Offiziell gibt es in Deutschland keine Mode für Senioren. Sicher, Kleidung für Menschen, die beim Ankleiden auf die Hilfe anderer angewiesen sind, gibt es wohl. Im Fachhandel oder Sanitätshaus. Aber modische Bekleidung, die sich explizit an Ältere wendet? Nicht in deutschen Einkaufsstraßen.
Generation Glamour: Die deutsche Designerin Susanne Wiebe schickte bei einer Modenschau in München das "Senior Model" Catherine Loewe über den Laufsteg.
(Foto: Alessandra Schellnegger)Dort sieht es aus, als wäre Deutschland von Teenagern bevölkert. Miniröcke und grelle Prints bei Zara, knallbunte Hosen bei C&A, bauchfreie Strickpullis bei Benetton und selbst im konservativen Kaufhaus Peek & Cloppenburg hängen in diesem Spätsommer Röhrenjeans und T-Shirts, die mit Tribalmotiven bedruckt sind. Dabei liegt das durchschnittliche Alter der Deutschen bei 43,7 Jahren, laut Angaben des Europäischen Statistikamts Eurostat. Und die Menschen werden bekanntlich immer älter - Frauen im Durchschnitt etwa 82 Jahre und die Männer 77,5 Jahre.
Über Kaufkraft verfügt die Generation der jetzigen Alten allerdings auch, deswegen hat die Werbeindustrie ja so schöne Bezeichnungen für sie erfunden - die "Best Ager", die "Generation Gold" und die "Master Consumer". Kleiden müssen sie sich allesamt, nur bislang wollte die Kleider niemand für sie entwerfen.
Beigefarbene Funktionsbekleidung - aus purer Verzweiflung
Die kurze Hoffnung, der schwedische Konzern H&M könne sich dieser Altersgruppe annehmen - es gab Gerüchte über eine neue Marke - verflüchtigt sich bei der Anfrage in der Presseabteilung. Ein Label für ältere Leute? Nein, das sei nun wirklich nicht geplant. Wer sich in deutschen Einkaufsstraßen umsieht, wundert sich jedenfalls nicht, dass viele Senioren zu beigefarbener Funktionsbekleidung aus dem Katalog greifen - eine pure Verzweiflungstat.
Dabei führt die Modebranche selbst schon seit einiger Zeit vor, dass ältere Menschen eine Rolle spielen. Der Schmuckhersteller Bulgari wirbt mit der italienischen Schauspielerin Isabella Rossellini, die im Juni 60 Jahre alt geworden ist. In der Herbst-Winter-Kampagne der französische Luxusmarke Lanvin ist das Amateurmodel Jacquie "Tajah" Murdock zu sehen, sie ist 82. Und die amerikanische Modekette American Apparel, die für ihre Kampagnen mit jungen Angestellten in freizügigen Posen bekannt ist, wirbt nun mit Jacky O'Shaughnessy, einer wunderschönen Dame mit langen, grauen Haaren, die Ende des Jahres ihren 61. Geburtstag feiert. Und die nichts an einem "crotch shot" findet, einem Foto, bei dem die Kamera auf ihre gespreizten Beine hält.
Ja, ältere Herrschaften erleben gerade so etwas wie ihren zweiten Frühling, in der Mode. Sie tauchen in Modeblogs auf (advancedstyle.blogspot.com) und auf internationalen Laufstegen, zum Beispiel in Paris bei Jean-Paul Gaultier, in Berlin bei Michael Michalsky, in Mailand für den Herrenmodedesigner Adam Kimmel. Umso erstaunlicher, dass sich so wenige Modemarken mit dieser Klientel befassen wollen.
"Es ist einfacher, für 16- bis 30-Jährige zu entwerfen"
Womit man unweigerlich bei Gerry Weber ist. Die Firma hat - und das gilt auch für andere Damenoberbekleidungshersteller - nur leider nicht den Appeal eines angesagten Modelabels. Die Sachen sind bekannt dafür, unauffällig zu sein, was aber nicht mit "minimalistisch" zu verwechseln ist. Aktuell heißt das: Strickcardigans mit ethnisch inspirierten Mustern, Blazer in den üblichen Herbstfarben, schmale Hosen und gestreifte T-Shirts. Aber dort traut man sich zu sagen, dass Menschen jenseits der 40 eine andere Mode brauchen. In dieser Hinsicht könnte man Gerry Weber also durchaus "radikal" nennen.
Doris Strätker betreut das Design aller Gerry-Weber-Kollektionen und sitzt auch im Vorstand. Sie sagt: "Zwischen 40 und 45 verändert sich die Silhouette der Frau. Damit wollen sich die wenigsten Firmen befassen. Es ist einfacher, für 16- bis 30-Jährige zu entwerfen."
Viel einfacher, denn: Irgendwann verschwindet langsam die Taille. Mal mehr, mal weniger, je nach Lebensstil und Veranlagung. Nicht alle Frauen nehmen beispielsweise durch die Wechseljahre zu, in jedem Fall aber ändert sich die Silhouette. Was die Massenmodeketten auf ihre Kleiderständer hängen, ignoriert jegliche mögliche physische Veränderung. Ein Sonderfall ist die Übergrößenkollektion von H&M - aber älter zu werden bedeutet ja nicht zwangsläufig, rund zu werden. Wenn eine Frau jenseits der 40 trotzdem weiter bei den sogenannten Highstreetlabels einkaufen will, braucht sie ein gutes Händchen (COS ist besser geschnitten und um einiges eleganter als H&M!). Oder aber sie sieht aus, als würde sie die abgelegten Klamotten der eigenen Tochter auftragen.