Modeindustrie entdeckt Senioren:"Ist das Teil wirklich hautig?"

Lesezeit: 6 min

Wie sieht man das Thema "Mode im Alter" bei Strenesse, jenem deutschen klassisch-eleganten Modelabel, das vor mehr als sechzig Jahren in Nördlingen/Bayern gegründet wurde, und das von Gabriele und Gerd Strehle und seit diesem Jahr auch von ihrem Sohn Luca geführt wird? Gabriele Strehle sagt am Telefon, es sei ihre Erfahrung, dass das Bedürfnis nach gut Gemachtem mit dem Alter steige - man setze mehr auf "Investmentmode" denn auf "Verschleißteile". "Ein Mensch sieht nur gut aus in einem Kleidungsstück, wenn er sich darin körperlich wohl fühlt", sagt sie. "Das ist eine Frage der Materialien, der Passform, der Nähte, des Schnitts. Ich frage mein Team immer: Ist das Teil wirklich hautig? Das Wort gibt es nicht. Versteht aber jeder. Das heißt, die Mode als Haut begreifen." Bei Strenesse werden alle Kollektionen in den Größen 34 bis 42 angeboten - recht sinnvoll, wenn man bedenkt, dass die Durchschnittsgröße deutscher Frauen keine 36, sondern eine 42 ist.

In jeder Größe werden alle Proportionen sorgfältig bedacht. In Nördlingen genauso wie in Halle. Frau Strätker von Gerry Weber erklärt, warum das so wichtig ist: "Übersetzt man einen Schnitt auf unterschiedliche Größen, ändern sich alle Details: vom Abnäher über das Revers bis hin zu den Taschen, die neu gesetzt werden müssen. Jacketts werden beispielsweise pro Größe einen Zentimeter länger - deswegen sehen ab Größe 42 zwei Knöpfe besser aus als einer." Trotzdem: Im Hause Strenesse ist man darauf bedacht, nicht den Eindruck zu erwecken, man entwerfe Mode für die ältere Generation. Gabriele Strehle weist darauf hin, dass Frauen heute andere Körper haben, dass sie Yoga machen und sich gesund ernähren. Das bedeutet also in logischer Konsequenz: Diese Frauen fühlen sich von einem jüngeren Model wie Luca Gadjus vielleicht mehr animiert als von einer rüstigen älteren Dame.

Wenn jemand weiß, was es bedeutet, für Senioren Mode zu entwerfen, dann Fanny Karst. Die 27-jährige Französin und Absolventin des Central Saint Martins College in London entwirft ganz explizit Mode für ältere Damen. Sie hat nichts dagegen, wenn auch Mädchen ihre Mode anziehen, aber ihre Zielgruppe sind die über 50-Jährigen. Meistens sind sie noch älter.

Wunderschön und lebensbejahend

Kürzlich präsentierte Karst ihre vierte Kollektion. Kleider, Röcke und Hosenanzüge in Weiß und Marineblau, mit Digitalprints von Urlaubsmotiven, etwa einem Baum vor einem abendlichen Horizont oder einer palmengesäumten Chaussee. Auf dem Rücken einer Jacke steht "See you in Paris next year. Perhaps." Beige sucht man hier vergeblich, auch von kitschigen Pastelltönen hält die Designerin nichts. Ihre Mode spielt mit der Vergänglichkeit, ist aber wunderschön und lebensbejahend. Auf der jüngsten Show im Londoner Westend präsentierten fünf lässige Omis ihre Mode. Eine von ihnen ging an einem Stock mit silbernem Knauf. Alle trugen Espadrilles, jede für sich sah hinreißend aus. "Old Ladies Rebellion" heißt ihr Label - übersetzt: die Rebellion der alten Damen. Die Mode ist ungewöhnlich, elegant, und ziemlich frech. Und man denkt nicht einen Augenblick daran, dass diese Mode zu jung sei für ihre Models.

Fanny Karsts Faszination für betagte Damen hat ganz persönliche Gründe. "Ich habe immer meine Großmutter bewundert", erzählt sie. "Sie hatte nicht einmal einen großen Hang zur Mode, trug aber alles mit einer unglaublichen Haltung. Ich wollte für alte Damen entwerfen - so wie ich das sehe, ist das Alter ihre Stärke. Sie müssen keine Rücksicht mehr nehmen, trauen sich, exzentrischer zu sein, und sagen frei heraus, was ihnen gefällt und was nicht."

Ihre Kundinnen gewinnt Fanny Karst per Mundpropaganda. Sie kommen dann ins Atelier zu Anproben und geben der Designerin Feedback, was ihnen gefällt und was nicht. Fanny Karst zeigte ihre Kollektion in diesem Jahr zum ersten Mal in Paris. Doch ausgerechnet in der Stadt der Mode war man für die "Old Ladies Rebellion" noch nicht so ganz bereit. "Ich hatte laute Hip-Hop-Musik ausgesucht, zu der meine Damen die Kollektion vorführten. Das Publikum war ein bisschen schockiert. Ihnen fehlt wohl der britische Humor", erzählt Fanny Karst.

Tatsächlich ist Mode für Ältere bislang überwiegend genau das: humorlos. Kleidung für Ältere, das führt der Teleshoppingsender HSE24 täglich vor - mit Marken wie Sarah Kern und Helena Vera -, muss kaschieren, verspielte Details haben und einen gewissen Stretchanteil. Das kommt bei der Zuschauerin an - der Modeanteil des Sortiments hat sich in fünf Jahren mehr als verdoppelt. "Unsere Hauptzielgruppe in der Mode sind Frauen zwischen 40 und 60", sagt Eva Brüning, die Leiterin der Abteilung Softgoods - also: Textilien. "Aber auch ältere Damen werden bei uns fündig." Brüning erklärt, dass auch hier die Schnitt-Techniker die Körperproportionen berücksichtigen, die sich mit dem zunehmenden Alter ändern. Außerdem werden die meisten Artikel von Größe 36 bis 54 angeboten - und es gibt außerdem Kurzgrößen für die nicht so groß gewachsene, ältere Generation. "Wir passen die Schnitte so an, dass sie auch bei einer Körpergröße von unter 1,68 Meter passen - die Hose also nicht unter der Brust sitzt", erklärt Brüning.

Die älteren Zuschauerinnen schätzen die Präsentationen im scheinbar privaten Rahmen, ein Konzept aus vergangenen Tagen. Bei HSE24 wird die Zuschauerin direkt vom Moderator angesprochen, er gibt Pflegehinweise und Infos zu den Trends der jeweiligen Saison. Die jüngeren Zuschauer grinsen und wünschen sich für ihre älteren Verwandten einen frischeren Look. Vielleicht folgen ja bald noch mehr Designer dem Beispiel von Fanny Karst. Ein paar Farbtupfer täten der beigefarbenen Landschaft da draußen ganz gut.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema