyper-Truppe Scooter. Sie haben noch kein Label gegründet (ihre Mode gibt es noch nicht einmal zu kaufen) - doch ihre vom "Raven und Partymachen" inspirierte Männerkollektion brachte ihnen den mit 15.000 Euro dotierten Preis ein.

Man mag Männermode nicht so streng sehen: "Es ist zwar Streetwear für Jungs, aber ich würde unsere Kollektion tragen", kichert Siiri Raasakka. Sie erzählt, dass bei ihnen, als Gegensatz zur Technowelt, die Natur eine große Rolle spielt: "Wir wollten klassische Streetwear machen, T-Shirts und Bomberjacken, aber in interessanten Materialien und Farben. Wir arbeiten gerne mit Naturfasern, weil man sie besser färben und bedrucken kann. Außerdem fühlen sie sich besser an."

Ob ihre Mode typisch finnisch ist? Das kann sie nicht sagen. Gibt es überhaupt eine finnische Modeszene? Dann sind sie nicht Teil davon, sagt sie. Wahrscheinlich muss man so denken, wenn man Anfang zwanzig ist, einen renommierten Preis gewonnen hat und in angesagten Blogs - wie Purple Diary und Pariser Vogue - gefeiert wird. "Es haftet aber eine Art finnische Seltsamheit an dem, was wir machen. Was es genau ist, kann ich nicht sagen, doch es ist da." Raasakka legt nun ihr Studium auf Eis, um für eine Weile nach London zu gehen.

Was unterscheidet sie von der typisch skandinavischen Mode? "Während schwedische Designer mit ihrer Mode Geld machen wollen, wollen finnische ihre kreative Freiheit behalten." Wie es nun weitergehen wird, wissen sie nicht. Nur so viel: "Die Welt steht uns offen!"

Ob sich die Welt an ihren Stil gewöhnen wird, ist fraglich. Aber der kommerzielle Erfolg ist auch nicht das Entscheidende. Sie haben es alle irgendwie schon geschafft, wenn die Szene in Berlin und Paris ihre Namen buchstabieren kann.

© SZ vom 19.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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